Zivilcourage in Berlin: Das fast geklaute Fahrrad
Ein Dieb will am helllichten Tage in der Schloßstraße zuschlagen - und kommt fast damit durch. Doch ein entschlossener Passant schreitet ein.
Stellen wir uns das mal vor. Da macht sich ein Mann in aller Öffentlichkeit an einem geparkten Fahrrad zu schaffen. Bohrt unüberhörbar das 127 Euro teure, als extrem sicher geltende Gliederschloss aus gehärtetem Stahl auf – und kein Mensch guckt hin oder tippt ihm auf die Schulter. „Hallo, was tun Sie da?“ Oder doch? Ja, wenigstens einer hat’s getan und nicht gedacht: „Is’ mir egal!“ Und damit beginnt die Geschichte von Sandra Volz und ihrem beinahe geklauten Fahrrad.
„Wo kann man in Berlin denn sein Rad noch abstellen?“
Also, die Steglitzerin stellte ihr Velo jüngst an einem Nachmittag vor Karstadt an der Schloßstraße ab, um im Kaufhaus shoppen zu gehen. Klar, dass sie es an einem Radständer gut anschloss. Doch als sie nach einer Stunde wieder zurückkam, bot sich ihr ein kurioses Bild: Ihr Velo war gut bewacht. Drei Polizisten umringten das Gefährt, es stand noch am selben Platz, aber ohne Schloss.
Was war passiert? Ein Fahrraddieb hatte den Schließmechanismus ihres Radschlosses am helllichten Tag unbehelligt aufgebohrt, obwohl zu dieser Zeit jede Menge Leute auf dem Bürgersteig unterwegs waren. Immerhin ist die Schloßstraße eine beliebte Einkaufsmeile.
Erst in letzter Sekunde, als er das Schloss gerade geknackt hatte und losfahren wollte, hielt ihn ein mutiger Passant zurück. „Ist das Ihr Rad?“ fragte er. „Nein, das meiner Frau“, bekam er zur Antwort. Sie habe den Schlüssel verloren, deshalb die Bohraktion.
Doch der Passant blieb skeptisch, stellte sich dem mutmaßlichen Dieb demonstrativ in den Weg und verlangte: „Rufen Sie Ihre Frau an!“ Das tat dieser verdattert, eine weibliche Stimme meldete sich, der Passant ergriff das Handy und wollte wissen: „Welche Farbe hat denn ihr Rad?“ Sie gab die falsche Antwort.
So viel Zivilcourage
Der Fragesteller hielt nun das Gefährt fest und rief die Polizei – der Gauner türmte unterdessen, das zerstörten Schloss nahm er mit. Eine halbe Stunde später kam die Radbesitzerin ahnungslos aus dem Kaufhaus zurück. „Fällt Ihnen was auf?“ fragten sie die Beamten und zeigten auf das unangeschlossene Rad. Dann berichteten sie ihr die ganze Geschichte.
Sie hatten schon eine halbe Stunde auf Sandra Volz gewartet. Sandra Volz musste sich ausweisen, danach durfte sie in die Pedale treten. Der beherzte Passant bekommt von ihr „noch ein dickes Dankeschön für so viel Zivilcourage“. Erschreckt hat sie hingegen die „Abgebrühtheit und kriminelle Energie“ des Diebes. „Wo und wie kann man in Berlin denn sein Rad noch sorglos abstellen?“