„Das ist eine dramatische Entwicklung“: Bis Ostern wird sich die Lage in Berlin kaum entspannen
Steigende Corona-Zahlen und ausgesetzte Impfungen: Es besteht wenig Hoffnung auf geöffnete Cafés – und ein Osterfest im größeren Kreis.
Die Zahl der Neuansteckungen steigt, Ärzte sind zunehmend besorgt, Impfungen werden ausgesetzt – bis Ostern wird sich die Lage in Berlin kaum entspannen. Und während Brandenburgs Regierung sogar mit Verschärfungen der Corona-Maßnahmen droht, widersprach Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) am Montag all jenen, die über Ostern in den Urlaub fahren wollten.
„Wir müssen uns auf eine schwierige Zeit einstellen“, sagte Kalayci im Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses. Es gebe „eine Dynamik nach oben“, angesichts der Prognosen des Robert-Koch-Instituts (RKI) seien auch für Berlin steigende Fallzahlen zu erwarten. Zudem, das wurde erst Stunden nach der Ausschusssitzung bekannt, werden Impftermine ausgesetzt – die Bundesregierung hatte den Einsatz des Präparates von Astrazeneca stoppen lassen.
Ebenfalls am Montag warnten Politiker und Ärzte vor Lockerungen, wie sie viele für Ostern gefordert haben. „Im Moment gibt es keinen Spielraum für weitere Lockerungen“, sagte die Brandenburger Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne). Das Land nähere sich dem kritischen Inzidenzwert von 100. Möglicherweise müsse ein neuer Lockdown eingeleitet werden.
„Es ist keine Frage, ob wir einen Lockdown brauchen – er wird nötig sein. Denn nach aller Voraussicht wird die Sieben-Tages-Inzidenz von 100 bis Ende des Monats auch in Berlin erreicht sein“, sagte Jörg Weimann, der für die Berliner Intensivstationen das Covid-19-Konzept entworfen hat, dem Tagesspiegel. „Eine vorübergehende Verschärfung der Maßnahmen könnte jetzt Schlimmeres verhindern.“
Dass zu Ostern die Restaurants öffnen, wie viele hofften, ist unwahrscheinlich. Auch für die Außengastronomie sind derzeit keine Senatspläne bekannt. Noch gibt es kein verbindliches Konzept, wie die Wirte sicherstellen, dass alle Gäste negative Corona-Tests vorweisen können. Kritik kam aus der Opposition. Berlin verfüge über Millionen an Schnelltests, sagte der FDP-Gesundheitspolitiker Florian Kluckert, der Senat habe Zeit gehabt, mit den Gastronomen Hygienekonzepte zu entwickeln: „Die Außengastronomie könnte also öffnen.“
„Rund ein Viertel beschäftigt sich mit der Geschäftsaufgabe“
Ein Jahr nach Beginn der Coronakrise drängen Berlins Gastronomen auf Öffnungen – ein Viertel befürchtet, das Geschäft aufgeben zu müssen. „Rund ein Drittel der Hotels sind aktuell geschlossen, die Gastronomie komplett“, sagte Thomas Lengfelder, Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands der Deutschen Presse-Agentur. Es sei die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.
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Unternehmer sind noch bis Ende April von der Pflicht befreit, bei Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzantrag stellen zu müssen. „Rund ein Viertel beschäftigt sich jedoch mit der Geschäftsaufgabe“, sagte Lengfelder.
Unter strengen Auflagen darf seit einigen Tagen aber der Einzelhandel öffnen. Für den Besuch vieler Geschäfte ist ein Termin notwendig. Der Gesundheitsexperte der Berliner CDU, Tim-Christopher Zeelen, sagte, vor Ansteckungen zu Ostern zu warnen, sei wohlfeil. Nach den Lockerungen vor einer Woche waren Infektionen absehbar, doch Konzepte, wie damit umzugehen sei, fehlten immer noch.
Bundesweit warnen Ärzte davor, dass im Mai die Zahl der Coronafälle auf den Intensivstationen der Lage in der zweiten Welle entsprechen könnte. Das geht aus einer Prognose der Deutschen Vereinigung der Intensiv- und Notfallmediziner (Divi) hervor. Insbesondere wenn die von Bund und Ländern vereinbarte „Notbremse“ bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 pro 100.000 Einwohner an drei aufeinander folgenden Tagen nicht angewendet werde, werde es gefährlich. Ein Sprecher von Berlins Gesundheitssenatorin sagte, einen „Automatismus“ gebe es auch bei einer 100er-Inzidenz nicht. Der Senat werde beraten, welche Maßnahmen dann zu treffen seien.
Immerhin: In Berlin gibt es inzwischen 109 Schnelltest-Zentren, in denen sich jeder einmal wöchentlich kostenlos auf Sars-CoV-2 testen lassen kann – vergangene Woche waren es noch 50. Ab dieser Woche wird auch in einigen Apotheken und Kliniken getestet. In Berlin war die Sieben-Tage-Inzidenz auf 75 neue Sars- CoV-2-Fälle pro 100.000 Einwohner gestiegen, weit von der avisierten 50 entfernt.
Intensivmediziner fordern neuen Lockdown
Wenn sich die rot-rot-grüne Landesregierung an diesem Dienstag berät, dürften auch die Forderungen namhafter Ärzte eine Rolle spielen: Insbesondere wegen der ansteckenderen Corona-Mutation B.1.1.7 plädieren Intensivmediziner für einen neuen Lockdown, um die dritte Pandemiewelle zu verlangsamen. „Eine vorübergehende Verschärfung der Corona-Maßnahmen könnte jetzt Schlimmeres verhindern“, sagte Jörg Weimann; der Chefarzt hatte das Konzept mit entworfen, das Berlins Kliniken auf die zweite Coronavirus-Welle vorbereitet hat.
Unstrittig ist, dass nach wie vor das Impfen der zentrale Weg aus der Coronakrise ist. Nur hapert es auch dabei – die Bundesregierung hat Impfungen mit Astrazeneca aussetzen lassen. Senatorin Kalayci teilte mit, die Corona-Impfzentren Tegel und Tempelhof blieben vorerst geschlossen. Dort wurde nur das britisch-schwedische Präparat verabreicht.
Doch auch das Impfen in den Kliniken sowie das Pilotprojekt in den Praxen werden gestoppt. Ausgerechnet auf Astrazeneca haben sich Senat und Kassenärzte zuletzt verständigt – in den nächsten Tagen sollten 100 Praxen damit diejenigen ihrer Patienten impfen, die als chronisch Kranke besonders gefährdet sind, schwer an Covid-19 zu erkranken. Die AfD-Fraktion fordert nun eine Sondersitzung des Gesundheitsausschusses, denn „das Impfkonzept für Berlin hat sich mit der heutigen Entscheidung endgültig als untauglich erwiesen“.
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Die Arbeit der Impfzentren koordiniert das DRK, dessen Berliner Präsident Mario Czaja sagte: „Das ist eine dramatische Entwicklung. Wir hoffen auf schnelle Klarheit durch die Wissenschaft, damit die Unsicherheiten restlos beseitigt werden. Das Impfen mit den anderen Stoffen muss nun umso mehr vorangetrieben werden.“ Fast 60.000 Berliner haben eine Erstimpfung mit dem Stoff erhalten – die zweite Dosis soll erst bis zu drei Monate danach erfolgen.
Die für die Praxen zuständige Kassenärztliche Vereinigung Berlin teilte mit, die niedergelassenen Mediziner könnten auch mit den Impfstoffen von Moderna und Johnson & Johnson arbeiten. Beide Präparate sind wie Astrazeneca auch vergleichsweise leicht zu transportieren und zu lagern.