Hitzewelle: Das Schiff, das die Berliner Fische rettet
Der mit dem Blubb: Nachts zieht ein Belüftungsschiff seine Bahn auf Berlins Kanälen – damit die Fische nicht sterben.
Ganz Berlin wartet auf den erlösenden Regenguss. Nur nicht Uwe Jaskolsky: „Wenn jetzt Regen kommt, wird es richtig schlimm.“ Dann könnten Fische sterben, malt der Schiffsführer, der ausdrücklich nicht Kapitän genannt werden möchte, die Katastrophe an die Wand.
Abends, wenn die Dämmerung eingebrochen ist und die Nebelkrähen ihre letzten Runden über der Stadt drehen, beginnt der Arbeitstag für Jaskolsky, seinen Maschinisten und einen Matronen. Dann schließt er die großen Eisentore an der Lahnstraße auf und geht mit forschen Schritten zum Unterhafen des Neuköllner Schifffahrtkanals. Dort liegt das weiß-rote Schiff still im spiegelglatten Wasser.
Der idyllische Schein trügt: Die Probleme liegen unter der Oberfläche. Mit steigenden Temperaturen sinkt der Sauerstoffgehalt, da warmes Wasser weniger Sauerstoff speichern kann, erklärt Jaskolsky. Darunter leiden die Fische.
Deshalb ist Jaskolsky jedes Jahr von Mai bis September mit dem sogenannten Belüftungsschiff unterwegs. In diesem heißen Sommer brechen Jaskolsky und seine beiden Kollegen häufiger auf als sonst: unter der Woche jeden Abend gegen 22 Uhr, um das Wasser im Neuköllner Schifffahrtskanal sowie im Landwehrkanal mit Sauerstoff anzureichern.
Denn in den Nächten sinke der Sauerstoffanteil in beiden Gewässern unter den für die Fische kritischen Wert von 2,5 Milligramm pro Kubikmeter. Um die Karpfenfische wie Plötzen und Rotfedern, aber auch Aale und Hechte, die sich in den Kanälen tummeln, zu retten, hat die Schiffscrew einen großen Tank an Bord – gefüllt mit acht Kubikmetern reinem Sauerstoff. Der reicht für eine Woche.
Algen sind mitverantwortlich für Sauerstoffmangel
Jaskolsky öffnet eine große Klappe im Bug des Bootes und legt den Blick auf das Kanalwasser frei. Sechs große Tauchpumpen saugen das Wasser an. Anschließend fließt es in Rohren durchs Schiffsinnere, wo der Sauerstoff hinzugefügt wird und das Ganze wieder zurück in den Kanal gespült wird. Im Wasser sieht es dann so aus, als hätte jemand Brausetabletten verteilt.
Verantwortlich für den Mangel sind vor allem die Algen, die sich während der Hitzewelle rapide vermehrt haben. Blaualgen produzieren zwar Sauerstoff. Streng genommen sind sie aber keine Pflanzen, sondern Bakterien. Diese Besonderheit führt dazu, dass sie am Tage bei Sonnenschein Photosynthese betreiben, nachts aber ebenso Sauerstoff verbrauchen. Deshalb seien die Werte in den Kanälen tagsüber in Ordnung, erklärt Naturexperte Derk Ehlert von der Umweltverwaltung, die das Schiff auch betreibt. Nachts sinke der Sauerstoffgehalt dagegen rapide.
Starkregen würde Kanalisation überfordern
Regen würde nicht helfen, im Gegenteil: Ein Starkregen, so prophezeien es Ehlert und Jaskolsky, würde die Kanalisation überfordern. Abwasser und der Dreck der Straßen landen dann in den Kanälen. Die Bakterien, die dieses Gemisch im Wasser zersetzen, benötigen noch mehr Sauerstoff. „Ideal wäre es, wenn es erst kühler wird“, sagt Ehlert, „die Algen gehen dann von allein zurück. Anschließend kann auch der Regen kommen.“
„Der Landwehrkanal war ja von Hause aus schon immer die Kloake von Berlin“, sagt Jaskolsky. In den 1970er und 80er Jahren habe es dort nach jedem Starkregen massives Fischsterben gegeben, ergänzt Ehlert. Aus diesem Grund schaffte der Senat 1995 das Belüftungsschiff an – bis heute bundesweit das einzige Boot dieser Art. Eine halbe Million Euro kostet es die Stadt mit Personal- und Wartungsarbeiten jedes Jahr.
„Langfristig wollen wir das Regenwasser möglichst komplett in der Kanalisation auffangen“, sagt Ehlert. Beispielsweise sei ein Teil des Mauerparks momentan deshalb nicht zugänglich, weil dort unterirdisch ein riesiger Wassertank entstehe, erklärt Ehlert. Dann gelange das Abwasser nicht mehr so schnell zu den Fischen. Doch nun legen Uwe Jaskolsky und sein Team ab. Es ist eine einsame Fahrt: Nachts darf nur das Belüftungsschiff die Kanäle befahren.
Milena Fritzsche