Zum Todestag von Heinz Galinski: Das jüdische Gewissen der Nation
Heute vor 20 Jahren starb Heinz Galinski. Als Leiter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und des Zentralrats der Juden in Deutschland gab er den deutschen Juden ein Gesicht. Mit seiner Haltung zu Israel und Rechtsextremismus machte er sich nicht nur Freunde. Seine Nachfolger müssen nun hohen Erwartungen gerecht werden.
Als Heinz Galinski, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, an diesem Mittwoch vor 20 Jahren an den Folgen einer Herz-OP starb, schien eine Epoche zu enden. Keine Persönlichkeit hatte der jüdischen Präsenz im westlichen Nachkriegsdeutschland so streng, kantig, ehrfürchtig respektiert und von manchen gefürchtet über Jahrzehnte ein derart markantes Gesicht gegeben. Der Textilkaufmann Galinski, 1912 im westpreußischen Marienburg geboren, hatte schwere Zwangsarbeit in Berlin ab 1940 und später drei Konzentrationslager überlebt. Seine erste Frau und seine Mutter wurden in Auschwitz ermordet. Der Status „Überlebender“ prägte die Wahrnehmung seiner Ämter als moralische Instanzen. Den Zentralrat leitete der kleine, ernste Mann von 1954–63 und von 1988–92, die Jüdische Gemeinde im Westen der Stadt seit 1949.
„Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen“, konterte Galinski, der Mahner, wenn Kritiker seine öffentlichen Stellungnahmen hinterfragten, seinen Schulterschluss mit Israel und seine Warnungen vor dem Rechtsradikalismus, mit denen er nach dem Mauerfall auch in neuen Bundesländern vernehmbar wurde.
Als Gewissen der Nation und angeblich kaum angreifbarer Repräsentant der NS-Opfer bot dieser jüdische Funktionär auch eine Zielscheibe für Ressentiments und Schmähungen. Unverletzt war Galinski 1975 einem Paketbomben-Anschlag entkommen. 1987 wurde er Berliner Ehrenbürger, zwei Jahre später begründete die Heinz-Galinski-Stiftung der Jüdischen Gemeinde einen Heinz-Galinski-Preis; postum erhielten eine Schule und eine Straße seinen Namen. 1996 wurde an seinem einstigen Wohnhaus in der Schönhauser Allee eine Gedenktafel angebracht, zur Erinnerung an die Deportation seiner Familie 1943. Nachgerufene Ehrungen verdeckten zum Teil, dass die unbeirrbare Figur des Juden Heinz Galinski von vielen in der Nachkriegsgesellschaft, in der Wirtschaftswunder-Republik und während der Vorwendejahre als Provokation empfunden wurde. Im September und Dezember 1998 verübten unbekannte Täter Sprengstoffanschläge auf sein Grab in Westend.
Während der Jahrzehnte seiner Gemeinde- und Zentralratsleitung war Galinskis unverbrüchliche Solidarität mit Israel für jüdische Institutionen in Deutschland zum Programm geworden. Trotzdem berief sich seine Tochter Evelyn Hecht-Galinski, die mit „innerjüdischer“ Polemik gegen den Zentralrat und Israels Besatzungspolitik ab 2003 von sich reden machte, auf das „Ich habe nicht überlebt, um zu schweigen …“ -Zitat ihres verstorbenen Vaters. Zum Umgang mit Galinskis Vermächtnis gehört zudem bis heute der historisch begründete Konflikt um das Dach jener „Einheitsgemeinde“, unter das sich längst nicht mehr alle jüdischen Gruppierungen begeben möchten.
Auf die Herausforderung einwanderungsbedingter Umschichtung in jüdischen Gemeinden hat der Vorsitzende seine Organisationen, die er so lange führte und prägte, kaum vorbereiten können. Heinz Galinski repräsentierte Berlins Juden und das Judentum in Deutschland: als deutscher Jude, als Zeitzeuge der Shoah. Mit Dieter Graumann vertritt jetzt erstmals ein Nachgeborener den Zentralrat, mit Gideon Joffe erstmals ein Vertreter der Enkelgeneration und zugleich Zuwanderer die Berliner Gemeinde. An dem Anspruch, an der biografischen Autorität, am Format ihres Vorgängers wie an seiner Profilierung seiner Ämter dürfen sich noch künftige Nachfolger abarbeiten. Thomas Lackmann