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Viele Touristen, chaotischer Verkehr auf der engen Straße: Der ehemalige Grenzübergang Checkpoint Charlie heute.
© Doris Spiekermann-Klaas

Ehemaliger Grenzübergang: „Checkpoint Charlie muss bürgernaher Geschichtsort werden“

Bei der Entwicklung des Checkpoint Charlie steht viel auf dem Spiel. Er sollte kein American Business Center 2.0 werden. Ein Gastbeitrag.

Die Zukunft des Checkpoint Charlie wird auf 9.081 qm entschieden. So groß sind die verbliebenen Freiflächen am weltbekannten ehemaligen Grenzübergang, die alsbald bebaut werden könnten. Erste städtebauliche Entwürfe werden ab 2. August vorgestellt, im nahegelegenen Rohbau des Charlie Living, einem Edelwohnprojekt eben jenes Investors, der auch die Brachen am Checkpoint Charlie entwickeln möchte. Fragt sich, wie diese Entwicklung aussehen soll.

Denn was dort entsteht, wird weit über die Grenzen der beiden Filetgrundstücke östlich und westliche der Friedrichstraße hinausweisen. Perspektivisch geht es darum, ob der Checkpoint Charlie zum Immobilienprojekt mit historisierendem USP (Unique Selling Proposition) degradiert wird, oder als bürgernaher Geschichts- und Alltagsort eine Zukunft hat. Letztere Perspektive entspräche dem vorgeblichen Markenversprechen Berlins, Stadt der Freiheit, Kreativität und Teilhabe zu sein.

Diese Werte in der planerischen Entwicklung des Checkpoint Charlie sowie mit Blick auf dessen künftige Nutzung zur Geltung zu bringen, ist eine riesige Chance. Wie weit der politische Gestaltungswille von Rot-Rot-Grün in Zeiten von Immobilien-Boom und Vorkaufsrecht indes reicht, um etwas aus dieser Chance zu machen, wird der künftige Checkpoint Charlie auf ewig zeigen – und zwar entweder in Gestalt eines American Business Center 2.0 (dazu unten mehr), oder und hoffentlich in Gestalt eines Ortes, der das Neben- und Miteinander von Geschichte, Tourismus und städtischem Alltag zukunftsweisend neu definiert. Wäre dies der Fluchtpunkt der Entwicklung, worauf käme es dann konkret an? Und diese Frage muss vorweg beantwortet werden: Was lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt noch gestalten?

Welche Spielräume gibt es bei der Entwicklung der Freiflächen (noch)?

Die Frage nach den bestehenden Gestaltungsspielräumen ist nach wie vor Ansichtssache. Einen öffentlich nachvollziehbaren Aushandlungsprozess über den grundsätzlichen Rahmen des Möglichen gab es nicht. Einzelprämissen wurden indes (und erfreulicherweise) im Verlaufe der hastig durchgeführten vorgezogenen Fach- und Öffentlichkeitsbeteiligung zum Common Sense. Dies betrifft vor allem die Übereinkunft darüber, dass die Grundstücke nicht bis zur Grundstücksgrenze bebaut und die beiden Brandwände erhalten bleiben sollen, damit die städtebauliche Zäsur der ehemaligen Grenze sichtbar bleibt und eine Freifläche von mind. 1.000 qm an der Kreuzung entsteht.

Diese  Vorgaben wären bezeichnenderweise ohne Fachworkshops, den Landesdenkmalrat und ein in letzter Minute intervenierendes Landesdenkmalamt gar nicht in der jetzigen Verbindlichkeit möglich gewesen. In der Gesamtschau polarisiert die eigentumsrechtliche Konstellation die Ansichten über die Gestaltungsspielräume jedoch nach wie vor. Der Investor Trockland erwarb 2016 zwar die Grundschulden (i.H.v. 75 Millionen Euro), damit aber noch nicht die Grundstücke selbst.

Das Land Berlin hat ein Vorkaufsrecht, möchte dieses aber offenbar (ob des hohen Preises und fortgeschrittenen Planungsprozesses) nicht nutzen. Dass die Stadt nicht doch noch auf die Idee kommt, ihr Vorkaufsrecht geltend zu machen, daran scheint freilich auch Trockland viel gelegen. Nach Recherchen der Berliner Zeitung (9. Juli 2018) steht in dem Vertrag, der die Übernahme der Grundschulden besiegelt, dass die Käufer sich bemühen werden, „Löschungsbewilligungen für die Vorkaufsrechte einschließlich eines Verzichts auf das jeweilige Vorkaufsrecht zu erhalten.“ Soweit so naheliegend. Dennoch stehen zwei grundsätzliche Fragen im Raum, die eine öffentliche stadtentwicklungspolitische Debatte im Abgeordnetenhaus und darüber hinaus verdienen.

Erstens: Wäre es in einer Stadt, deren Grundstücksmarkt zu den sichersten und renditeträchtigsten der Welt gehört, langfristig nicht doch haushaltspolitisch vertretbar und stadtentwicklungspolitisch geboten, die Grundstücke samt Schulden aufzukaufen und sich die öffentliche Entwicklungshoheit zu sichern? Wenn dies nicht der Fall ist, und sich die Grundstücke tatsächlich nur mit einem Investor entwickeln ließen, lautet die zweite Frage: Stünde es dieser Stadt nicht gut zu Gesicht, dem renditeorientierten  Immobilienentwickler maximales Engagement für eine gemeinwohlorientiertere Entwicklung des Checkpoint Charlie abzuverlangen?

Bis dato entzieht sich die Diskussion dieser grundsätzlichen Fragen weitgehend einer öffentlichen Debatte. Man ist geneigt zu behaupten, dass der „außergewöhnlichen stadtpolitischen Bedeutung“ des Ortes, die der Senat 2015 nach dem Baugesetzbuch festgestellt und beschlossen hat, allenfalls ein außergewöhnliches stadtentwicklungspolitisches Desinteresse gegenübersteht. Die fehlende stadtentwicklungspolitische Ambition geht aus den Raumanforderungen, die in der Ausschreibung für das städtebauliche Workshopverfahren definiert sind, mehr als deutlich hervor.

Ein Beispiel: Den von Trockland und der Stadtentwicklungsverwaltung in einem geschlossenen Verfahren beauftragen Architekturbüros wurde auf den Weg gegeben, in ihren städtebaulichen Entwürfen, knapp 3.000 qm Nutzfläche für ein Museum und knapp 2.400 qm für mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnraum vorzusehen. Der für gemeinwohlorientierte Nutzungen knapp bemessene Raum ist nicht nur im Verhältnis zu den insgesamt verfügbaren Geschossflächen von 49.500 qm ein schlechtes Alibi für ein Vorhaben, das mehr sein will als ein Immobilienprojekt.

Die Stadt müsste für das Museum, von dem 2.000 qm aus funktionalen und wirtschaftlichen Gründen auf max. zwei Untergeschosse verteilt werden sollen, auch noch Miete bezahlen (von 25 Euro pro qm ist die Rede - 900.000 Euro im Jahr!). Hier zeigt sich die immobilienwirtschaftliche Rationalität des Investors, der sein Projekt mit einem Museum symbolisch aufwertet und sich das gut bezahlen lässt. Und die Kulturverwaltung geht mit. Senator Klaus Lederer schreibt erstaunlicherweise in einem Antwortschreiben auf ein Positionspapier der AutorInnen dieses Beitrages, dass die getroffene Vereinbarung zum öffentlichen (?) Bildungs- und Erinnerungsort für die Stadt „unter der gegebenen eigentumsrechtlichen Konstellation als ausgesprochen vorteilhaft zu bewerten“ sei“. Würde sich da nicht auf eigenem Grundstück ein eigenes Museum schnell rechnen?

Ist schon alles beschlossen auf dem Weg zum American Business Center 2.0?

Das Musems-Beispiel offenbart den Detaillierungsgrad, den die intransparenten Vereinbarungen zwischen Investor und Senat längst erreicht haben. Und zwar bevor unter Beteiligung der Stadt- und Fachöffentlichkeit grundsätzlich über die Frage diskutiert wurde, was am Checkpoint Charlie gebaut und in welcher Form dort an Teilung und Kalter Krieg erinnert werden soll; von nachhaltiger Tourismusstrategie am meist besuchten Ort in Berlin ganz zu schweigen. So steht zwar schon in der Auslobung des städtebaulichen Workshopverfahren, dass der Wohnkomplex über einen repräsentativen Eingangsbereich verfügen soll, der Raum für einen Concierge-Service bietet.

Mit dem Bertreiber des geplanten Hardrock-Hotels ist laut Vorplanungen auch schon definiert, dass für das Café, Rock Shop, Restaurant und Rooftop-Bar insgesamt 1.500 qm benötigt werden. Und es ist auch erklärtermaßen das Ziel, so viele qualitativ hochwertige Einzelhandelseinheiten wie möglich zu schaffen. All das erinnert stark an die Mitte der 1990er Jahre betriebenen Planungen für ein American Business Center, das auf dem Gelände des ehemaligen Grenzübergangs entstehen sollte. Von den fünf damals geplanten Prestigeprojekten (mit Büro- und Wohnflächen, Einzelhandel, Restaurants auf 116.000 qm) wurden damals nur drei realisiert; eines davon ist das Philip-Johnson-Haus, das bezeichnenderweise nur Architekturkennern etwas sagen dürfte.

Nach aktuellem Planungsstand ist nun nicht auszuschließen, dass das American Business Center ein Vierteljahrhundert später in einer 2.0-Version fertiggebaut sein wird. Das wäre outdated, sowohl mit Blick auf das Ergebnis als auch auf den Prozess, der die stadtmarketingtechnisch kultivierten Berliner Werte von Freiheit, Kreativität und Teilhabe stark vermissen lässt. Bleibt die Frage: Lässt sich dieses Szenario noch abwenden? Und wenn ja, wo sollte man im Bebauungsplanverfahren nochmal grundsätzlich werden?

Abgeordnete, bitte drückt auf „reset“

Letztlich muss der Bebauungsplan-Entwurf 1-98 „Checkpoint Charlie“ durch den Senat und schließlich das Berliner Abgeordnetenhaus parlamentarisch beschlossen werden. Die Abgeordneten sind dann in der Verantwortung zu entscheiden, ob der Bebauungsplan-Entwurf, einer nachhaltigen städtebaulichen Entwicklung sowie einer dem Wohl der Allgemeinheit dienenden sozialgerechten Bodenordnung im Sinne des Baugesetzbuchs (§ 1, Abs. 3 und 5) entspricht. Genügen die im aktuell laufenden Workshopverfahren entwickelten städtebaulichen Grundlagen diesem Anspruch nicht, wäre es sehr zu wünschen, dass ein offener (!) städte- und hochbaulicher Planungswettbewerb nachgeholt wird. (Die Architektenkammer hat dies bereits in einem Brief an Bürgermeister Michael Müller gefordert, den dieser allerdings genauso unbeantwortet lies wie Schreiben des Rates für Stadtentwicklung Berlin sowie der AutorInnen des hiesigen Beitrags.)

Einem solchen erneuten Wettbewerb müsste allerdings auch eine echte Debatte darüber vorausgehen, welche Nutzungen am Checkpoint Charlie von der politisch repräsentierten Stadtöffentlichkeit gewollt sind, von einem Investor bereitwillig mitgetragen werden und welche städtebaulichen Anforderungen sich aus diesen Nutzungen ergeben. Inhaltlich ginge es also darum, das Neben- und Miteinander von Geschichte, Tourismus und städtischem Alltag am Checkpoint Charlie auch auf Ebene der Nutzungen zukunftsweisend neu zu definieren. In einer Zeit, in der in ganz Europa über overtourism debattiert wird, könnte Berlin zeigen, wie eine in weiten Teilen der Bevölkerung und Stadtpolitik scheinbar abgeschriebene tourist bubble nicht weiter isoliert, sondern wieder stärker ins urbane Geschehen eingebunden wird.

Die Stadt könnte an einem konkreten Ort beweisen, dass sie es ernst meint mit ihrem Anspruch „Vorreiter für einen stadtverträglichen Tourismus in Europa“ zu werden, wie es Wirtschaftssenatorin Ramona Pop vollmundig in einer Pressemeldung zur neuen Tourismusstrategie ausgab. Vorausgesetzt also, dass ein stadtpolitischer Gestaltungswille erwacht (erste Anzeichen dafür gibt es, die Grünen fordern in parlamentarischen Anfragen Transparenz ein), worauf müsste die inhaltliche Debatte über die Zukunft des ehemaligen Grenzübergangs am Checkpoint Charlie und die Nutzungen vor Ort zielen?

Ein bürgernaher Geschichts- und Alltagsort: Leitfragen für die Entwicklung eines „Checkpoint Charlie Codes“

Für einen bürgernahen Geschichts- und Alltagsort mit Zukunft gilt es vor allem Antworten auf drei Fragen zu finden. Erstens: Wie lässt sich ein angemessen großer öffentlicher Stadtplatz beiderseits der Friedrichstraße realisieren, der die Aufenthalts- und Erlebnisqualität für BesucherInnen und BerlinerInnen am Checkpoint Charlie steigert? Zweitens: Was muss in einem baulich eigenständigen Informations- und Bildungsort stattfinden, damit dieser Relevanz – lokal, aber auch international – entfaltet? Drittens: Welche bürgernahen Nutzungen (Kultur, Sport, Bildung, Wohnen, Arbeiten, Essen & Trinken) müssen zwischen, in und auf den Gebäuden realisiert werden, damit der Ort für alle zu einem place to be wird?

Antworten auf diese Fragen könnten in einen „Checkpoint Charlie Code“ münden, der mit Blick auf eine Stadtentwicklung, die auch im innerstädtischen Bereich auf Freiräume, Kreativität und Teilhabe setzt, zum Maßstab wird. Das Hamburger Paloma-Viertel, das gemeinsam mit einem Investor entwickelt wird, macht es vor. An der Reeperbahn finden sich ungefähr zwei Drittel geförderter Wohnungsbau, bürgernahe Institutionen im Erdgeschoss und u.a. Basketballfeld, Skateranlage, Spielplatz auf dem Dach.

Freilich ist demgegenüber die Grundschuldbelastung am Checkpoint Charlie ein Hemmnis. Dies kann aber an einem der bekanntesten Orte der Welt kein Grund dafür sein, sämtliche stadtentwicklungspolitische und kulturelle Ambitionen fahren zu lassen. Es wäre zu schön, wenn sich die Kreativität und Energie der Hauptstadt mal wieder an einem innerstädtischen Ort entfaltete, und zwar sowohl architektonisch als auch mit Blick auf seine Nutzungen und Inhalte, die transportiert werden sollen. Der Ort rund um den Checkpoint Charlie ist die Chance dafür, Gemeinwohl vor Renditeinteressen zu stellen und mit einem neu gemischten Quartier die Botschaft des Zusammenwachsens und des „etwas anderen Berlin“ in die Welt zu tragen.

Theresa Keilhacker ist Architektin und Mitglied im Rat für Stadtentwicklung Berlin.

Christoph Sommer ist Doktorand am Geographischen Institut der Humboldt-Universität.

Theresa Keilhacker, Christoph Sommer

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