„Unser Vertrauen ist aber sehr beschränkt“: Brandenburgs Verfassungsschutz hat jetzt Spitzel in der AfD
Beim Verfassungsschutz in Brandenburg dienen sich Informanten aus der AfD an. Die Behörde muss sie in ihrem Ausstiegswillen bestärken.
Der Brandenburger Verfassungsschutz nutzt jetzt auch Quellen aus der AfD, um die Partei nachrichtendienstlich zu überwachen. Das geht aus einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ (FAS) hervor, der vom Sprecher des Innenministeriums in Potsdam am Samstagabend in groben Zügen bestätigt wurde. Demnach freut sich der Chef des Brandenburger Verfassungsschutzes, Jörg Müller, über regen Zulauf von Spitzeln aus der AfD.
Den Angaben zufolge hat der Brandenburger Verfassungsschutz bereits Spitzel, um Informationen über die AfD zu gewinnen. Abteilungsleiter Müller sagte der FAS: „Das Gesetz will, dass wir das AfD-Milieu auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln erfassen. Also machen wir das – auch mit ‚verdeckt Informationsgebenden‘. Über die Zugangslage kann ich mich aktuell nicht beklagen.“
Im Gegensatz zur FAS-Darstellung werden allerdings keine sogenannte V-Leute angeworben und eingesetzt. Jörg Müller sagte auf Tagesspiegel-Nachfrage: „Wir nennen sie ‚verdeckt Informationsgebende‘, nicht V-Leute. Das V stand mal für Vertrauen. Unser Vertrauen ist hier aber sehr beschränkt. Wir hinterfragen alles.“
Dabei geht es auch darum, den Ausstieg aus der rechten Szene zu befördern. So sieht es das Gesetz für den Einsatz von „verdeckt Informationsgebenden“ in Brandenburg vor. Sie sind demnach vor ihrer Verpflichtung und danach einmal pro Jahr zu ihren Ausstiegsabsichten zu befragen und auf Hilfsangebote hinzuweisen. Laut der noch von der rot-roten Koalition 2019 vorgelegten Begründung für die Gesetzesnovelle sind Personen, die angeworben werden sollen oder schon verpflichtet worden sind, sogar „in dem Ausstiegswillen zu bestärken“.
In Brandenburg ist der Einsatz von sogenannten Vertrauensleuten gesetzlich ausgeschlossen. Das hatte die rot-rote Koalition im Sommer 2019 per Landtagsbeschluss durchgesetzt. Seit der Gesetzesnovelle sind nur „verdeckt Informationsgebende“ zulässig, ihr Einsatz ist zudem stärker reglementiert und wird schärfer regelmäßig vom Landtag kontrolliert. Damit hatte Rot-Rot Konsequenzen aus dem NSU-Skandal gezogen.
Brandenburger AfD ist als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft
Mitte Juni hatte Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) bekannt gegeben, dass die AfD-Landespartei als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft wird. Brandenburg war damit das zweite Bundesland nach Thüringen. Es gebe hinreichende Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen der Brandenburger AfD gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, hieß es.
Einen Monat später, im Juli, hieß es bereits, dass sich immer mehr Mitglieder der AfD aktiv bei den Verfassungsschutzämtern der Länder und des Bundes meldeten, um ihre Dienste anzubieten. Als sogenannte „Selbstanbieter“, wie es im Fachjargon heißt, wollten sie den Nachrichtendiensten Informationen über die Rechtsextremisten in den eigenen Reihen liefern – und offenbar so sich und ihre Partei vor dem absoluten Abgleiten retten.
Müller wies nun Zweifel daran zurück, ob überhaupt Spitzel aus der AfD abgeschöpft werden sollten. Zum Verdacht, mit bezahlten Spitzeln könnten wie in der Vergangenheit Neonazi-Netzwerke indirekt mit Staatsgeld finanziert werden, sagte Müller dem Tagesspiegel: „‚Verdeckt Informationsgebende‘ bekommen eine überschaubare Aufwandsentschädigung. Leben kann niemand davon.“ Nach dem Gesetz ist das auch ausgeschlossen.
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Zugleich beschrieb der Chef des Brandenburger Verfassungsschutzes, wie der Nachrichtendienst Informationen über die AfD zusammenträgt. Seit Juni kann der Nachrichtendienst Funktionäre und Gremien der Landes-AfD beobachten. Dafür stehen ihm eine Reihe von nachrichtendienstlichen Mitteln wie das Sammeln personenbezogener Daten und verdeckte Ermittlungen zur Verfügung.
„Man erfährt viele Dinge im Netz oft schneller als über Quellen. Aber eben nicht immer. Und schon gar nicht alles“, sagte Müller. Daneben seien andere technische Mittel mit großem Aufwand verbunden. „G-10-Maßnahmen wie das Abhören von Telefonen ist personalintensiv, teuer, technisch aufwendig und an hohe gesetzliche Hürden gebunden. Diese Mittel werden daher zurückhaltend eingesetzt“, sagte Müller.
Der rege Zulauf hält an
Seit der Einstufung der AfD in Brandenburg verzeichnete der Verfassungsschutzverbund deutschlandweit regen Zulauf von AfD-Mitgliedern, die ihre Zusammenarbeit anbieten, sagte ein Ministeriumssprecher im Sommer. Dieser Trend hält offenbar an. Eine zeitlang hatten die Dienste derlei Angebote von Zuträgern noch abgelehnt, es hatte Zweifel daran gegeben, was die Quellen antreibt.
Wie die FAS nun berichtet, sind der AfD selbst auch Anwerbeversuche bekannt. Demnach haben der Leiter der Arbeitsgruppe Verfassungsschutz in der Partei, Roland Hartwig, und der Vorsitzenden der Parteijugend „Junge Alternative“, Damian Lohr, von Fällen berichtet, in denen Mitglieder eine Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz abgelehnt haben sollen.
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Einige Bundesländer verzichten dem Bericht zufolge bewusst auf die Anwerbung sogenannter Vertrauensleute, Thüringen hält offiziell nichts vom Brandenburger Weg. Der Präsident des thüringischen Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, erklärt die Zurückhaltung mit formalen Gründen. Der Geheimdienst müsse erst andere Möglichkeiten der Beobachtung ausgeschöpft haben, bevor ein V-Leute-Einsatz verhältnismäßig sei, und dieser bedeute einen großen Aufwand.
„Quellen zu finden dauert am längsten. Sie können die nicht auf der Straße anhalten und sagen: Ich geb dir ein Eis aus, erzähl mal. Da stecken Sie auch die meiste Arbeit rein“, sagte Kramer der FAS. Zum Einschleusen von Spitzeln in Parteien sagte Kramer wegen des hohen Aufwandes: „Vergessen Sie's.“
Der im April vorgeblich aufgelöste „Flügel“ der AfD um Thüringens Landesparteichef Björn Höcke wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Die Jugendorganisation Junge Alternative wird von der Behörde als rechtsextremistischer Verdachtsfall behandelt. Der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern wollen eine gemeinsame Einschätzung zur gesamten AfD finden. Dann könnte die Bundespartei als extremistischer Verdachtsfall eingestuft und damit nachrichtendienstlich beobachtet werden.