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Migräne, Erschöpfungszustände, unstete Belastbarkeit: Sabrina, 34, ist Rentnerin, seit sie vor zwölf Jahren von der Krebskrankheit geheilt wurde.
© Mike Wolff

Krebs und die Folgen: Das neue Tabu heißt Armut, nicht Tod

Viele Krebskranke überleben heute ihre Tumore, doch was kommt dann? Oft Frühverrentung und finanzielles Elend. Sabrina aus Berlin hat das erlebt.

Sie wollte Bankerin werden, nach ihrer Ausbildung zur Bankkauffrau an der Hochschule für Bankwirtschaft in Frankfurt studieren, ihren Abschluss machen und Geld verdienen. Mehr als das, was es gab, seit sie mit 16 Jahren begonnen hatte, bei einer Eis-Franchise-Kette am Alexanderplatz zu arbeiten. Ihr Plan war, mit 30, spätestens 35 Jahren ihren Eltern ein Haus zu kaufen und sich bei ihnen zu bedanken, dass sie immer für sie dagewesen sind. Doch es kam anders.

Mit 22 Jahren bekommt Sabrina einen Brief von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte: „Sehr geehrte Frau . . ., auf Ihren Antrag vom . . . erhalten Sie von uns Rente wegen voller Erwerbsminderung.“ Der Brief ist von 2003. Statt mit Mitte 30 eine gut verdienende Bankerin, ist sie seit zwölf Jahren Rentnerin.

Sabrina hatte Krebs. Einen Hirntumor, pfirsichgroß. Früher ein Todesurteil, doch wie immer mehr Menschen mit bösartigem Tumor, hat sie die Therapie überstanden: Erst wird sie im August 2003 am Gehirn operiert und vom Tumor befreit, dann wird ihr Kopf bestrahlt, zur Sicherheit. Fotos zeigen ihren kahlen Schädel, mit schwarzen Markern bemalt – ein Halbkreis über dem rechten Ohr, Striche – ein bisschen wie das Fadenkreuz, wenn man durch eine Waffe blickt. 36 Gray, die maximal zulässige Dosis Strahlung für einen Menschen, sagt man ihr damals. Ein paar Sekunden pro Termin, drei Wochen lang. Wüsste man es nicht besser, man könnte kurz zweifeln, dass das, was man sieht, zum Wohle der Patientin geschieht.

Sabrina fühlt sich jedes Mal ihrer Seele beraubt. Knallrot ist die Kopfhaut und riecht komisch. Meistens schläft die junge Frau noch im Auto des Fahrdienstes auf dem Weg nach Hause ein. Sabrina stellt fest, dass sie diese Behandlung braucht, sie will kooperieren, sie will den Krebs überleben. Und es ist ihr geglückt – wie rund 80 Prozent der 15 000 Menschen zwischen 15 und 40 Jahren, die jedes Jahr in Deutschland neu an einem Tumor erkranken. Sie hat ihre Krebserkrankung überstanden. Doch so richtig viel Platz für ihr Leben ist nicht.

Sie ist nicht mehr Patientin, aber gesund eben auch nicht

Menschen, die eine Krebstherapie hinter sich haben, passen nicht so recht in die Kategorien von Arbeitsmarkt, Gesundheits- und Sozialsystem: Sie sind nicht mehr Patient, gelten nach einigen tumorfreien Jahren als geheilt, doch dauerhaft beschwerdefrei sind viele von ihnen nicht. Sie können arbeiten und die Mehrheit von ihnen versucht nach der Therapie den Weg zurück in die Berufstätigkeit, aber sie sind chronisch erschöpft oder haben starke Kopfschmerzen, können sich eingeschränkt konzentrieren oder haben als Folge einer bestimmten Chemotherapie Hörschäden und Tinnitus.

Manche Langzeiteffekte treten gleich nach der Behandlung auf, manche Spätfolgen kommen ein Jahr oder gar erst zehn bis zwanzig Jahre danach. Die eine typische Geschichte eines Krebs-Patienten gibt es deshalb weder bei der Behandlung, noch bei den Lebensverläufen danach: Eine Frau beginnt nach Brustkrebs wieder zu arbeiten, geht dann aber nach einem Jahr wegen schwerer Fatigue in Erwerbsminderungsrente – heute arbeitet sie zwei bis drei Stunden pro Tag. Ein junger Patient gilt als geheilt und schließt sein Studium ab, dann geht plötzlich ein halbes Jahr lang gar nichts – heute arbeitet er erfolgreich in einem Architektenbüro.

Die Rente reicht schon jetzt nicht - und keine Aussicht auf Besserung

Migräne, Erschöpfungszustände, unstete Belastbarkeit: Sabrina, 34, ist Rentnerin, seit sie vor zwölf Jahren von der Krebskrankheit geheilt wurde.
Migräne, Erschöpfungszustände, unstete Belastbarkeit: Sabrina, 34, ist Rentnerin, seit sie vor zwölf Jahren von der Krebskrankheit geheilt wurde.
© Mike Wolff

Weil Unterstützungssysteme und Arbeitsplätze auf solche Biographien nicht ausgelegt sind, irren viele zwischen Krankenversicherung, Rentenversicherung, Versorgungsamt und Arbeitsämtern hin und her. Sie werden von einem Kostenträger zum anderen geschoben. Mit einer Krebserkrankung landet man heute schneller in der Erwerbsminderungsrente, beobachten Ärzte und Beratungsstellen, und damit finanziell unter dem Existenzminimum. Nicht mehr der Tod, sondern die Armut von Krebserkrankten ist das neue Tabu.

811,06 Euro im Monat

„Wo ist das Problem?“, fragt man sich kurz, wenn man Sabrina heute in ihrer 55-Quadratmeter-Wohnung in Pankow besucht. An den Wänden hängen Holzfische in Rosa, Gelb, Grün und Blau. Rundliche Frauen aus Ton – Erinnerungsstücke an Nicaragua, wo Sabrina vor ihrer Erkrankung ein halbes Jahr Spanisch lernte – tragen buntes Obst vor der Brust her. Leben, Tod, schwarz, weiß. Sabrina trägt eine zart grüne Bluse, passend zu ihren Augen. Die 34-Jährige wirkt selbstbewusst, kompetent. Gemütliches Sofa, volles Bücherregal. An der Wand ein Kochbuch neben dem anderen.

Dann sagt Sabrina: ihr Kühlschrank ist leer. Bis auf Milch für den Kaffee hat sie keine Lebensmittel zu Hause. Zum Frühstück, Mittagessen und Abendessen geht sie zu ihren Eltern, die ein paar Häuser weiter wohnen. 743,41 Euro betrug Sabrinas Rente ursprünglich, nach Anpassungen sind es jetzt seit Juli 811,06 Euro im Monat. Ihre Miete beträgt 430 Euro, dazu kommen Kosten für Telefon und Computer, Haftpflicht, Strom, GEZ.

Seit 2012 gilt Sabrina als vom Krebs geheilt. Sie hat häufig starke Migräne, kann sich schlechter konzentrieren, tageweise fühlt sie sich so stark erschöpft, dass man ein eigenes Wort dafür braucht. Als Folge der massiven OP am Gehirn ist sie linksseitig leicht gehbehindert und kann mit ihrer Hand nicht mehr greifen. Ihr linkes Blickfeld ist eingeschränkt. Auch mit den Hormonen gibt es seit der Therapie Probleme. Damit muss sie leben, sagt Sabrina, dafür ist sie am Leben. In einer Tabelle sieht sie sich aber bei den Kosten, „und da steht ein großes schwarzes Minus davor.“

Besonders jungen Leute droht der finanzielle Absturz

12,5 Prozent der 171 000 neuen Erwerbsminderungsrentner im Jahr 2014 hatten Krebs. Bis auf geringfügige Anpassungen wurden diese Renten seit 2000 stetig gekürzt, sagt Jürgen Walther vom Sozialdienst des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen in Heidelberg. Wer heute neu Erwerbsminderungsrente beantragt, bekommt im Durchschnitt 630 Euro pro Monat und liegt somit deutlich unter der Armutsgrenze.

Soziale Fragen werden in den Krebsberatungsstellen und Sozialdiensten der Krankenhäuser immer wichtiger. Besonders junge Erwerbstätige, Familien und kleine Selbständige bringe eine Erkrankung finanziell in Gefahr. „Vielen droht ein Sturz ins Bodenlose“, sagt Walther. „Die gesetzliche Erwerbsminderungsrente reicht nicht aus, um den in gesunden Tagen entworfenen Lebensplan zu realisieren.“

Zurück zum Plan, das hatte sich Sabrina gewünscht. Nach einer Reha beginnt sie 2004 wieder zu studieren. Zwar nicht in Frankfurt – ihre Ärzte, ihre Ergotherapeuten, ihre Freunde und ihre Familie, alle, die für sie da sind, sind in Berlin – dafür „International Business“ in Karlshorst. Ein Studiengang auf Englisch. „Ich wollte was Anspruchsvolles“, sagt sie. An der Uni findet sie Freunde, die sie unterstützen, deren Mitschriften sie verwenden darf, weil sie selbst nicht so schnell mitschreiben kann. Sie lernen gemeinsam. Am Wochenende verkauft sie sogar noch auf Märkten Postkarten, um ein Giebelwandbild eines Künstlers aus Nicaragua an der Lichtenberger Brücke zu erhalten. Ein Praktikum in der Botschaft Venezuelas... Es wird viel zu viel.

Mal in Form, dann völlig k.o.: Welcher Arbeitgeber kann das brauchen?

Migräne, Erschöpfungszustände, unstete Belastbarkeit: Sabrina, 34, ist Rentnerin, seit sie vor zwölf Jahren von der Krebskrankheit geheilt wurde.
Migräne, Erschöpfungszustände, unstete Belastbarkeit: Sabrina, 34, ist Rentnerin, seit sie vor zwölf Jahren von der Krebskrankheit geheilt wurde.
© Mike Wolff

Sabrina hat einen Rückfall, eine Hirnblutung. Sie muss neuerlich in die Reha. Es ist ihre „zweite Bekanntschaft mit dem Tod“. Der Künstler aus Nicaragua, für dessen Kunst sie gesammelt hatte, kommt Sabrina in der Reha besuchen. Er malt ihr ein Bild. Es zeigt ein Dorf in Nicaragua, am Horizont ein grün bewachsener Vulkan, darüber Sabrinas Kopf in den Wolken.

Durch die zweite Reha verpasst Sabrina den Anschluss an ihren Jahrgang. In der neuen Gruppe trifft sie auf eine eingeschworene Gemeinschaft. Niemand will mit Mitschriften helfen. Die Kommilitonen verstehen nicht, dass sie etwas mehr Prüfungszeit bekommt. Sie wissen nicht, dass ihr wegen der Sehbeeinträchtigung beim Lesen leicht die Zeile verrutscht. Wenn wegen der Lähmungserscheinungen bei einem Referat Sabrinas linker Unterarm unkontrolliert nach oben zieht und die Hand sich anwinkelt, tuscheln zwei Mitstudenten.

Noch heute denkt Sabrina daran, wenn sie vor anderen sprechen soll. Bis zum Schluss freundet sie sich mit niemandem an und zieht das Studium trotzdem durch. „Um mir zu beweisen, dass es mir nichts ausmacht“, sagt Sabrina. Als sie 2010 mit einem Schnitt von 2,0 ihren Bachelor abschließt, ist die frühere Einser-Schülerin traurig. Ein Professor sagt ihr, sie sei besser als der Jahresdurchschnitt.

Sie kann nicht richtig sehen, rennt gegen Laternen

Ehrgeizig in der Schule, Leistungssportlerin. Früher war Sabrina die, die immer allen zeigen will, dass sie es kann. Die 16-Jährige, der die Ärzte wegen ihres chronischen Kopfschmerzes immer nur raten, sie solle sich mal entspannen. Sie solle autogenes Training probieren. Dann kam die Sabrina nach der Operation: die die Leute auf der Straße plötzlich angucken, weil sie den Fuß nachzieht und sich schlecht orientieren kann. Die gegen die Laterne rennt, mit Fremden kollidiert und die hört: „Hast du keine Augen im Kopf?“

Sie wurde die Sabrina, die irgendwann nicht mehr aushält, dass ihr Freund immer für sie kocht – wo doch Kochen ihre Leidenschaft war – und sich trennt. Ihre Abschlussarbeit schreibt Sabrina über das Freihandelsabkommen CAFTA zwischen den USA und den Entwicklungsländern Zentralamerikas. Sie beschreibt, wie die Zölle zwischen den ungleichen Ökonomien weggefallen sind. Wie Importe aus der hochtechnisierten US-Agrarwirtschaft plötzlich günstiger waren als lokale Produkte Nicaraguas.

Als Sabrina sich für Praktika bewirbt hat sie noch keine großen Probleme. Sie arbeitet bei Vertretungen Europäischer Organisationen in Berlin mit und nochmal bei einer Botschaft. „Lebenslauf aufpolieren“, sagt sie. Dann bewirbt sie sich um richtige Stellen, schreibt dazu, dass sie schwerbeschädigt ist, und bekommt nur Absagen, wie sie erzählt.

Für Kinder gibt es spezielle Förderprogramme, für Erwachsene nicht

Ein einziges Mal wird Sabrina eingeladen. Sie erinnert sich an ein tolles Gespräch, aber die Stelle gibt es leider nur Vollzeit. Sabrina bräuchte einen Job, in dem sie flexibel arbeiten kann. Bei dem sie zuhause bleibt, wenn ihr Migräne und Erschöpfung zu schaffen machen, und dann dafür beim nächsten Mal etwas mehr macht. Von der Bankenbranche, wo man 110 Prozent und mehr geben muss, hat sie sich mittlerweile verabschiedet. Dieses Soll könne sie nicht erfüllen. Aber Außenwirtschaft, EU? 2014 hört Sabrina auf, sich auf Stellen zu bewerben, die zu ihrem Studium und ihren Schwerpunkten passen.

„Eine Krebserkrankung ist ein Bruch in jeder Biographie“, sagt Bernhard Wörmann, Onkologe an der Charité in Berlin, „aber die, die Krebs überstanden haben, sind starke Personen.“ Wörmann bietet eine spezielle Sprechstunde für junge Erwachsene mit Krebs an. In den letzten 20 Jahren hat er beobachtet, wie Sorgen um die finanzielle Existenz seine Patienten immer stärker belasten. Dabei könne man die Defizite durch die Erkrankung bei entsprechender Förderung gut ausgleichen. Kinder mit Krebs können einen überdurchschnittlich guten Schulabschluss machen, sagt Wörmann. „Diese Idee müsste man auf die Erwachsenenwelt übertragen.“

Die Krankheit hat ihre Welt kleiner gemacht

Migräne, Erschöpfungszustände, unstete Belastbarkeit: Sabrina, 34, ist Rentnerin, seit sie vor zwölf Jahren von der Krebskrankheit geheilt wurde.
Migräne, Erschöpfungszustände, unstete Belastbarkeit: Sabrina, 34, ist Rentnerin, seit sie vor zwölf Jahren von der Krebskrankheit geheilt wurde.
© Mike Wolff

Sabrinas heutige Rolle in der Gesellschaft ist paradox. Im sozialen Umfeld ist sie das gute Beispiel, das Mut macht. Die, deren Telefonnummer weitergegeben wird, wenn die Cousine der Freundin einer Freundin in Barcelona auch einen Hirntumor hat. Sie ist die, die Schlaganfallpatienten, die Lähmungserscheinungen haben, zeigt, was das Gehirn nach einer ernsthaften Verletzung alles wieder lernen kann – wenn man die Hoffnung nicht aufgibt, wenn man dran bleibt und trainiert. Falls sie mal ein Pseudonym suche, solle sie sich doch „Sabrina Lebensmut“ nennen, hat ihr eine Freundin aus dem Selbsthilfeverein „Leben nach Krebs!“ mal gesagt. Sabrina hat den Verein mitbegründet, er richtet sich speziell an junge Krebsüberlebende.

Sie hat wieder gelernt, sich zu freuen, das will sie weitergeben

Sie kennt die Momente, in denen alles zusammenkracht und Nichtwiederaufwachen einfacher scheint. Aber sie kann auch erzählen, wie sie in den Tagen nach der OP in der Wohnung des Freundes in Friedrichshain saß, wie sie nicht hinauskonnte, sah wie Sonne auf eine Orchidee scheint und sich dachte, „da steckt Leben drin.“ Heute stehen viele Orchideen in ihrer Wohnung, weiß und violett. Sabrina hat gelernt zurückzuschauen, wenn jemand in der Straßenbahn blöd guckt, und gleichzeitig dankbar zu sein, wenn ihr ältere Damen einen Sitzplatz anbieten. Sie teilt ihre Lebenserfahrung, aber ihr Wissen und ihre Kompetenzen sind kaum noch was wert, nur weil sie nicht vollständig funktioniert. „Ich möchte gefordert werden, ich möchte Dinge tun“, sagt Sabrina.

Die Krankheit hat ihre Welt kleiner gemacht. Zwei Mal pro Woche Krankengymnastik, zwei Mal pro Woche Ergotherapie. Ihre Woche ist geprägt von Essen mit der Familie und Arztterminen. Sie, bei der früher immer alle angerufen haben, um zu wissen, was die Clique am Samstagabend unternimmt, wo es hingehen soll. Die Freunde haben sich dezimiert, viele wussten nicht wie sie mit ihr umgehen sollen. „Natürliche Auslese“, kommentiert Sabrina. Letztens hat sich eine der Freundinnen von damals, die den Kontakt abgebrochen hatte, über Facebook gemeldet. Sie sind Kaffee trinken gegangen. Soll ich Sabrina erzählen, wenn ich tanzen war, hat sich die Freundin irgendwann gefragt. Soll ich erzählen, wenn ich einen attraktiven Mann kennengelernt habe? Die Freundin war den Tränen nahe bei dem Treffen.

Eine Freundin im Café treffen, kostet sie oft 25 Euro

Ab und zu kann sich Sabrina leisten, dass sie mit einer der guten Freundinnen, die geblieben sind, einen Kaffee trinken geht. Und ab und zu leistet sie sich, unabhängig davon zu sein, dass das Café für sie günstig liegt. Dann fährt sie öffentlich und geht von der Haltestelle zum Café langsam zu Fuß und plant für den Weg aus Pankow gut eine Stunde ein. Dann nach dem Kaffee, wenn sie erschöpft ist, fährt sie mit dem Taxi nachhause. Insgesamt circa 25 Euro kostet sie das.

Für Sabrinas Lebensqualität spielt ihre Familie eine zentrale Rolle: Die Freunde des Bruders haben die Wohnung hergerichtet. Die Eltern helfen schwere Sachen die Treppe hochzutragen und beim Putzen bei bestimmten Handgriffen. Ihre Eltern schießen ihr Geld zu, so kann sie sich auch mal ein Oberteil kaufen, alle paar Monate. So sieht man ihr ihr Leben unter dem Existenzminimum nicht an. Sabrina will kein Mitleid, sie will auch nicht, dass alte Schulkollegen wissen, wie es ihr finanziell geht. „Wo ich mit 16 angefangen habe zu arbeiten“, sagt sie.

Wie wird Sabrinas Zukunft aussehen? Wenn sie auf ihren Schwerbehindertenausweis sieht, steht dort, dass sie bis 2020 schwerbehindert ist. Die Erwerbsminderungsrente, von der sie nicht leben kann, wird bis 2048 gezahlt.

Der einzige Satz mit zitternder Stimme: „Meinen Eltern darf nichts passieren“

Ab dann ist sie regulär Rentnerin. Sabrinas Mutter hört nächstes Jahr auf zu arbeiten, ihr Vater ist schon Rentner, arbeitet aber noch alle zwei Wochen. Sie hat eine Freundin, auf die sie sich absolut verlassen kann, sagt Sabrina. Die Freundin lebt in Aachen, deren zweites Kind ist gerade 21 Monate alt. Sabrinas Bruder ist in Berlin. Sie weiß, dass er davon träumt, an der Küste zu leben.

Für den Selbsthilfeverein ist sie seit Februar 2015 als Kassenwartin tätig. „Accounting“, sagt Sabrina, da kennt sie sich aus. Vielleicht kann der Verein durch Spenden Stellen schaffen, das wäre eine Perspektive. Dann hätte sie eine sinnvolle Tätigkeit, ein Arbeitsumfeld, das ihre Situation versteht und könnte sich bis zu 450 Euro dazuverdienen. Wird das für die Zukunft reichen? Für das, was später mal kommt? „Meinen Eltern darf nichts passieren“, sagt Sabrina. Es ist ihr einziger Satz mit zitternder Stimme.

Katharina Ludwig

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