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Wenn man schon nicht in den Urlaub fahren kann, kommt der Urlaub eben nach Hause.
© Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Freizeit in der Coronakrise: „Blumenerde ist das neue Klopapier“

Die Garten- und Balkonsaison hat begonnen. Zurzeit scheint sie für viele in der Isolation wichtiger denn je – auch für unseren Autor.

Der erste Eindruck war kein guter. Freitagfrüh, noch nicht einmal zehn Uhr, trotzdem hatte sich vor dem Gartencenter unseres Vertrauens bereits eine kleine Schlange gebildet. Ein Securitymann achtete auf den korrekten Abstand. Als wir endlich durch die Tür waren, passierten wir an der Kasse mehrere voll beladene Plattenwagen, darauf Blumenerde, immer fünf, sechs Säcke übereinander.

Ich war sicher, drinnen würde es aussehen wie in einem Supermarkt nach 17 Uhr: leere Regale allerorten. „Blumenerde ist das neue Klopapier“, bestätigte ein Mann vom Verkaufspersonal. Aber er beschwichtigte sofort, klang plötzlich wie der Regierende Bürgermeister: Niemand muss sich Sorgen machen, es ist genug Blumenerde da.

Es ist überhaupt von allem genug da. Jetzt, wenn nicht schon seit zwei Wochen, ist Saisonstart auf Balkonien, Terrassen und in Gärten, jetzt sind die Lager der Gartencenter voll, sie sind auch auf einen großen Ansturm vorbereitet. Der kommt jedes Jahr um diese Zeit. Und die Gartenmärkte sind systemrelevant. Denn, wenn keiner mehr raus darf, wird doch jedes Hornveilchen zum überlebenswichtigen Trostspender. Allerdings sieht das nicht jeder so, einige Bundesländer haben den Zugang beschränkt.

Ist irgendwas anders als sonst? Vielleicht wird mehr Gemüse gekauft, mehr sogar als Obst, sagte der Verkäufer. Als ob die Leute sich sorgten, Gemüse könnte bald knapp werden. Schließlich weiß inzwischen jeder, dass die Bauern ein Problem mit fehlenden Erntehelfern haben. Auch das ist unbegründet.

Erstens melden sich immer mehr Leute, die das Homeoffice satt oder schlicht ihren Job verloren haben, bei Deutschlands Landwirten. Und zweitens sollen ja die Grenzen für helfende Hände wieder geöffnet werden. Trotzdem setzen nun offenbar mehr Heimgärtner als sonst auf Selbstversorgung.

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Wir auch. Wir haben schon in der vergangenen Woche einige Gurken- und Tomatenpflanzen für unseren handtuchschmalen Reihenhausgarten gekauft. Etwas voreilig, wie sich im Verlauf der Woche zeigte. Obwohl wir unsere Bete ganz dicht ans Haus gestellt hatten, sind ein paar des Nachts erfroren. Für draußen war es zumindest in der vergangenen Woche noch zu früh, sagte der Verkäufer. Überhaupt müsse man bis Ende April immer mal wieder mit Nachtfrösten rechnen.

Und dann sahen wir ihn. Er stand allein zwischen lauter kleinen Orangenbäumchen in einer Etagere: Ein Zitronenbaum, gut 75 Zentimeter hoch, seine drei, vier Früchte sahen viel zu schwer aus für die noch kleinen Zweiglein. Blüten hatte er auch. „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühen“, flüsterte meine Frau, „im dunklen Laub die Goldorangen glühen“, fuhr ich einigermaßen euphorisiert fort.

Ab in den Süden - fast

Italien. Unser Sehnsuchtsziel. Wollten wir im Mai hinfahren. Der Urlaub ist schon beantragt und genehmigt. Aber nach allem, was wir bis jetzt wissen, werden wir wohl zu Hause bleiben müssen. Möglicherweise das ganze Jahr, wie Innensenator Geisel gerade erst andeutete. Auf jeden Fall ist Italien derzeit kein realistisches Ziel. Und deshalb verfolgen wir einen kühnen Plan, der allmählich Gestalt annimmt. Es ist ein Plan, den keineswegs wir als Erste erdachten.

Vor knapp 200 Jahren gab der preußische Prinz Carl eine Menge Geld aus, um sich in Klein-Glienicke seinen Traum von Italien zu realisieren. Peter Joseph Lenné gestaltete den Park, die Architekten Persius und Schinkel lieferten die Kulissen dazu. Wenn man also vom Schloss aus Richtung Potsdam blickt, dann ist die Aussicht ganz gewollt jener von der römischen Villa Medici in Richtung Petersdom nachempfunden.

Nur, dass hier die Kuppel von Sankt Nikolai herhalten muss. Nun hatte ja so ein Preußenprinz ganz andere Möglichkeiten als unsereins heutzutage. Und wir gucken auch nicht auf Sankt Nikolai. Aber da geht was. Zumal der Park Klein-Glienicke in Zeiten der Kontaktsperre und dem Gebot, das Haus nicht zu verlassen, auch schwer zu erreichen ist.

Ein Hauch Mediterranes im Garten

Zum Glück haben wir aber schon letztes Jahr damit begonnen, unseren Garten auf Italien umzurüsten. Der Anfang war leicht. Die Töpfe mit Rosmarin und Thymian haben wir auf einer Etagere arrangiert, in der Mitte steht der Gipsabguss des David – wobei wir leider nur den Kopf besitzen. Der hat inzwischen jenen Grad an Verwitterung erreicht, dass er schon mal als Florentinisches Meisterwerk durchgeht, künftig umweht von einer aromatischen Wolke, wenn die Kräuter von der Sonne beschienen richtig loslegen.

Den Olivenbaum haben wir vor zwei Jahren online bestellt. Der beinahe mannshohe Baum wurde für knapp hundert Euro frei Bordsteinkante geliefert und hing voller Früchte. Die Folgekosten waren allerdings nicht unerheblich. Heizungsluft würde ihn umbringen. Er überwintert deshalb inzwischen in einem eigens angeschafften mobilen Gewächshaus.

Leider hat er nach der ersten Ernte nie wieder Oliven bekommen. Wir führen das darauf zurück, dass er daheim inmitten vieler Freunde stand und wahrscheinlich doch nicht wie angekündigt selbstbefruchtend ist. Mit anderen Worten, wir haben ihm noch einen kleinen Sexualpartner gekauft und hoffen auf Besserung. Muss man dran denken, wenn man auf Oliven setzt.

Inmitten von Jasmin, Zitrone und Olive

Dann der Jasmin. Letztes Jahr saßen wir auf Sizilien unter einem Jasmin, der Duft war betörend. Jetzt haben wir zwei eigene Jasminsträucher. Angeblich sind sie winterhart. Der Plan ist also, dass wir demnächst auf der Terrasse inmitten von Jasmin sitzen, der Blick geht vorbei am Olivenbaum direkt auf Davids Kopf.

Und jetzt auch noch der Zitronenbaum. „Wird vier Meter hoch“, steht auf dem Beipackzettel. Wer’s glaubt. Was aber im Winter aus ihm werden soll, verrät der Zettel nicht. Außerdem hat er ein paar ausgefranste Blätter, die irgendwie welk aussehen. „Das ist bestimmt beim Transport passiert“, versicherte der Mann vom Gartencenter.

„35 Euro“, sagte meine Frau mit Blick auf das Preisschild, das an dem kleinen Bäumchen hängt, „allein die Fahrt über den Brenner kostet hin und zurück 20 Euro.“ Abgesehen davon, dass man da gar nicht mehr hinkommt. Stimmt, dachte ich, so betrachtet sparen wir ja jetzt auch einiges in der Isolation. Wir könnten ihn ganz dicht an den Olivenbaum stellen, in unser mobiles Gewächshaus. Vielleicht mögen sich die beiden.

„Wir nehmen ihn“, sagte ich kurz entschlossen, griff mir dieses, das letzte, Zitronenbäumchen aus dem Regal und stellte ihn zu den Säcken mit Blumenerde in unserem Wagen.

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