Berliner Fundbüro: BVG und S-Bahn eröffnen gemeinsames Fundbüro
Beim Umsteigen wird einiges vergessen. Rollstühle, Regenschirme und Rucksäcke können Berliner Fahrgäste jetzt am S- und U-Bahnhof Warschauer Straße abholen.
Es soll Menschen geben, die so zerstreut sind, dass sie ihre Kinder beim Aussteigen in der Bahn vergessen. Das komme vor, bestätigt Fabian Rickauer, „aber das ist dann ein Fall für die Polizei.“ Doch wie vergesslich die Berliner auf dem Weg quer durch die Stadt unterwegs sind – dieses Phänomen kennt Rickauer nur zu gut.
Er trifft täglich auf Menschen, die, vertieft in eine Unterhaltung oder einen Roman, beinahe die Haltestelle verpassten und noch in letzter Sekunde aus der Tür auf die Bahnsteigkante hüpften. Wer bei diesem Manöver Mantel oder Hut liegen lässt, der landet oftmals bei Rickauer und seinen Kollegen im Fundbüro.
Allerdings nur, wenn das vermisste Stück in einem Fahrzeug der BVG verloren ging. Weil sich die meisten Kunden aber nicht unbedingt erinnern könnten, ob ihnen das Missgeschick in einem Wagen der S-Bahn oder der BVG passierte, haben sich die beiden Unternehmen zusammengetan und am Montag ein gemeinsames Büro am S- und U-Bahnhof Warschauer Straße eröffnet.
"Zwei völlig voneinander getrennte Unternehmen"
Trotz der neuen räumlichen Nähe „sind wir zwei völlig voneinander getrennte Unternehmen“, betont Sigrid Nikutta, Vorstandsvorsitzende der BVG.
Deshalb bewahren die sieben Mitarbeiter der BVG und die vier Mitarbeiter der S-Bahn die Fundstücke nicht nur getrennt auf, sondern beantworten die Anfragen der Kunden auch an zwei verschiedenen Tresen – die BVG auf der linken, die S-Bahn auf der rechten Seite.
Alles, was Fahrer oder Fahrgäste der BVG finden und abgeben, ordnen Rickauer und seine Kollegen. Sie vermerken Fundort und Inhalt in einer Datenbank und sortieren die Gegenstände – nach Tagen und nach „oben und unten“, wie es Rickauer ausdrückt. Damit meint er einerseits Busse und Straßenbahnen, die oberirdisch, und andererseits U-Bahnen, die unter der Erde unterwegs sind.
Das System sei wichtig, damit es schnell geht, wenn ein Fahrgast seine verlorenen Habseligkeiten sucht. Allerdings müsse die Anfrage konkret sein, betont Rickauer: „Ich kann niemandem weiterhelfen, der nach einem schwarzen Smartphone fragt. Da brauchen wir schon nähere Angaben, wie es genau aussieht oder wo es verloren wurde.“
100 Regenschirme in zwei Wochen
Während die Mitarbeiter der S-Bahn ihre Arbeit erst an diesem Montag aufgenommen haben, sind Rickauer und seine Kollegen von der BVG bereits seit dem 21. August am neuen Standort im Einsatz. In den zwei Wochen haben sich unter anderem rund 100 Regenschirme angesammelt – und das obwohl es in dieser Zeit kaum regnete. Aus einer Schublade ist plötzlich Musik zu hören. Offenbar ein Klingelton, denn dort liegen stapelweise Handys. Ein paar Regale weiter sind zwei Gitarren, ein Nähkasten und ein Kfz–Kennzeichen zu sehen.
„Das Kurioseste, das wir je hatten, war eine Beinprothese“, erinnert sich Sigrid Nikutta und schüttelt den Kopf. „Man fragt sich, wie derjenige plötzlich wieder laufen gelernt hat.“ Wochenlang habe die Prothese im Fundbüro gelegen. Allerdings meldete sich niemand, der sie vermisste, erzählt Nikutta.
Auch andere Menschen konnten wohl plötzlich auf ihre Geh- und Fahrhilfen verzichten: Kinderwagen und Fahrräder sammeln sich im neuen Fundbüro ebenso wie Krücken, Rollatoren und Rollstühle.
Jeder Gegenstand hat eine Geschichte
„Man überlegt schon, welche Geschichten hinter den Dingen stecken“, sagt Fabian Rickauer und holt eine Kabeltrommel aus dem Regal. „Das sind 750 Meter Klingeldraht. Warum lässt man das in der Bahn liegen?“, fragt Rickauer.
Berührend sei es für ihn immer wieder, wenn Eltern verzweifelt nach dem geliebten Kuscheltier ihres Kindes fragten. „Wenn das Kind schon die dritte Nacht in Folge kaum schlafen konnte, weil der Teddy gefehlt hat, freue ich mich immer, wenn wir helfen können“, sagt Rickauer schmunzelnd.
Auch von tragischen Schicksalen kann er berichten. „Das Schwerste für mich war ein Mann, der an seinem Drogenkonsum gestorben ist“, erinnert sich Rickauer. „Seine Schwester stand vor mir mit dem Totenschein und wollte den Rucksack ihres Bruders abholen. Der war voller Drogen.“
Allein bei der BVG kämen jährlich rund 60000 Fundsachen zusammen, sagt Sigrid Nikutta. „Die Berliner sind ehrlicher als man denkt“, ist sich die BVG-Vorstandsvorsitzende sicher: „Die Menschen geben komplette Geldbörsen und Handys bei uns ab.“ Doch nur etwa 30 Prozent würden abgeholt. Der Rest landet im Auktionshaus zur Versteigerung.
Dass sich Dinge wieder verwenden lassen, machen die Betreiber der Sammelstelle vor: Der Schriftzug „Fundbüro“ über dem Eingang ist vom alten Standort der BVG an der Potsdamer Straße mit umgezogen – allerdings aufpoliert und mit frischer Farbe versehen.
Fundbüro der BVG und S-Bahn, Rudolfstraße 1-8, Friedrichshain. Mo, Di, Fr: 9-18 Uhr. Mi 9-20 Uhr.
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Milena Fritzsche