Ausstellung in der Liebermann-Villa: Bilder zeigen einen vergessenen Streit am Wannsee
Im Sommer 1912 schrieben Wannsee-Anwohner einen Brief, in dem sie sich über den Lärm vom Strandbad beschwerten. Auch der Maler unterzeichnete.
Die Hitze war kaum auszuhalten. Ein Jahrhundertsommer. Seit Wochen knallte die Sonne auf Berlin herab. Ende Juni war deswegen sogar eine Sitzung des Preußischen Abgeordnetenhauses ausgefallen, und Ende Juli stieg das Thermometer dann an mehreren Tagen auf über 35 Grad. Regen? Im August gerade mal sieben Millimeter pro Quadratmeter.
Aber schon die Berliner des Jahres 1911 wussten sich da zu helfen, zogen in wahren Heerscharen an den Wannsee, wo erst vier Jahre zuvor die Schilder „Baden verboten“ durch neue ausgetauscht worden waren, die das Ostufer, dort wo sich heute das Strandbad befindet, nun als „Öffentliche Badestelle“ auswiesen. Mit der idyllischen Ruhe war es da vorbei. Schon die Tollerei im Sand und im Wasser erzeugte einen gewissen Geräuschpegel, aber besonders lautstark ging es bei den Konzerten zu, mit denen die dort angesiedelten Restaurants und auch das schon ältere private, von einem blickdichten Holzzaun umgebene Familienbad selber Gäste anzulocken suchten. Eine wahre Kakophonie muss es gewesen sein, meist von Militärkapellen erzeugt, dazu kamen private Land- wie Wasserpartien, ebenfalls mit musikalischer Unterstützung.
Den an beiden Ufern ansässigen Villenbesitzern wurde das bald zu viel. Ruhe hatten sie gesucht und bekamen stattdessen lebenslustiges Kindergeschrei, das Jauchzen der Nixen und Wassermänner, das Gröhlen der Betrunkenen und dies alles garniert mit viel Tschingderassabum.
Protest gegen die Ruhestörung
Solch eine Konfliktlage taugt gut für Ausstellungen mit soziohistorischer Thematik. Für eine kunstgeschichtliche Rückbesinnung ist sie eher überraschend – es sei denn, einer der Akteure in diesem Kulturkampf am Havelstrand heißt Max Liebermann. Und der Maler, der 1911 gerade den zweiten Sommer in seiner neuen Villa in Wannsee verbrachte, gehörte nun mal zu den Unterzeichnern des vom 28. Januar 1912 datierten Beschwerdebriefs an die Königliche Regierung zu Potsdam bezüglich des „Ruhestörenden Geräuschs im fiskalischen Familienbade Wannsee“ – Anlass genug für eine Ausstellung in dem nun museal genutzten Sommersitz des Künstlers.
Den 28 Beschwerdeführern muss der übers Wasser schallende Lärm erheblich auf die Nerven gegangen sein, suchten sie doch „fern vom Getriebe der Großstadt mit ihren lärmenden Vergnügen Muße zu künstlerischer und wissenschaftlicher Arbeit sowie Erholung nach den Mühen anstrengender kaufmännischer Tätigkeit“. Die „eingerissenen Zustände“ machten aber „eine geistige Konzentration und ein Ausruhen unmöglich“ und entwerteten zudem die Besitzungen, ärgerten sich die Unterzeichner. Man möge also doch bitte die Konzerte im Familienbad verbieten, wegen ihrer Einstellung in den Restaurants habe man sich bereits an den Amtsvorstand in Zehlendorf gewandt.
Der Konflikt in Bildern
Der Beschwerdebrief war vor Jahren von Matthias Oloew, heute der Pressesprecher der die Ausstellung unterstützenden Berliner Bäder-Betriebe, bei Recherchen zu einem Strandbad-Buch im Brandenburgischen Landeshauptarchiv entdeckt worden. Er bildet den Mittelpunkt der auf vier Räume verteilten, von den Berliner Bäder-Betrieben unterstützten Ausstellung „Streit am Wannsee“, die Martin Faass, Direktor der Liebermann-Villa, und die Kunsthistorikerin Lucy Wasensteiner kuratiert haben.
Ihr Thema: der Konflikt von Kontemplation und Amüsement, von Kunststreben und Badespaß. Hier die Wannsee-Villen und -Landhäuser des Großbürgertums, gemalt und gezeichnet von Künstlern wie Philipp Franck, Hugo Vogel und natürlich Max Liebermann, repräsentative Rückzugsorte mit prächtigen Gärten, etwa die des Chemikers und Agfa-Direktors Franz Oppenheim, auf einer Zeichnung Liebermanns hinter einer Wand grüner Bäume halb verborgen. Da sind die üppig blühenden Blumenbeete und Rosenlauben, die sorgsam gepflegten Rasenstücke und – wichtig gerade in jenem heißen Sommer – schattenspendenden Laubbäume.
Und da ist auf der anderen Seite das pralle Leben am Strand, Menschenleiber dicht an dicht gedrängt, als Sujet nichts für Maler wie Liebermann und Franck, wohl aber für Kollegen wie Max Kemnitz, Paul Paeschke und vor allem Heinrich Zille, dessen meist wohlbeleibten Badegästen denn auch ein eigener Raum reserviert wurde.
Der Badespaß geht weiter
Gebracht hat der Protest gegen den Trubel übrigens nichts. Ein Antwortschreiben ist nicht aufzutreiben, vermutlich hat es nie eines gegeben. In Liebermanns Briefen taucht der Konflikt nicht auf, doch gibt es viele Zeugnisse dafür, wie wohl er sich in seiner Villa am am Wannsee gefühlt habe. Er hatte sich an den Lärm offenbar gewöhnt. Und der Erfolg des Strandbades am gegenüberliegenden Ufer war sowieso nicht zu bremsen: Im Sommer 1912 kamen bereits mehr als eine halbe Million Besucher.
„Streit am Wannsee. Von noblen Villen und Strandbadfreuden“. Liebermann-Villa, Colomierstraße 3 in Wannsee. Bis 3. Oktober, täglich außer dienstags 10 - 18 Uhr, Do, So und Feiertage 10 - 19 Uhr