Chaotischer Start: Gideon Joffe zum neuen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Berlin gewählt
Tumulte und Buhrufe: Gestern hat die Jüdische Gemeinde ihren neuen Vorstand gewählt. Den Posten des Vorsitzenden bekam war Gideon Joffe, gegen den die Staatsanwaltschaft ermittelt.
In sehr aufgeheizter Stimmung fand am Mittwochabend die konstituierende Sitzung des neuen Parlaments der Jüdischen Gemeinde statt. „Austritt statt Koach“ stand auf einem Plakat, das eine Frau hochhielt, als das Wahlbündnis „Koach“ (Stärke) um Gideon Joffe den Gemeindesaal in der Fasanenstraße betrat. „Zuerst die Treberhilfe, dann die Jüdische Gemeinde = Pleite“ war auf einem anderen Transparent zu lesen. Es spielte darauf an, dass Joffe, der zum neuen Gemeindechef gewählt wurde, für kurze Zeit Geschäftsführer der insolventen Treberhilfe war. Zurzeit ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen des Verdachts auf Insolvenzverschleppung, so ein Sprecher.
Joffe und sein Bündnis „Koach“ belegen 14 der 21 Sitze in der neuen Repräsentantenversammlung. Fast alle „Koach“-Repräsentanten sind Neulinge, viele sind zwischen 27 und 45 Jahre alt, die meisten Akademiker, fast alle stammen aus Familien, die in den vergangenen zwanzig Jahren aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion eingewandert sind. Das neue Gemeindeparlament hat am Mittwochabend aus seiner Mitte den achtköpfigen Vorstand der Gemeinde und dieser den Vorsitzenden gewählt. Doch dies zog sich hin. Nach vier Stunden Sitzung, die immer wieder von Buhrufen und Johlen begleitet war, standen lediglich der Vorsitzende des Gemeindeparlaments und die Schriftführer fest.
Vor der Wahl des Vorstandes bat die Opposition die noch unbekannten Mitglieder von „Koach“, sie mögen vortragen, für welche Dezernate sie kandidieren wollen und welche Qualifikationen sie dafür mitbringen. Koach lehnte es ab, Auskünfte zu geben. „Wollen Sie tatsächlich für den Gemeindevorsitz kandidieren angesichts der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Sie“, fragte Oppositionsmitglied Michael Joachim Gideon Joffe. Nach einer langen Diskussion darum, ob diese Frage überhaupt zulässig sei, entgegnete Joffe, dass die Gemeindemitglieder von den Ermittlungen gegen ihn gewusst hätten, als sie zur Wahlurne gingen und sich dennoch mehrheitlich für ihn entschieden. „Jede weitere Diskussion erübrigt sich“, so Joffe.
Der 39-jährige Betriebswirt stand von 2005 bis 2008 schon einmal an der Spitze der Jüdischen Gemeinde. Damals hat er sich keinen Namen als Sanierer gemacht. Die Gemeinde steckte auch damals schon in der finanziellen Krise. Nun ist sie überschuldet. Über Jahre wurde den Angestellten zu hohe Betriebsrenten gezahlt; aus diesem Grund fordert der Senat mehrere Millionen Euro zurück. Wird keine neue Rentenordnung gefunden, fließt womöglich schon in wenigen Jahren der überwiegende Teil des Gemeindehaushalts in die Deckung dieser Rentenansprüche, fürchten Wirtschaftsprüfer. Die Gemeinde wäre handlungsunfähig.
Der vorige Gemeindevorstand um Lala Süsskind hatte der Gemeinde in den vergangenen vier Jahren einen strikten Sparkurs verordnet und mit dem Senat ein Sanierungskonzept ausgehandelt, das einen nahezu ausgeglichenen Haushalt ermöglicht hätte. Das Gemeindeparlament lehnte das Konzept ab. Einer der Wortführer, der immer wieder Stimmung gegen den Sparkurs machte, war Gideon Joffe.
Lala Süsskind ist nicht mehr angetreten. „Ich werde ein halbes Jahr zuschauen, ob der neue Vorstand eine Lösung für das Finanzproblem findet“, sagte sie am Mittwochabend. „Wenn nicht, werden meine Freunde und ich austreten.“
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