Energiewende bei Vattenfall: Braunkohleausstieg in Berlin 2017
Der Energiekonzern baut seinen Kraftwerkspark um – und steigt früher als geplant aus der Braunkohle aus. Doch Berlin tut sich schwer beim Thema CO2.
o
Inzwischen ist es nicht mehr nur Absicht, sondern Gesetz, dass Berlin bis 2050 klimaneutral werden soll. 85 Prozent weniger CO2-Ausstoß gegenüber dem Referenzjahr 1990 bedeutet das. Und da der Gebäudebestand zum Heizen die meiste Energie verbraucht, ist klar, dass die Energiewende vor allem eine Wärmewende sein muss. Bei der will Vattenfall nun einen entscheidenden Schritt tun: Ab Ende Mai 2017 soll im Heizkraftwerk Klingenberg an der Rummelsburger Bucht keine Braunkohle mehr verbrannt werden, kündigte das Unternehmen am Dienstag an.
Ein Blick auf die Treibhausgas-Emission von Vattenfalls Kraftwerken zeigt, welche enorme Rolle der Versorger in der Berliner Klimabilanz spielt: Von den rund 20 Millionen Tonnen CO2 im Jahr, die in der Stadt jährlich in die Luft geblasen wurden, gingen allein rund drei Millionen Tonnen allein auf das Konto des Steinkohlekraftwerks Reuter West, gefolgt vom (viel leistungsschwächeren) Kraftwerk Klingenberg mit etwa 1,4 Millionen Tonnen.
Zusammen machen diese beiden Kraftwerke also fast ein Viertel des Berliner Klimaeffekts aus. Noch. 600 000 Tonnen CO2 im Jahr soll allein der Braunkohle-Ausstieg in Klingenberg vermeiden. Ursprünglich sollte die Anlage bis 2020 auf Gas umgestellt werden.
Zwar war auch schon mal von 2016 und teilweisem Biomasse-Betrieb die Rede. Aber das mit der Biomasse wurde abgeblasen, weil es auf Dauer womöglich nur mit ökologisch und sozial fragwürdigen Holzresten aus Afrika zu machen gewesen wäre. Und der Zeitplan? „Wir haben 2016 nicht versprochen, sondern den Fehler gemacht, unsere optimistische Prognose nach außen zu tragen“, sagte Vattenfalls Fernwärme-Chef Gunther Müller kürzlich. Jetzt erklärte er, die 100 Millionen Euro teure Modernisierung der Anlage komme schneller voran als geplant.
Damit dürfte Vattenfall auch seine Klimaschutzvereinbarung mit dem Senat erfüllen: Minus 50 Prozent CO2 bis 2020 sind darin gefordert. Das Land insgesamt hat sich bis dahin nur minus 40 Prozent vorgenommen – und real erst 30 Prozent geschafft, die obendrein seit Jahren stagnieren, weil vor allem im Verkehr gar keine Fortschritte mehr erzielt werden.
Das Kraftwerk Reuter bekommt einen Mega-Tauchsieder
Vattenfall dagegen kommt auch an anderen Stellen voran: Das von der Gesobau vorbildlich sanierte Märkische Viertel wird aus einem Kraftwerk mit zertifizierter Biomasse befeuert. Auch im Heizkraftwerk Moabit werden zusammen mit der Kohle neuerdings Holzreste verfeuert, was die Klimabilanz verbessert. Im Heizkraftwerk Reuter will Vattenfall bis 2020 einen Steinkohleblock durch eine „Power to Heat“-Anlage ersetzen. Die erzeugt nach dem Prinzip eines riesigen Tauchsieders Wärme aus Strom – nur dass der nicht extra erzeugt werden muss, sondern an windigen, sonnigen Tagen zeitweise im Übermaß vorhanden ist. Die Wärme kann beispielsweise in der darauffolgenden Nacht wieder abgegeben werden – und spart dann fossile Brennstoffe.
Das ebenfalls mit Biomasse betriebene Fernheizwerk Neukölln, ein Tochterunternehmen von Vattenfall, hat im August sogar den lokalen Grünen-Kandidaten in Begleitung des Schleswig-Holsteinischen Umweltministers Robert Habeck zum Besuch gelockt. Zwei Grüne auf PR-Tour bei Vattenfall – das passiert nicht alle Tage. Am Dienstag verband der scheidende Grünen-Energieexperte Michael Schäfer sein Lob für Vattenfalls Plan mit der Ankündigung, den Steinkohle-Ausstieg von Vattenfall politisch zu forcieren. Der soll bis 2030 geschafft sein.
Mit dem Kraftwerkspark wird das Fernwärmenetz umgebaut, das fast ein Drittel aller Berliner versorgt. In diesem Netz soll ab 2019 das ebenfalls neue Heizkraftwerk Marzahn an der Rhinstraße die Grundversorgung vor allem der Plattenbaugebiete von Hohenschönhausen bis nach Lichtenberg übernehmen. Auch Reuter West bleibt ein solches Grundlast- Kraftwerk, das die Wärmeversorgung der Stadt sichert. Hinzu kommt der Ersatzneubau in Lichterfelde, der – mit einem Jahr Verspätung, weil aus Lärmschutzgründen die Arbeitszeiten auf der Baustelle verkürzt worden sind – im Herbst 2017 ans Netz gehen soll.
Je nach Wetter ist gar kein konventioneller Strom gefragt
Der Fünfte im (Ver-)Bunde ist das ebenfalls mit Gas befeuerte Heizkraftwerk Mitte an der Jannowitzbrücke, das dank stetiger Modernisierungen mit bis zu 92 Prozent Energieausnutzung weiter zum Besten gehört, was technisch machbar ist. Allerdings gelingt solche Effizienz nur, wenn im optimalen Verhältnis gleichzeitig Wärme und Strom erzeugt werden können. Doc die Strompreise für die Erzeuger sind gesunken und die Nachfrage schwankt wegen des Ausbaus der erneuerbaren Energien immer stärker. Wenn beispielsweise strammer Wind durch die Mühlen von der Ostsee bis ins Berliner Umland weht und dazu die Sonne auf die Solardächer scheint, ist weit und breit kein konventionell erzeugter Strom gefragt, sondern nur die Wärme, aus der im Sommer auch Kälte (beispielsweise für die Klimatisierung der Gebäude um den Potsdamer Platz) und rund ums Jahr Warmwasser gewonnen wird. Ein wenig lässt sich über den Netzverbund ausgleichen, in dem die Kraftwerke sowohl beim Strom- als auch beim Fernwärmenetz hängen. Aber allzu oft gerät die eigentlich so sinnvolle Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) an ihre Grenzen – und mit ihr die Wirtschaftlichkeit des Unternehmens.
Das Prinzip „Power to Heat“ gilt auch für Berlin als Ausweg aus diesem Dilemma. Diese Technik sowie der massive Ausbau dezentraler Erzeuger – Blockheizkraftwerke, Solaranlagen – sollen den großen Rest zu Vattenfalls Energiewende beitragen. Bis 2050 gilt für den Energieversorger wie für Berlin insgesamt: minus 85 Prozent CO2. Im Moment allerdings sieht es nach einem Vorteil für Vattenfall aus. Und bei der Energiewende gilt wie im Sport: Wer schneller gestartet ist, muss sich hintenraus weniger anstrengen.
Stefan Jacobs