Kurfürstenstraße in Berlin-Mitte: Bürgermeister von Mitte fordert Verbot von Straßenprostitution
Der Grünen-Politiker Stephan von Dassel will keinen Straßenstrich mehr in der Kurfürstenstraße. Viele Anwohner würden das begrüßen. Ein Besuch.
Das Geschäft mit der Liebe beginnt in der Kurfürstenstraße um kurz nach 13 Uhr. Ein türkisfarbener Opel Corsa hält in zweiter Reihe, der beleibte ältere Fahrer öffnet das Beifahrerfenster und spricht eine Prostituierte in Tarnfleck-Minirock und bauchfreiem Top an. Nach ein paar Sätzen steigt die junge Frau ein, der Corsa fährt mit quietschenden Reifen davon. „Der muss ganz schön Druck haben“, kommentiert ein älterer Mann, der die Szene mit zwei Freunden bei einem Bier vor einem Bistro beobachtet hat.
Zwei Stunden vorher im Rathaus Tiergarten. Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel verkündet: „Ich halte es für richtig, dass man Straßenprostitution aus der Stadt verbannt.“ Er sagt das mit Blick auf die Kurfürstenstraße, die Mitte von Schöneberg trennt. Die Situation für Anwohner und Gewerbetreibende habe sich in den letzten Jahren kontinuierlich verschärft, so der Grünen-Politiker. Konkret spricht er von Sex in der Öffentlichkeit, gebrauchten Kondomen und Fäkalien.
Schnellschuss im Sommerloch
Von Dassel geht es aber nicht nur um die Kurfürstenstraße. „Der Senat muss für ganz Berlin ein Konzept erarbeiten. Es bringt nichts, wenn wir den Straßenstrich in der Kurfürstenstraße verbieten, aber in der Bülowstraße Prostitution weiterhin tolerieren“, sagt er. Er schlägt deshalb vor, die gesetzlichen Richtlinien für Wohnungsbordelle zu senken, damit sich die Prostitution verlagere. Allein kann er das nicht entscheiden, dafür braucht es einen Senatsbeschluss. „Man muss die Illusion aufgeben, die Probleme des Straßenstrichs wegmoderieren zu können“, sagt von Dassel.
Seine Amtskollegin aus Tempelhof-Schöneberg, Angelika Schöttler (SPD), nannte den Vorstoß einen "Schnellschuss im Sommerloch". Statt Sperrgebieten bevorzuge sie für das Thema einen Runden Tisch mit dem Senat, bei dem konkrete Maßnahmen diskutiert würden. "Vielleicht haben wir da noch zu wenig Infrastruktur, um das Nebeneinander von Prostituierten und Anwohner sicherzustellen", sagte sie. Für die Verschlechterung der Lage machte sie neben dem Verlust der Brachen die hohe Fluktuation der Frauen verantwortlich. Eine gezielte Betreuung erschwere sich dadurch. In der Innenverwaltung reagierte man irritiert auf den Vorstoß des Bezirksbürgermeisters. Sperrzonen seien kein Thema und auch nicht geplant. „Sie sorgen für Verdrängung und sind zu kurz gedacht“, sagte der Sprecher der Innenverwaltung, Martin Pallgen. Für die Einrichtung eines Sperrgebiets brauche es zudem einen Senatsbeschluss.
"Es bringt nichts, wenn Prostituierte an der Landstraße in Spandau stehen"
Der Sprecher in der Senatsverwaltung für Gesundheit, Christoph Lang, hat teilweise Verständnis für von Dassel: „Der Charakter des Straßenstrichs in der Kurfürstenstraße hat sich verändert“, sagt auch er. Die Belastung sei enorm, aber der Senat unterstütze Anwohner und Bezirk bereits. Die Standards für Wohnungsbordelle könne man nicht absenken, da diese im Prostituiertenschutzgesetz verankert seien und es sich dabei um ein Bundesgesetz handelt. Lang bezweifelt auch den Nutzen von berlinweiten Sperrgebieten: „Es bringt nichts, wenn Prostituierte dann an der Landstraße in Spandau stehen, wo es nicht sicher ist.“
In der Kurfürstenstraße hat der Straßenstrich Tradition. In den 70er Jahren verkaufte hier Christiane F. ihren Körper für Drogen, inzwischen gehen je nach Jahreszeit 200 bis 400 Prostituierte auf den Straßenstrich. Eine von ihnen ist Larissa. Sie kam vor neun Jahren aus Lettland, seitdem geht sie anschaffen. „In einem Bordell müsste ich mindestens 15 Prozent abgeben – so kann ich alles selbst behalten“, sagt die 31-Jährige. 150 Euro verdiene sie im Durchschnitt pro Tag. Sie hofft, dass sie an der Kurfürstenstraße bleiben darf. Dass sich Anwohner beschweren, kann sie verstehen. „Viele Mädchen laufen ja fast nackt rum.“
Noch sind die Mieten vernünftig
Für Helga und Peter Behnke ist das noch das geringste Problem. „Es ist einfach alles verdreckt und es stinkt“, sagt der Senior. Das Ehepaar lebt seit 50 Jahren in der Gegend – verbessert habe sich die Situation nicht. „Als Frau traue ich mich abends schon lange nicht mehr raus“, sagt Helga Behnke, die wie ihr Mann über 80 Jahre alt ist. Wegziehen wollten die beiden trotzdem nie. „Zentraler geht es nicht und die Mieten sind hier noch vernünftig – hoffentlich bleibt das so“, sagt sie und schaut auf die große Baustelle ein paar Meter weiter, wo Luxus-Appartments entstehen.
Dort, direkt vor dem Bauzaun, sitzt am Freitagmittag ein etwa 40-Jähriger auf einem Klappstuhl und trinkt Whisky-Cola. „Ich passe auf die Mädchen auf“, sagt der Mann, der seinen Namen nicht nennen will. Seit fünf Jahren mache er das schon, trotzdem hofft er, dass der Strich verboten wird. „Am besten ist es, wenn die Mädchen zurück in ihre Heimat gehen oder sich eine andere Arbeit suchen“, sagt er. „Hier werden sie nicht glücklich.“