„Putin, du bist ein Mörder“: Botschafter der Ukraine attestiert deutscher Politik „kollektives Versagen“
Das Appeasement gegenüber Putin sei „krachend gescheitert“, sagt Andrij Melnyk. Er fordert eine „Luftbrücke 2.0“ und einen Importstopp für russische Rohstoffe.
Ruhig und eher leise sprach Andrij Melnyk vom Pult des Berliner Abgeordnetenhauses. Doch seinen Worten mangelte es nicht an Eindringlichkeit, Deutlichkeit und bisweilen auch Schärfe angesichts der Katastrophe, die sich derzeit in seinem Heimatland abspielt.
Der Botschafter der Ukraine in Deutschland wandte sich am Donnerstag zu Beginn einer Aktuellen Stunde an die Parlamentarier der Bundeshauptstadt - und rechnete dabei mit Fehlern der deutschen Politik im Umgang mit Russland unter Wladimir Putin ab. In Anlehnung an die Berliner Luftbrücke vor mehr als 70 Jahren forderte er einen Versorgungskorridor in die Ukraine auf dem Landweg und plädierte zudem für einen Importstopp für russische Rohstoffe.
„Das, was heute in Mariupol geschieht, ist schlimmer als in Aleppo“, sagte Melnyk in Erinnerung an die russischen Angriffe auf die syrische Stadt im Jahr 2016. "Die Welt hat weggeschaut, Deutschland hat weggeschaut - man hätte Putin damals stoppen müssen. Man hat versagt."
Putin führe einen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine, gegen unschuldige Zivilisten, gegen Frauen und Kinder, erklärte der Botschafter - während er Bilder von Kindern, Eltern, Großeltern zeigte, die zu Opfern des Krieges wurden. Viele seien auf der Flucht in ihren Fahrzeugen erschossen worden. Erst am Mittwoch sei ein Kinderkrankenhaus in Mariupol zerbombt worden. Mehr als 1200 tote Zivilisten gebe es allein in dieser Stadt.
„Seit 14 Tagen wird Mariupol bombardiert, Tag und Nacht.“ Die Stadt sei umzingelt worden. Eine Blockade wie im Mittelalter, kein Strom, keine Heizung. „Man sammelt Schnee, um zu trinken.“ Alles sei in Schutt und Asche gelegt worden. „Putin, du bist ein Mörder. Du wirst dafür in der Hölle schmoren für alle Ewigkeit“, sagte der ukrainische Botschafter an die Adresse des russischen Präsidenten.
Melnyk fordert Aufarbeitung "aller Russland-Connections"
Warum bloß hätten deutsche Politiker Putins aggressive Politik „salonfähig gemacht“, fragte Melnyk. Die deutsche Russlandpolitik sei „krachend gescheitert“. Der Botschafter zog einen historischen Vergleich: "Durch Appeasement hat die politische Klasse versagt, einen großen Krieg mitten in Europa zu verhindern - den schlimmsten seit 1945." Es wäre heute scheinheilig, zu sagen, man habe sich geirrt in Bezug auf Putins Pläne. "Es ist auch heuchlerisch, sich von diesem kollektiven Versagen nun hastig zu distanzieren."
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Die deutsche Öffentlichkeit brauche daher eine "ehrliche Debatte", eine Aufarbeitung "aller Russland-Connections" - vor allem, um die "gravierenden Fehler vergangener Jahrzehnte zu korrigieren". Es brauche heute die richtigen Entscheidungen, "damit sich dieses politische Fiasko nicht wiederholt, nie wieder", sagte Melnyk.
Eine europäische Kulturnation mit eigener Geschichte, dieses Bild ihres Landes würden sich die Ukrainer von den Deutschen erwarten. Ein Kulturinstitut wolle man in Berlin etablieren. „Wir bitten Sie, mehrere bilinguale Europa-Schulen zu gründen“, sagte der Botschafter. Mehr als 12.000 Ukrainer lebten schon hier in Berlin. Und es kämen weitere.
"Brauchen Berliner Luftbrücke 2.0 - nur auf dem Landwege"
Zudem forderte er stärkere Unterstützung für die, die noch im Land sind. „Wir brauchen einen Versorgungskorridor in die Ukraine, um die Menschen mit Lebensmitteln und Medikamenten zu versorgen. Wir brauchen eine Berliner Luftbrücke 2.0 - nur diesmal auf dem Landwege“, sagte Melnyk in Erinnerung an die Versorgung des von der sowjetischen Blockade abgeschotteten West-Berlins in den Jahren 1948 und 1949. „Man darf uns nicht im Stich lassen. Wir kämpfen auch für Ihre Freiheit“, sagt Melnyk. Die Abgeordneten applaudierten.
Kugelsichere Helme und Schutzausrüstungen würden in der Ukraine gebraucht, sagt Melnyk. Aber bisher seien nur Maschinengewehre gekommen. Hunderttausende würden sich in der Ukraine freiwillig melden. Die Bundesrepublik Deutschland müsse die Sanktionen gegen Putin verstärken. „Ein Importstopp russischer Rohstoffe muss kommen. Bitte helfen Sie uns, diesem Armageddon ein Ende zu bereiten.“
Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) stellte eine „Schienenbrücke für Hilfsgüter“ in Aussicht, über die sie mit der Deutschen Bahn gesprochen habe. Berlin werde einen Beitrag dazu leisten, dass Hilfsgüter und Spenden in die Ukraine kämen. Die Stadt zeige eine enorme Hilfsbereitschaft. Man sei darauf eingerichtet, zunächst 20.000 Geflüchtete unterzubringen.