Berliner Senat: Das sind fünf zentrale Punkte des neuen Nahverkehrsplans
Ideen für den Nahverkehr hat der Senat viele. Aber sind sie umsetzbar? Die Schwierigkeiten sind enorm. Ein Überblick von Siemensbahn bis U-Bahn-Verlängerungen.
„Das geduldigste Stück Papier“, so nennt der Fahrgastverband Igeb den jüngsten Nahverkehrsplan, den der Senat am Dienstag beschlossen hat. Vieles ist in den Vorgänger-Plänen formuliert worden, vieles steht nur auf dem Papier. Wir haben uns einige Punkte in dem 380-Seiten-Werk näher angesehen.
Busbeschleunigung
Auf Seite 253 findet sich eine Forderung, die einerseits banal ist, andererseits das grundlegende Problem Berliner Verkehrspolitik bestens beschreibt: „Verhinderung von Störungen des ÖPNV durch Durchsetzung geltender Verkehrsregeln“. Genau daran ist Berlin bislang gescheitert, von Jahr zu Jahr, von Nahverkehrsplan zu Nahverkehrsplan. Busse und Straßenbahnen werden immer langsamer, weil sich zu viele Autofahrer nicht an Regeln halten, die Bußgelder niedrig sind und die Politik sich nicht traut, den Autoverkehr stärker zu reglementieren.
An dem Tag, an dem der Senat den Plan beschloss, wurden die Linienänderungen der BVG zum kleinen Fahrplanwechsel im Sommer bekannt. Der TXL-Bus fährt ab Sommer nur noch bis Hauptbahnhof, nicht mehr bis Alex. Die Linie sei immer unpünktlicher und immer unzuverlässiger geworden, heißt es BVG-intern. Die BVG kapituliert vor Lieferwagen in zweiter Spur, vor schlecht geschalteten Ampeln, zugeparkten Haltestellen und Baustellen.
Dem Vernehmen nach hatte sich die BVG in den vergangenen Jahren intensiv um eine Beschleunigung der Linie bemüht, dabei durchblicken lassen, dass zur Not die Linie verkürzt werden könne. Passiert ist trotz dieser Drohung nichts. Die BVG hat jetzt die Verkürzung beantragt – und die Verkehrssenatorin hat sie genehmigt.
In den vergangenen zwei Jahrzehnten ist das Busspurnetz kaum erweitert worden. Eine Beschleunigung der Busse hatte bereits der Nahverkehrsplan 2010 bis 2014 gefordert. Schon damals wurden die „kleinen Regelübertretungen“ der Autofahrer angesprochen. Mangels polizeilicher Kontrolle wurden die Regelübertretungen immer größer.
BVG-Chefin Sigrid Nikutta hatte kürzlich vorgerechnet, wie viel langsame Busse kosten – nämlich viele Millionen. Die Durchschnittsgeschwindigkeit ist zwischen 2011 und 2018 von 19 km/h auf 18 km/h gesunken. Dieser eine Stundenkilometer weniger kostet 70 Busse und 170 Fahrer.
Siemensbahn
Diese 1980 stillgelegte Strecke war bei den meisten Berlinern längst in Vergessenheit geraten. Nun soll die Wiedereröffnung immer schneller gehen. Bekanntlich hatte Siemens Ende vergangenen Jahres angekündigt, 600 Millionen Euro in Siemensstadt zu investieren – und dafür die Reaktivierung der Strecke gefordert.
Zunächst war von 2030 die Rede, dann hatte die Bahn von 2028 gesprochen. Nun nennt der NVP forsch das Jahr 2025 – belegt ist dieses Eröffnungsjahr nicht. Wie auch? Denn nicht einmal „eine valide Schätzung von Bau- und Planungskosten war in der Kürze der Zeit möglich“, heißt es weiter. Die Strecke selbst ist zwar erhalten, jedoch muss die Anbindung an den Nordring komplett neu geplant und gebaut werden.
U-Bahn-Verlängerungen
Im vergangenen Jahr wurden (auf Druck der SPD) drei „Machbarkeitsstudien“ für drei Verlängerungen in Auftrag gegeben: Die U6 aufs Gelände des heutigen Flughafens Tegel, die U7 nach Schönefeld oder weiter zum BER und die U8 ins Märkische Viertel. Im aktuellen NVP wird nun eine vierte Studie angekündigt, nämlich am anderen Ende der U7, von Rathaus Spandau bis in die Großsiedlung Heerstraße Nord. Diese soll 2019 beauftragt werden, heißt es.
Die Igeb lehnt diese U-Bahn-Verlängerungen als „Träumereien“ ab. Neue U-Bahnen kosten Unsummen und dauern Ewigkeiten. Interessant ist, dass offenbar keine Machbarkeitsstudie für eine Verlängerung der Siemensbahn geplant ist. Dabei hielt Siemens bereits in den 20er Jahren einen Weiterbau bis zur Havel und sogar eine Unterquerung bis Hennigsdorf für möglich.
Die Siemensbahn könnte mit zwei zusätzlichen Stationen in die Wasserstadt Spandau verlängert werden, dort entstehen neue Wohnungen für 30.000 Menschen. In welchen Zeiträumen Verkehrspolitik (nicht) funktioniert, wissen zehntausende Bewohner des Märkischen Viertels seit Jahrzehnten. Ihnen war Ende der Sechzigerjahre eine U-Bahn versprochen worden. 50 Jahre später ist eine Studie in Arbeit.
S-Bahnhof Perleberger Brücke
Viele Wohnungen sind auch in Moabit entstanden. Derzeit baut die Bahn die neue S-Bahn-Linie 21, die den Nordring mit zwei Kurven an den Hauptbahnhof anbinden soll. Gebaut wird ohne einen Bahnhof „Perleberger Brücke“ an den Neubauten vorbei. Im NVP wird als Priorität nun „dringlich“ für diese Station genannt. Bislang hatte die Stadt kein Interesse an diesem Zwischenstopp.
Nun wird die Station mit Wohnungsbau in der Europacity begründet: Nun muss also umgeplant werden, wenn die Station doch noch eingefügt werden soll. Höhere Kosten sind Gewiss. Bekanntlich sollte das erste Teilstück der S21 schon 2017 fertig sein, derzeit ist von Dezember 2020 die Rede. Anschließend, etwa bis 2030, soll die S21 weitergebaut werden bis Potsdamer Platz und sich dann verzweigen in S2/S25 und S1 (Wannseebahn). Ein Umsteigebahnhof „Gleisdreieck“ zwischen S21 und der BVG-Hochbahn fehlt im Nahverkehrsplan, ist nur in einer Anlage erwähnt.
Abschied vom Diesel
Bis 2030 sollen alle Busse elektrisch fahren. Die Fahrzeuge kosten 810 Millionen Euro. 570 Millionen sind zwischen 2020 und 2030 für Ladestationen vorgesehen. Wenn die Batterien nur auf den Betriebshöfen geladen werden können, sind die Fahrzeuge im Vergleich zum Dieselbus nicht so effizient. Breiten Raum im Nahverkehrsplan nimmt deshalb eine für Berlin ganz neue Technik ein: der Oberleitungs-Bus. Wobei: O-Busse gab es natürlich lange in Berlin, im Westteil wurde die Technik 1965 abgeschafft, im Ostteil 1973.
Neu ist, dass es künftig eine Mischform geben soll. Oberleitungen wird es nur noch auf langen, geraden Strecken geben, etwa auf der Hälfte der Strecke. Auf Kreuzungen, Abzweigen oder auf Betriebshöfen nutzen die Busse ihre Batterien. Dies spart ein optisch unattraktives Wirrwarr von Oberleitungen auf Kreuzungen, das heute in Berlin städtebaulich nicht mehr durchsetzbar wäre. Vorteile hat das System viele: Die Busse bräuchten nur kleine Batterien, würden sich während der Fahrt automatisch immer nachladen. Ein solches Konzept mit vier Linien auf 25 Kilometern hat die BVG bereits für Spandau entwickelt.
Lesen Sie mehr im Tagesspiegel zum neuen Nahverkehrsplan
- Kommentar: Ein Traum in BVG-Gelb – der bald zerplatzen könnte. Der neue Berliner Nahverkehrsplan liest sich wie ein Wunschzettel, dem jeder zustimmen kann. Nur spricht viel dagegen, dass er umgesetzt wird. Ein Tagesspiegel-Kommentar.
- Seit 1980 liegt die S-Bahnstrecke brach. Siemens setzt sich für den Wiederaufbau ein. Und jetzt soll alles ganz schnell gehen. Und auch die Straßenbahn soll in Spandau wieder rollen. Hier der Blick auf die Ziele für Berlins westlichsten Bezirk - im Spandau-Newsletter.
- Reaktionen: CDU nennt Bürgerticket "sozialistische Umverteilung". Der Nahverkehrsplan von Rot-Rot-Grün kommt bei der Opposition nicht gut an. Die geplante Ausweitung des Streckennetzes stößt aber auch auf Zustimmung. Hier der Tagesspiegel-Text.
- Die Seilbahn soll erhalten bleiben. Hier die Infos zum Nahverkehrsplan im Marzahn-Newsletter vom Tagesspiegel.
- Um wie viel Geld geht es eigentlich? Innerhalb von 15 Jahren sollen 28 Milliarden Euro ins System fließen. Hier der Tagesspiegel-Text.
- Und was heißt das für die Preise? Azubis und Arbeitnehmer zahlen weniger. Die Tickets für Azubis und Arbeitnehmer werden günstiger. Insgesamt sollen die Preise aber moderat steigen. Hier der Tagesspiegel-Text.
- 100er, 200er ... und jetzt führt die BVG die 300er-Linie ein – mit E-Bussen. Hier geht es zum Tagesspiegel-Text.
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