Berlin beschließt „flexible“ Schuldenbremse: Damit Investitionen nicht stocken, gibt es großzügige Ausnahmen
Rot-Rot-Grün ist froh über die „elastischen“ Regelungen. Der Rechnungshof hingegen sieht sie kritisch, die Opposition ebenfalls.
Wer 57,6 Milliarden Euro Schulden hat, sollte unbedingt daran gehindert werden, sich mit einer leichtsinnigen Finanzpolitik weiter ins Unglück zu stürzen. Das Land Berlin kann diese Last nur tragen, weil die Kreditzinsen seit Jahren sehr niedrig sind – und weil die Wirtschaft bisher brummte.
Seit 2012 hat Berlin jedes Jahr Überschüsse im Landeshaushalt erwirtschaftet, die teilweise auch der Schuldentilgung dienten. Im bundesweiten Vergleich hat Berlin jetzt nur noch den vierhöchsten Schuldenstand je Einwohner und liegt damit vor Bremen, Hamburg und dem Saarland.
Aber es kann auch wieder anders kommen und es ist nicht so, dass sich in Berlin jede Partei gleichermaßen für die Konsolidierung des Haushalts interessiert. Um finanzpolitischen Leichtfüßen das Leben schwer zu machen, hat der Bundesgesetzgeber im Grundgesetz eine Schuldenbremse eingebaut, die ab 2020 den verfassungsrechtlichen Rahmen für eine solide Haushaltspolitik aller Bundesländer vorgibt. Die Länder wiederum füllen diesen Rahmen in eigenen Gesetzen oder in den Landesverfassungen aus.
Quasi in letzter Minute beschließt Rot-Rot-Grün am Donnerstag im Abgeordnetenhaus eine Berliner Schuldenbremse. Gerade noch rechtzeitig, um sie auf den Doppelhaushalt für 2020/21 anwenden zu können, der im Dezember verabschiedet wird.
In dem Gesetz heißt es: „Der Haushalt ist grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen“. Ausnahmen sind möglich, wenn die konjunkturelle Entwicklung „von der Normallage abweicht“, oder im Fall von Naturkatastrophen und „außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Landes entziehen“. Möglich bleibt auch die Aufnahme sogenannter Kassenverstärkungskredite, die aber kurzfristig zurückgezahlt werden müssen.
Berlin: Wie sich die Hauptstadt neu verschulden darf, ist genau geregelt
Wie hoch sich das Land Berlin in solchen Ausnahmefällen, vor allem bei wirtschaftlichen Abschwüngen, neu verschulden darf, ist im Gesetz genau geregelt. Die rechnerischen Verfahren sind kompliziert.
Aufgenommene Kredite müssen nach einem verbindlichen Tilgungsplan „in einem angemessenen Zeitraum“ zurückgezahlt werden. Dafür muss der Senat in guten Zeiten eine Rücklage bilden.
Für diesen Zweck wird der „Nachhaltigkeitsfonds“, in dem momentan 290 Millionen Euro schlummern, aus dem landeseigenen Investitionsfonds Siwana ausgegliedert.
Zum Jahresende soll die neue Ausgleichsrücklage um weitere 150 Millionen Euro aufgestockt werden. Ab 2020 müssen laut Berliner Schuldenbremse jährlich mindestens ein Prozent der Haushaltseinnahmen (Durchschnitt der letzten fünf Jahre) zusätzlich in die neue Rücklage fließen. Das wären im kommenden Jahr 275 Millionen Euro.
Schuldenbremse: Rot-Rot-Grün lieferte sich einen zähen Kampf
Diese verfahrenstechnischen Regelungen waren aber nicht der Grund, warum sich SPD, Linke und Grüne einen zähen Kampf um die Schuldenbremse lieferten. Zwei Fragen wurden über viele Monate auch mit dem Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) hart diskutiert: Zum einen ging es darum, ob es nicht besser wäre, die Schuldenbremse in der Berliner Verfassung zu verankern. Zum anderen musste geklärt werden, ob nur der Kernhaushalt des Landes Berlin, oder auch sogenannte Extra-Haushalte ab 2020 streng kontrolliert werden sollten.
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Zu den Extra-Haushalten zählen beispielsweise die Budgets der Universitäten und Hochschulen, der Kita-Eigenbetriebe, Bäder-Betriebe oder des landeseigenen IT-Dienstleistungszentrums, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Koalition einigte sich auf eine eher schwammige Regelung, nach der die Kreditermächtigung für solche Haushalte „durch Beschluss des Abgeordnetenhauses“ erfolgt, mit dem gleichzeitig die Refinanzierung des Kredits festgelegt wird.
Das bedeutet, dass solche Kreditaufnahmen durch politische Mehrheitsbeschlüsse ermöglicht werden und nicht gesetzlich festgelegt sind. Abgesehen davon gibt es jetzt schon große Landesunternehmen, die gesetzlich ermächtigt sind, sich eigenständig zu verschulden. Dazu zählen beispielsweise die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die Flughafengesellschaft oder die Investitionsbank Berlin.
Opposition sieht flexible Regelungen problematisch
Nicht nur die Oppositionsfraktionen CDU, FDP und AfD finden diese flexible Regelung problematisch. Auch der Rechnungshof sieht dies kritisch, „weil damit im staatsnahen Bereich zusätzliche Schulden außerhalb des Kernhaushalts entstehen können und diese nicht ohne weiteres erkennbar sind“. Dagegen finden es die rot-rot-grünen Haushaltsexperten richtig und gut, dass öffentliche Unternehmen von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Gleiches gilt nach dem neuen Gesetz übrigens auch für den Ankauf von Immobilien.
SPD, Linke und Grüne sind froh, dass sie im Vergleich zu anderen Bundesländern eine „elastische“ Schuldenbremse im Landesrecht festgelegt haben, die aus ihrer Sicht weniger investitionshemmend ist. Wobei sie verschweigen, dass der Senat mit dem Investitionsfonds Siwana bereits milliardenschwere Rücklagen für Investitionsvorhaben gebunkert hat. Das Geld reicht, schaut man sich den Mittelabfluss der vergangenen Jahre an, noch mindestens zehn Jahre.
Selbst in Zeiten einer schweren Wirtschaftsflaute werden in absehbarer Zeit also keine Finanzmittel für Bau- und Sanierungsprojekte fehlen. Sollte Berlin wieder sparen müssen, dann eher wegen der hohen Personal- und konsumtiven Ausgaben im Landeshaushalt.