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Menschen sitzen auf Liegestühlen an einem Flussufer.
© dpa

Wasserqualität in Berlin: Die Spree enthält immer mehr Sulfat - aus dem Bergbau

Eine unsichtbare Gefahr für Wassertiere und Bauwerke aus Beton: Wegen der Braunkohlegewinnung in der Lausitz steigt die Sulfatbelastung in der Spree. Die Berliner Wasserbetriebe haben ganz andere Sorgen.

Der Kohlebergbau in der Lausitz liefert Berlin und Umland Strom – und allerlei Schadstoffe. Neben Eisenocker, der zum Phänomen der „braunen Spree“ führt, trägt das Flusswasser seit einigen Jahren auch Sulfat in größeren Mengen. Die Konzentration ist an vielen Messstellen so hoch, dass es langfristig zu Problemen bei der Trinkwassergewinnung kommen kann. Darüber hinaus sind Betonbauwerke wie Brücken, aber auch Teile der Kanalisation bedroht und nicht zuletzt das Leben im Fluss.

Das Sulfat ist im Wasser gelöst und nicht sichtbar. Es entsteht durch die Absenkung des Grundwassers rund um den Tagebau. Dadurch gelangt Sauerstoff an Pyrit (ein Eisen-Schwefel-Mineral, Formel FeS2), das im Boden vorhanden ist. Mit Niederschlag oder ansteigendem Grundwasser werden Eisenhydroxid und Schwefelsäure, die aus dem Pyrit entstanden sind, fortgespült. In die Zuflüsse der Spree. Oft ist das Wasser dort weniger sauer, sodass das Eisenhydroxid ausfällt und das Wasser braun färbt. Früher oder später sinkt es zu Boden, das Sulfat jedoch bleibt gelöst und schwimmt in Richtung Berlin.

Ein Gesundheitsrisiko für den Verbraucher besteht bislang nicht

Am Zufluss der Spree in den Müggelsee werden seit zwei Jahren im Schnitt 270 Milligramm Sulfat pro Liter Wasser gemessen. Der Grenzwert für Trinkwasser liegt bei 250 Milligramm pro Liter. Abgesehen davon, dass keiner Müggelseewasser in rauen Mengen trinkt, ist trotzdem keine Gesundheitsgefährdung zu befürchten.

„Es gibt nur eine Handvoll an Studien, die sich mit der Wirkung des Sulfats auf die Gesundheit befassen“, sagt Dominik Zak vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB). Erst ab hohen Konzentrationen von weit über 600 Milligramm pro Liter könne es beispielsweise zu Durchfall kommen. „Als Konsument sollte man nicht in Panik verfallen.“ Der Grenzwert – in Kanada liegt er übrigens bei 500 Milligramm pro Liter – sei vor allem der Bauphysik geschuldet. Denn Sulfat kann mit Bestandteilen des Betons kristalline Verbindungen bilden. Dieser „Zementbazillus“ führt dazu, dass das Baumaterial regelrecht aufplatzt, wie man es von Frostschäden her kennt.

An Berliner Brücken sind solche Schäden bisher nicht bekannt, teilt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt mit. Auch in den Abwasserkanälen der Berliner Wasserbetriebe (BWB) ließen sich keine sulfatbedingten Schäden feststellen. „Die biochemischen Prozesse, die von den Stoffwechselprodukten der Menschen ausgehen, bereiten uns erheblich größere Sorgen“, formuliert es der BWB-Sprecher Stephan Natz.

Allerdings ist der hohe Sulfatgehalt der Spree relativ neu. Und er wird langfristig hoch bleiben, wohl Jahrzehnte, sagt Natz und verweist auf Studien. Damit könnte er auch zum Problem für die Trinkwassergewinnung der Stadt werden. Zu großen Teilen erfolgt diese aus dem Wasserwerk Friedrichshagen. Zahlreiche Brunnen nahe am Müggelsee fördern Wasser, das vom See durch die Bodenschichten geströmt ist. „Einzelne Brunnen haben mehr Sulfat, als der Grenzwert erlaubt, aber indem dieses Wasser mit dem aus anderen Brunnen gemischt wird, bleibt unser Produkt unter dem Grenzwert.“ Wenn sich die Sulfatfracht in der Spree deutlich erhöhe, könnte es ein Problem geben, bestätigt Natz. Eine gesonderte Abtrennung ist extrem aufwendig und teuer und in den Größenordnungen, die in Friedrichshagen erforderlich wären, nicht verfügbar.

Suche nach sulfatarmen Wasservorräten

Dann müssten andere Grundwasservorräte erschlossen werden, die weniger sulfatbelastet sind. Das ist die Strategie der Frankfurter Wasser- und Abwassergesellschaft (FWA), die am Wasserwerk Briesen, weiter oben an der Spree, mit Konzentrationen von mehr als 350 Milligramm pro Liter konfrontiert ist. Noch ist das Trinkwasser unter dem Grenzwert, doch die Betreiber schauen sich längst nach Alternativen um. Eine schnelle Lösung wäre, ein altes Wasserwerk bei Müllrose wieder zu eröffnen, sagt Michael Scheel, kaufmännischer Leiter beim FWA. „Das würde 7,5 Millionen Euro kosten.“

Das Braunkohleunternehmen Vattenfall habe bereits zugesagt, 45 Prozent der Kosten zu übernehmen; weitere 45 Prozent sollen von der Bergbausanierungsgesellschaft LMBV kommen, den Rest will das Land Brandenburg tragen. Noch ist die Finanzierung nicht gesichert, also wird nicht gebaut. Zudem planen die Frankfurter, in Briesen neue Grundwasservorkommen zu erschließen. „Wir wollen langfristig unabhängig vom Spreewasser werden“, sagt Scheel. „Es ist ja nicht nur das Sulfat, auch andere Schadstoffe könnten zum Problem werden.“

Lebewesen, die in der Spree leben, können nicht ausweichen. Offenbar haben sie bereits mit Sulfatkonzentrationen unterhalb des Grenzwertes für Trinkwasser Schwierigkeiten. „Eine Metaanalyse von mehreren Befunden hat ergeben, dass Sulfatkonzentrationen von 200 Milligramm je Liter das Makrozoobenthos beeinträchtigen, also Muscheln, Krebse und weitere Tiere, die größer als ein Millimeter sind“, sagt der IGB-Gewässerökologe Zak. Und es sei nicht allein die Spree betroffen, auch Flüsse in Norddeutschland wie die Peene oder die Tollense hätten ein Sulfatproblem, obwohl es dort keinen Bergbau gibt. „Die Ursachen dort dürften Moorentwässerung und Nitratauswaschung aus landwirtschaftlich intensiv genutzten Flächen sein.“

Um dagegen vorzugehen, empfiehlt er einerseits, Moore wieder zu aktivieren, wie es ohnehin an verschiedenen Orten getan wird. Da eine technische Reinigung praktisch unmöglich ist, forschen Zak und seine Kollegen am IGB an natürlichen Kläranlagen, die am Ausgang von Seen oder bei Flüssen errichtet werden könnten. „Constructed wetlands“ (künstliche Feuchtgebiete) nennt sich das Prinzip: ein Boden, der dauerhaft von Wasser bedeckt ist und in dem verschiedene Sumpfpflanzen wachsen.

Mikroorganismen sollen Sulfat abbauen

In den oberen Schichten sollen unter Mithilfe von Mikroorganismen chemische Reaktionen ablaufen und beispielsweise Sulfat abbauen. In Laborversuchen haben die Wissenschaftler stark zersetzten Torf genommen, der bei der Wiedervernässung von Mooren als Abfall anfällt. „Dieser Torf ist eine vielversprechende Grundlage“, berichtet Zak. Er geht davon aus, auf diese Weise den Sulfatgehalt im Wasser etwa um den Faktor zehn verringern zu können. Ob das gelingt, müssen allerdings erst noch praktische Versuche im Freien zeigen.

Bei der Spree ist der Handlungsdruck deutlich größer, wie die Vorkehrungen der angrenzenden Wasserwerke zeigen. 2015 gab es deshalb einen Sulfatgipfel mit Politikern, Vattenfall und der LMBV. Es müsse noch besser erforscht werden, welchen Einfluss das Wetter, speziell die Niederschläge, auf die schwankenden Sulfatgehalte hat, lautete ein Ergebnis. Denn nicht jeder Guss führt zu einer Verdünnung, mitunter wird danach sogar noch mehr Sulfat aus dem Boden gespült. Für Stephan Natz von den Berliner Wasserbetrieben ist das Ziel klar: Wie im Wasserwerk Friedrichshagen müsse auch in der Lausitz das verfügbare Wasser so gemischt werden, dass unterm Strich die Sulfatgehalte nicht zu hoch sind.

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