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Im Café „St. Oberholz“ am Rosenthaler Platz gibt es künftig keine Selbstbedienung mehr.
© Nietfeld / dpa

St. Oberholz in Mitte: Café wird als kostenloser Arbeitsplatz missbraucht

Berlins Kreative lieben es wegen der Atmosphäre und kostenlosen W-Lan in Cafés zu arbeiten. Das St.Oberholz greift jetzt durch und erinnert Kunden daran, mehr zu bestellen.

Selbstbedienung? Drängeln am Tresen? „Viel zu stressig“, sagt Niklaus Largier, Literaturprofessor aus Kalifornien. Gerade stellt ihm eine Servicekraft seinen Espresso neben den aufgeklappten Laptop. Goldbraune Crema, freundlicher Blickwechsel. Noch bis Mitte Januar war hier Selbstbedienung angesagt, hier im Café „St. Oberholz“ am Rosenthaler Platz in Mitte, wo sich Laptops und Latte bei der Arbeit am Kaffeehaustisch zur Mélange vereinen. Am Businessplan feilen, die Fotos der nächsten Kampagne sichten – und das ohne graue Bürokulisse oder die Einsamkeit des heimischen Schreibtischs. Dafür ist das Café an der Ecke bekannt. Aber dann zog Chef Ansgar Oberholz die Notbremse, weil immer mehr Gäste die bisherige Selbstbedienung ausnutzten, um einen schönen Arbeitsort für lau zu bekommen. Sie nutzten gratis das W-Lan, hielten sich aber stundenlang an einer Kaffeetasse fest. Manche mümmelten gar dreist mitgebrachte Döner.

Jetzt gibt’s im „St. Oberholz“ Kellnerinnen und Kellner. Sie sollen die W-Lan- und Stromschnorrer möglichst nett, aber wachsam im Auge behalten. Das Café ist mit dieser Erfahrung und den daraus gezogenen Konsequenzen nicht alleine. Auch andere Lokale, die ihre Tische zugleich als Büroplätze anbieten, haben ähnliche Probleme mit Gästen der „Fraktion Nimm“. Ihr Geschäftskonzept beruht auf Offenheit, Zugänglichkeit, größtmöglicher Freiwilligkeit und der fairen Netzwerker-Mentalität der Start-up- und Online-Szene. „Geiz ist geil“ passt da eigentlich nicht hinein.

Niklaus Largier findet es okay, dass sich die Café-Betreiber wehren. Der 58-jährige Kalifornier weilt für eine Woche beruflich in Berlin, ist schon zum zweiten Mal im „St. Oberholz“, schreibt gerade eine Mail an eine Freundin und genießt dabei „den urbanen Blick“ durch die bodentiefen Fenster hinaus auf den Rosenthaler Platz. Trambahnen rumpeln vorbei, Sonne glitzert auf den Schienen, der Fernsehturm schiebt sich am Ende der Straße in den blauen Himmel über Berlin, greifbar nah. Um ihn herum wird über Touchscreens gewischt, gut zwanzig Gäste tippen an breiten Tischen auf Laptop-Tastaturen, hinter der Glasvitrine mit den Erdbeertörtchen und hauseigener Limo zischt die Kaffeemaschine.

Ein Coworking-Lokal mit Geschichte

2005 hat der heute 45-jährige Gastronom Ansgar Oberholz das Café im damals gerade leer stehenden Eckhaus am Rosenthaler Platz gegründet. Es ist, wenn man so will, die Urzelle der Coworking-Lokale. Gut hundert Jahre zuvor betrieben die Gebrüder Aschinger an derselben Stelle eine Schankwirtschaft, in der Alfred Döblin seinen Franz Biberkopf im Roman „Berlin Alexanderplatz“ ein- und ausgehen ließ.

Chef Ansgar Oberholz setzt auf ein neues Konzept.
Chef Ansgar Oberholz setzt auf ein neues Konzept.
© Pilick/dpa

Ansgar Oberholz wollte die alte Berliner und Wiener Kaffeehaus-Kultur wiederbeleben. Sie folgte ja bereits der schönen Idee: um zu arbeiten, geht man nicht ins Büro, sondern ins Café. So wie die damaligen Kreativen, darunter etwa Erich Kästner und Kurt Tucholsky im Café des Westens am Kurfürstendamm. Es ist nicht überliefert, wie viele Kaffees oder Karaffen Wein sie dabei tranken, doch eines ist sicher: die Boheme der späten Kaiserzeit und 20er Jahre war nicht nur arbeits-, sondern auch genusssüchtig. Die digitale Boheme des Jahres 2017 ist offenbar aufs Erstere fixiert und eher knauserig.

Mehr Arbeiten und weniger Trinken

Deshalb beklagt sich Ansgar Oberholz in einem offenen Brief im Onlinemagazin „Netzpiloten“ über die mangelnde Konsumbereitschaft sowie das verminderte Unrechts- und Schamempfinden seiner Kundschaft. Skurrile Szenen spielten sich demnach im St. Oberholz ab: So soll es vorgekommen sein, dass ein Gast nach heißem Wasser für seine Fünf-Minuten-Terrine fragte. Ein anderer packte missmutig sein mitgebrachtes Essen wieder ein, nachdem eine Bedienung ihn dazu aufgefordert hatte, und moserte: „Aber ich habe gestern auch schon einen Kaffee bei euch gekauft.“

Warum reißt das so ein, fragt sich Ansgar Oberholz und liefert selbst verschiedene Erklärungen. Eine lautet so: „Die ununterbrochen vernetzten Geräte lassen uns leicht und schnell beschäftigt sein. Zu beschäftigt für Essen und Trinken.“

Funktioniert das neue Konzept?

Frage an Sascha Bewersdorf, den Restaurant-Manager im „St. Oberholz“: Haben die neuen Mitarbeiter die Situation inzwischen verbessert? Bewersdorf, weißer Strohhut, weißes Hemd, sitzt auf einem Barhocker und lobt seine jungen Servicekräfte. Etliche studieren noch, jobben nebenher und könnten selbst hier hinter den Laptops sitzen. Das qualifiziere sie für die schwierige Aufgabe, „perfekt unaufdringlich“ zu sein und kreative Kaffeeabstinenzler ab und zu charmant an ihre Bedürfnisse, sprich die Auswahl von Getränken und Speisen, zu erinnern.

Besonders einfühlsam müssen sie dabei in der oberen Etage des „St. Oberholz“ vorgehen. Dort sitzen die Gäste mit besonderem Konzentrationsbedarf, zum Beispiel der 28-jährige Klaus Zeder, Stammkunde. Er bewirbt sich gerade für einen neuen Job, blickt kaum hoch. Die Kellnerin kennt ihn und seine Kaffeezeiten. „Mal wieder ’nen Latte?“ „Klar doch“. So funktioniert der Laden.

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