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Ein Nahverkehrsticket für 365 Euro im Jahr? Das schwebt Berlins Regierendem Bürgermeister vor.
© imago/Gerold Rebsch

365-Euro-Ticket für Berlin?: „Das ist reine Propaganda“

Michael Müllers Vorstoß für ein 365-Euro-Ticket steht in der Kritik. Das hat auch mit eingefrorenen Fahrpreisen zu tun – Tariferhöhungen sind ab 2020 möglich.

Ein BVG-Jahresticket für 365 Euro, für das sich der Regierende Bürgermeister Michael Müller jetzt stark macht, wird es in absehbarer Zeit nicht geben. Mit den Regierungsfraktionen SPD, Linke und Grüne, die dafür dreistellige Millionenbeträge im Landeshaushalt freischaufeln müssten, ist der Vorstoß des SPD-Landeschefs nicht abgestimmt. „Das ist reine Propaganda“, sagte der Grünen-Verkehrsexperte und ehemalige Europaabgeordnete Michael Cramer dem Tagesspiegel. Dahinter stehe kein durchdachter Plan.

Sonst müsse sich Müller beispielsweise auch für deutlich höhere Parkgebühren einsetzen, erklärte Cramer, so wie in Wien, wo das 365-Euro-Ticket und teure Parkplätze zu einem Gesamtkonzept für den Nahverkehr gehörten. Dagegen seien die Parkgebühren in Berlin seit zwei Jahrzehnten kaum gestiegen. Auch der Linken-Verkehrspolitiker Kristian Ronneburg geht davon aus, dass der Regierende Bürgermeister das Sommerloch genutzt habe, um eine schon lange diskutierte Idee neu zu beleben.

SPD-Politiker äußerten sich am Montag trotz Nachfrage nicht. Aus Kreisen des SPD-Landesvorstands war zu erfahren, dass es sich um einen Alleingang Müllers handele, der eher skeptisch gesehen werde. Das gilt auch für die Koalitionspartner Linke und Grüne.

Denn eine Halbierung der Preise für das BVG-Monatsticket ist im Rahmen des neuen Haushalts für 2020 und 2021 nicht finanzierbar. Zwar könnten die Koalitionsfraktionen in den parlamentarischen Etatberatungen im Herbst Finanzmittel entsprechend umschichten, aber dafür sehen die Haushaltsexperten keinen Spielraum.

Erhalt des Verkehrsverbunds hat Priorität

Außerdem will es sich Rot-Rot-Grün in Berlin nicht mit dem Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) verscherzen, dessen Aufsichtsrat im September entscheidet, ob die seit Anfang 2017 eingefrorenen Fahrpreise ab 2020 wieder steigen. Auch Linke und Grüne schließen inzwischen nicht mehr aus, dass es vor allem aus Rücksicht auf die schwierige finanzielle Lage vieler kommunaler Verkehrsunternehmen in Brandenburg wieder zu einer Anhebung der Tarife kommt.

Der Vorstoß des SPD-Landeschefs kommt bei vielen Kollegen nicht gut an.
Der Vorstoß des SPD-Landeschefs kommt bei vielen Kollegen nicht gut an.
© dpa

Dies müsse natürlich „gut begründet“ werden, sagte der Linken-Abgeordnete Ronneburg. Aber er erinnert an den „großen Unmut“ im VBB, als der Senat ohne Abstimmung mit dem Verkehrsverbund das kostenlose Berliner Schülerticket eingeführt habe. „Die waren völlig aus dem Häuschen“, ergänzt der Grünen-Haushaltssprecher Daniel Wesener. Schon zur Jahreswende 2018/19 habe es deshalb Drohungen aus Brandenburg gegeben, den VBB nach zwanzig Jahren gemeinsamer Tarifpolitik platzen zu lassen. „Der Erhalt des Verkehrsverbunds hat für uns Priorität“, betont Wesener.

Wenn dieses Problem im September im VBB-Aufsichtsrat abgeräumt ist, können sich Berlin und Brandenburg auf eine große Tarifreform konzentrieren, die seit vergangenem Jahr in der gemeinsamen „Arbeitsgruppe Tarife“ erarbeitet wird. Voraussichtlich Anfang 2020 wird ein Gutachten vorliegen, das klären soll, ob für den öffentlichen Personennahverkehr in der Metropolenregion neue Einnahmequellen erschlossen werden können. Viele Ideen sind im Umlauf: von einem verpflichtenden Bürgerticket über eine City-Maut bis zu einer Nahverkehrsabgabe zulasten von privaten Unternehmen. Oder der Bund soll Geld geben.

Das Gutachten soll auch klären, was rechtlich machbar wäre. Ob es der Arbeitsgruppe noch gelingt, vor der Abgeordnetenhauswahl 2021 ein Gesamtkonzept für eine Tarifreform vorzulegen, ist offen. Eine tragende Rolle in der Arbeitsgruppe hatte zu Anfang der Verkehrs-Staatssekretär Jens-Holger Kirchner gespielt, der aber schwer erkrankte und in den Ruhestand geschickt wurde.

Jetzt wird koalitionsintern über eine „kleine Reform“ nachgedacht, um neue Kunden für Bus und Bahn zu werben. Müller sagte im RBB-Interview, er könne sich teurere Einzeltickets vorstellen.

Doch im Vordergrund steht für die Verkehrspolitiker der Koalition die Umsetzung des neuen Nahverkehrsplans bis 2035, der vom Senat im Februar beschlossen wurde. Dazu gehört die Erneuerung des Fahrzeugparks von BVG und S-Bahn, die Erweiterung und Beschleunigung des Streckennetzes.

Niedrigere Fahrpreise könnten dem Ausbau der Infrastruktur schrittweise folgen, so der Linken-Haushälter Steffen Zillich. „Wir müssen dann peu à peu herausfinden, wie die Fahrgäste auf neue Tarifangebote reagieren.“ Dies sei alles nur mittel- und langfristig umsetzbar.

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