Mitgliederentscheid zur Wowereit-Nachfolge: Das Hütchenspiel der SPD
Die Wahl von Klaus Wowereits Nachfolger wird mehr verändern, als die drei Kandidaten verraten. Denn im Senat ist vieles wie beim BER - zu langsam, zu unverbindlich und zu undurchsichtig. Eine Senatsumbildung könnte am Ende auch die CDU betreffen. Ein Kommentar.
Kulturstaatssekretär Tim Renner ist seit einem Jahr Mitglied der Berliner SPD. Es ist ihm somit nicht nur vergönnt, den nächsten Regierenden Bürgermeister mit auszuwählen, sondern zugleich seinen direkten Chef – falls dieser auch den Job des Kultursenators übernimmt und dann auch Renner übernimmt.
50 Prozent Genossenfreundlichkeit - der Rest ist kalte Strategie und nackte Angst
Finanzsenator Ulrich Nußbaum ist nicht in der SPD. Er wählt nicht mit, aber ansonsten macht er dasselbe wie Renner: abwarten, ob es der Post gelingt, die Abstimmungsbriefe der SPD-Mitglieder, anders als zunächst, korrekt zu zählen und tatsächlich auch abzuliefern; abwarten, ob einer der drei Kandidaten schon am Sonnabend die absolute Mehrheit der Stimmen hat oder vielleicht auch vom hoch verpreisten freiwilligen Rückzug des Zweitplatzierten profitiert; abwarten, ob der Neue die ganz Alten, die neuen Alten, die Lahmen, die Angeschlagenen und die Bollerköpfe im Senat übernimmt.
Die drei Kandidaten Raed Saleh, Jan Stöß und Michael Müller haben sich leidlich bemüht, innerhalb ihres komplizierten Funktions- und Historienbeziehungsgeflechts unterscheidbar zu sein, ohne die beiden anderen allzu übel wegzugrätschen oder ihnen gar beim Sprung ins Rathaus den Ellenbogen ins Gesicht zu rammen.
Wohlwollend geschätzt ist ein Anteil von 50 Prozent dieses Verhaltens allgemeiner Nettigkeit und konkreter Genossenfreundlichkeit zuzurechnen, der Rest ist kalte Strategie und nackte Angst. Wer von wem am Ende wie abhängig ist, wer was wird oder wenigstens bleibt, ist völlig offen und hängt auch ab von der Höhe eines Sieges und zumindest einer Niederlage.
Das gilt genauso für den Senat, auch wenn die Kandidaten in diesem Punkt näher zusammengerückt sind und am Ende personelle Kontinuität zumindest in Aussicht stellten. Taktikfaktor hier: 100 Prozent, getrieben von der Hoffnung, dass derjenige, der seinen Job unter egal wem behalten will, sich nicht in der entscheidenden Phase als direkter Gegner oder Unterstützer eines Anderen entblößen wird.
Es knirscht inzwischen viel zu laut, nicht nur dienstags in der Senatssitzung
Ohnehin hätte der neue Regierende Bürgermeister seinen ersten Fehler schon gemacht, bevor das Parlament die Schwarmweisheit der Sozialdemokraten per Koalitionsakklamation besiegelt, wenn er alles so lassen wollte wie es ist. Dafür ähneln zu viele politische Baustellen der des BER. Die Einschätzung des Technikchefs dort ist auf Teile des Senat übertragbar: zu langsam, zu unverbindlich, zu undurchsichtig, zu wenig gute Fachkräfte. Und dafür knirscht es inzwischen auch viel zu laut, nicht nur dienstags in der Senatssitzung. Der Zweikampf der Senatoren Nußbaum und Heilmann, als Ego-Shooting der Millionäre bekannt, belastet die ohnehin angespannte Atmosphäre. Eine Senatsumbildung könnte also durchaus beide Parteien betreffen, oder anders gesagt: von ihren Oberen im Einvernehmen zur Befriedung der Lage und zur Absicherung der eigenen Position genutzt werden.
Ja, so ist es mit den Spekulatius in der Vorweihnachtszeit: Die einen müssen auf die Bescherung warten, die anderen haben ihre Pläne gemacht. Welche? Dreimal werden wir noch wach.