Dragoner Areal in Kreuzberg: Brennglas des Berliner Immobilienmarkts
31 Flächen hat die BIM im letzten Jahr ans Land Berlin übertragen, 200.000 Quadratmeter Fläche. Doch wie viele Wohnungen entstehen? Ein Rundgang in Kreuzberg.
Pamela Schobeß hat die Zigarettenschachtel in den halbhohen schwarzen Sneaker mit dem weißen Totenkopfaufdruck gesteckt. Ein schöner Kontrast zu den Pumps der Dame von der „Berliner Immobilienmanagement GmbH“ (BIM). Diese Berliner Mischung kommt am Donnerstag im „Gretchen“ zusammen.
Schobeß betreibt den Club auf dem Dragoner Areal. Und das frühere Kasernenareal brummt. Nicht aus dem Bass des Clubs, sondern, weil um diese Uhrzeit die Schrauber der KFZ-Betriebe, die Kassierer des Biomarktes „LPG“ und die vielen kleinen Handwerker Dienste schieben. Und weil die Landesbediensteten der BIM und der Senatsverwaltung für Finanzen, hier zusammen etwas Neues, berlintypisches schaffen wollen: ein vitales Quartier mit bezahlbaren Wohnungen. Baustart für das Projekt könnte nach Einschätzung der BIM 2021 sein.
Die Location für ihre Party am Donnerstag hatte die BIM gut ausgewählt: Weil auf dem Dragoner-Areal wie im Brennglas die Folgen des heißgelaufenen Grundstücksmarktes sichtbar werden – und auch erkennbar ist, wie der Senat mit seinen landeseigenen Firmen versucht, das Feuer zu löschen. Für diesen Einsatz ist die BIM, unter deren Dach die Grundstücksflächen der halben Stadt stecken, eine der Schlüsselfirmen. Denn sie hat den Liegenschaftsfonds geschluckt. Und die BIM hält, bewirtschaftet und saniert den vollständigen Landesbesitz an Immobilien. Die schlechte Nachricht dabei ist: Viel ist nicht übrig, was der rasant wachsenden Stadt Entlastung bringen könnte.
Gerade mal 31 Flächen mit zusammen 200 000 Quadratmetern hat die BIM im vergangenen Jahr überwiegend an die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften „übertragen“. So nennt BIM-Chefin Birgit Möhring das, weil sie dafür nicht den Kaufpreis in Höhe von knapp 83 Millionen Euro bekommt. Stattdessen verpflichten sich die Landesunternehmen allerdings, die Mieten in den auf den Grundstücken geplanten Wohnhäusern „25 Jahre lang zu reduzieren“, sagt Finanzstaatssekretärin Margaretha Sudhof (SPD). Gratis gibt es bei Geschäften unter Verwandten eben auch nichts. Das verstieße auch gegen das Haushaltsrecht.
Die Reserven gehen zur Neige
Wie viele Wohnungen auf diesen Grundstücken entstehen werden, wissen BIM und der Senat nicht zu sagen. Das hänge von Planung und Baurecht ab, die erst durch Verhandlungen mit den Bezirken festgezurrt werden. In diesem und im kommenden Jahr sollen noch einmal jeweils Flächen mit ungefähr derselben Größe bereitgestellt werden. Aber schon jetzt gehen die Reserven zur Neige, es gibt viele Grundstücke mit Altlasten oder ungünstigem Zuschnitt.
Mehr Hoffnungen setzt Sudhof in die Verhandlungen mit dem Bund zur Übernahme von dessen Berliner Grundstücken. Das seien eher mehr nutzbare Flächen als Berlin noch bereit stellen könne. Das Dragoner-Areal ist eine solche Bundesimmobilie. Und das Areal ist immer noch nicht im Besitz Berlins, weil „die Gremien“ der Parlamente dem Kauf noch zustimmen müssen. „Das ist keine Formalie“, warnt Sudhof. Denn die Gremien hatten vor dem Verkauf der Fläche ans Land den beabsichtigten Verkauf an einen privaten Investor gestoppt.
Willst Du einen Schrauber am Stadtrand?
Höflich bedankte sich die Finanzstaatssekretärin bei Pamela Schobeß dafür, dass die BIM-Veranstaltung überhaupt im Gretchen stattfinden konnte. Sie habe erfahren, dass hier sonst um diese Uhrzeit noch Partybetrieb herrsche. Das sei zwar nicht ihre Lebenswirklichkeit, mache aber eben Berlin aus. Die Mischung macht’s, die Berliner allemal, und zu der bekennen sich die Kaufleute der BIM ebenso wie die Finanzstaatssekretärin einhellig. Ob die sich wirklich erhalten lässt? Muss ein Kfz-Betrieb wirklich mitten in Kreuzberg werkeln oder sollte der nicht Platz machen für die mehr als 100 000 Wohnungssuchenden, die von Neubauten profitieren würden?
Also diskutieren und streiten BIM, Gewerbetreibende, Senat und Bezirk über die Baupläne für das Dragoner-Areal. Darüber, ob „auf jeden Fall mehr als 500 Wohnungen“ dort entstehen, wie die Finanzverwaltung das wünscht. Oder doch weniger. Und wenn es nach Pamela Schobeß geht, wird der Spatenstich für die Neubauten eher nicht im Jahr 2021 erfolgen – sonst „bleibt wenig Zeit zum Reflektieren“. Aber vielleicht auch, weil sie schon einmal einen Club verlor. In Prenzlauer Berg, das Icon. Dort entstanden auch Wohnungen. Der Club sollte bleiben. Aber den Bewohnern war der am Ende doch zu laut. Und bei Streitigkeiten zwischen Betrieben und Bewohnern gewinnen meistens letztere.
Erschreckende Gewerbemiete
„Erschreckend“ hoch sind die Gewerbemieten in der Stadt außerdem: 23,30 Euro je Quadratmeter im Durchschnitt – „über 36 Euro in der Spitze“, sagt BIM-Chefin Möhring. Ihre Firma sitzt auch auf dem größten Bestand an Gewerbeimmobilien in der Stadt. „Und wir haben den Anspruch die Gewerbemieten stabil zu halten.“
Andererseits werde sie nicht die soliden kaufmännischen Grundsätze missachten, wonach sich jede Immobilie rechnen muss, Erhaltungskosten inbegriffen. Um „Künstler“ und „förderfähiges Gewerbe“ zu schützen, sei deshalb eine „Mischkalkulation“ nötig: Etwas mehr Miete für besonders gute Flächen und weniger für andere, damit die Berliner Mischung möglich bleibt.
Der Fall "Kamil Mode"
Auf dem freien Markt haben berlintypische Handelstreibende fast keine Chance mehr, wie ein Beispiel ein paar Straßen weiter zeigt: Das Geschäft „Kamil Mode“ am Kottbusser Damm 9 soll trotz guter Umsätze und Angebote zur Zahlung einer höheren Miete Ende des Monats schließen – nach 16 Jahren im Kiez.
Der Vermieter, in diesem Fall kein Finanzinvestor sondern ein ganz gewöhnlicher Privateigentümer, reagiert nicht auf Angebote und Anfragen. Grünen-Abgeordnete Katrin Schmidberger will das nicht hinnehmen und mobilisiert in Bezirk und Abgeordnetenhaus gegen die Verdrängung.
Einen von ihr und weiteren Politikern verfassten offenen Brief an den Hauseigentümer Thorsten Cussler haben sogar Bundestagsabgeordnete von SPD und Linken unterzeichnet. „Für die Menschen im Kiez und Herrn Qadi (der Mieter) geht es um die Existenz und um den sozialen Zusammenhalt“, heißt es darin. „Bisher stand der Mann nicht mal für ein Gespräch zur Verfügung.“