Mangel an Impfstoff in Berlin: „Das ist wirklich ein Ober-GAU“
Es kommt weniger Impfstoff als bestellt. Und ob Quarantäne-Brecher bald zwangsuntergebracht werden, ist unklar. Was den Berliner Senat jetzt beschäftigt.
Fehlender Impfstoff, wütendes Klinikpersonal und eine beginnende Debatte über das Zwangsunterbringen von Quarantäne-Verweigerern – Berlins Senat steht eine heikle Woche bevor. Zum Auftakt hatte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) scharf die Bundesregierung kritisiert, weil angekündigter Impfstoff wohl nicht komme. Dass Biontech und Pfizer ihre Liefermenge reduzierten, sei ein Schock gewesen, sagte Kalayci im Gesundheitsausschuss: „Das ist wirklich ein Ober-GAU.“
Ob die für diesen Dienstag avisierten 29.250 Biontech-Dosen noch eintreffen, gilt zwar als wahrscheinlich – geplant aber war, bis Mitte Februar jede Woche eine solche Charge zu erhalten. Diese Lieferungen fielen „geringer“ aus, sagte Kalayci. Offenbar gebe es „Kommunikationsprobleme“ zwischen Pharmakonzernen und Bundesregierung.
In Berlin sind bislang insgesamt 90.000 Impfdosen von Biontech und US-Hersteller Moderna angekommen. Davon habe man 50 Prozent verimpft, sagte Kalayci, die Hälfte also aufgehoben, damit die Patienten trotz Lieferproblemen sicher die nötige Zweitdosis erhielten.
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Trotz des Mangels an Impfstoff, der ja nicht aus Berlin käme, laufe aber vieles gut. Das für die Termine in den Impfzentren beauftragte Callcenter nehme die Anrufe im Schnitt in „1,17 Minuten“ entgegen. Mehr als 500 Beschäftigte arbeiteten dort, bald sollen es 600 werden.
Opposition berichtet über Probleme der Hotline
Nun widersprach die Opposition. „Uns erreichen dauernd Berichte“, sagte Florian Kluckert (FDP), „wonach das Callcenter ständig besetzt ist. Die Berliner kommen nicht durch.“ Auch beim Tagesspiegel beschwerten sich Senioren darüber, dass sie trotz Aufforderung per Brief, sich telefonisch zu melden, keinen Termin bekämen.
Zudem lasse Senatorin Kalayci die Pflegekräfte im Stich, sagte der CDU-Abgeordnete Tim Zeelen. Andere Bundesländer hätten sie zeitgleich zu den Bewohnern in den Heimen geimpft, denn oft brächte das Personal unbeabsichtigt das Coronavirus hinein. Wie berichtet fordern auch die Kliniken neue Impfdosen. In der Charité wird von 90 Prozent Impfbereitschaft ausgegangen – elf Prozent der 19.000 Beschäftigten haben die erste Spritze erhalten.
„Hätten wir genug Impfstoff, hätten wir die Pflegekräfte in den Heimen mitgeimpft“, sagte Kalayci – und verwies darauf, dass es in den Pflegeheimen der Stadt ab sofort mehr Hilfe durch die Bundeswehr geben werde. So sollen Soldaten bei den Schnelltests für Personal und Besucher helfen. Die Senatorin räumte ein, dass die telefonischen Terminbuchungen für die Impfzentren oft nicht im ersten Anlauf klappten. Das System funktioniere aber grundsätzlich. Für das Impfzentrum in der Treptower „Arena“ gebe es für die nächsten Wochen 105.000 buchbare Termine, für das Weddinger Eisstadion 8500 und für die Messe 69.000.
Drittes Impfzentrum arbeitet
Erst am Montag war Berlins drittes Impfzentrum eröffnet worden: In Messehalle 21 sollen, solange der gelieferte Impfstoff nicht für mehr reicht, 200 bis 300 Dosen pro Tag eingesetzt werden. Die Berliner sollen wählen können, welches Mittel sie wollen. In Arena und Messe wird der Biontech-Impfstoff, im Erika-Heß-Eisstadion das Mittel von Moderna eingesetzt.
An diesem Dienstag dürfte den Senat insbesondere die sich abzeichnende Debatte über Zwangsunterbringungen beschäftigen. Man verspüre „nachhaltiges Unbehagen“, wie es ein Regierungsmitglied ausdrückte. In anderen Bundesländern werden Quarantäne-Verweigerer in einen – grob vereinfacht formuliert – Arrest gebracht, um den Infektionsschutz durchzusetzen. Ein Sprecher von Senatorin Kalayci teilte auf Anfrage lediglich mit, die Gesundheitsämter könnten dem Infektionsschutzgesetz zufolge Verweigerer zwangsweise unterbringen lassen – Genaueres war nicht zu erfahren.
In "Einzelfällen" könne die Quarantäne zwangsweise durchgesetzt werden
Tatsächlich gebe es fachliche Gründe, in „Einzelfällen“ die Quarantäne zwangsweise durchzusetzen, sagte der Reinickendorfer Amtsarzt Patrick Larscheid dem Tagesspiegel. Allerdings gebe es in Berlin dafür keine ausgewiesene Einrichtung. Haftanstalten, so ein Senatsbeamter, verböten sich von selbst – es liege ja keine gravierende Straftat vor.
Die Krankenhäuser seien vollends mit Covid-19-Patienten befasst. Und um eines der leeren Hotels für die Zwangsquarantäne einzusetzen, müsse sich der Senat kümmern. Bislang gibt es (nur) ein Hotel, in dem diejenigen leben, die sich in ihren Wohnungen nicht isolieren können.
In Brandenburg wurden seit Mai 30 Männer und Frauen in eine Quarantäne-Station in der Abschiebeanstalt Eisenhüttenstadt zwangseingewiesen. Das teilte das Innenministerium in Potsdam mit. Eingewiesen wird, wer sich trotz Anweisung der Gesundheitsämter wiederholt nicht an die erteilte Quarantäne hält. Ein Richter muss dem aber zustimmen.