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Matthias Köhne regiert seit 2006 in Pankow.
© Joachim Schulz/imago

Interview mit Pankows Bezirksbürgermeister: "Wir fahren seit Jahren auf Verschleiß"

Pankow kämpft wie alle Berliner Bezirke gegen einen riesigen Investitionsstau. Dennoch findet Bürgermeister Matthias Köhne, sein Bezirk stehe nicht schlecht da. Ein Interview über marode Schulen und Straßen, neue Stadtquartiere und Flüchtlingsunterkünfte und über den Zusammenhalt in einer wachsenden Stadt.

Herr Köhne, gerade hat die Bildungsstadträtin von Steglitz-Zehlendorf Alarm geschlagen, weil die Schulen in ihrem Bezirk in einem katastrophalen Zustand sind. In Pankow, dem bevölkerungsreichsten Bezirk mit 375.000 Einwohnern, gibt es ähnliche Fälle. Kommen die bürgerlichen Bezirke in Berlin zu kurz, weil die ganze Aufmerksamkeit den sogenannten Problembezirken gilt?

Ich glaube nicht, dass wir so schlecht dastehen. Wenn ich in andere deutsche Großstädte blicke, etwa nach Gelsenkirchen, dann sind unsere Probleme relativ. Ich sehe auch nicht, dass wir innerhalb Berlins mehr benachteiligt werden als andere Bezirke. Die Haushaltskonsolidierung hatte in den vergangenen Jahren Priorität, was überall zu einem enormen Investitionsstau geführt hat. Allein um unsere Schulen in Ordnung zu bringen, bräuchten wir in Pankow 100 bis 120 Millionen Euro. Wir bekommen jährlich aber nur 15 bis 20 Millionen Euro. Bei der Infrastruktur fahren wir seit Mitte der 1990er Jahren auf Verschleiß. Die Folgen werden jetzt sichtbar. 

Der Dorfanger in Pankow.
Der Dorfanger in Pankow.
© Kitty Kleist-Heinrich

Dennoch hat man oft den Eindruck, wer am lautesten schreit, bekommt auch am meisten – etwa ihr SPD-Kollege aus Neukölln. Sie sind eher ein Mann der leisen Töne. Ist das in Berlin nicht von Nachteil?

Ich muss meinen Bezirk nicht schlechtreden. Denn trotz allem sind in den vergangenen Jahren einige 100 Millionen Euro öffentliche Gelder nach Pankow geflossen. Das sieht man auch. Aber gute Nachrichten interessieren vielleicht weniger.

Im Gegensatz zu anderen Bezirken wächst Pankow, vor allem der alte Bezirk, nördlich vom Prenzlauer Berg. Die Schulen sind überfüllt, die Straßen auch. Wie wollen Sie diese Probleme lösen?

Zunächst einmal muss ich mich doch freuen, dass unser Bezirk so attraktiv ist, dass viele hierher ziehen wollen. Das spricht doch für die Lebensqualität in Pankow. Bisher hatten wir allerdings die Situation, dass Berlin als stagnierende Stadt galt und die Probleme eines wachsenden Bezirks gar nicht gesehen wurden. Dass wir beispielsweise neue Schulen benötigen und nicht, wie andere, Schulen schließen müssen. Nun wächst Berlin auch insgesamt und damit hat sich die Wahrnehmung auf Landesebene geändert. Und inzwischen gibt es auch wieder Freiräume für Investitionen.

Was heißt das konkret?

Jetzt bekommen wir mobile Unterrichtsräume und Erweiterungsbauten für unsere Schulen. Die Investitionsplanung sieht auch Mittel für neue Schulbauten vor. Das gab es vorher nicht. Deshalb glaube ich, dass wir die Situation in den Griff bekommen. Aber es ist natürlich schwierig, denn angesichts des Investitionsstaus reichen die Mittel hinten und vorne nicht. Gerade hat der Senat beispielsweise zwölf Millionen Euro für die Sanierung von Schultoiletten beschlossen. Davon wird Pankow vielleicht etwas mehr als eine Million Euro bekommen. Das ist natürlich viel zu wenig. Jeder Bezirk bräuchte zwölf Millionen.

"Bei der Flüchtlingsunterkunft in Buch wurden Fehler gemacht"

Kann Pankow denn endlos wachsen?

Wenn ich mir anschaue, wie viele Menschen in den 1930er Jahren in Berlin gelebt haben, dann haben wir noch viel Luft nach oben. Und wenn ich mir den alten Bezirk Pankow anschaue, dann haben wir auch das Flächenpotenzial für neue Stadtquartiere. Da ist zum Beispiel das Projekt Elisabethaue zwischen Blankenfelde und Buchholz, eine Idee der 1990er Jahre, die nun wieder in den Blick rückt. Hier sollen 3000 neue Wohnungen entstehen.

Ist es denn zeitgemäß, immer mehr Naturflächen zu zerstören? Ihr grüner Stadtrat für Stadtentwicklung sagt, nein.

Wenn wir nur kleinteilig die Baulücken in den Straßen bebauen, geraten wir bei der sozialen Infrastruktur immer mehr unter Druck. Neue Großquartiere hingegen bieten die Möglichkeit, Kitas, Schulen und Straßen gleich mitanzulegen. Ich halte es daher für vernünftig, großflächig zu planen. Und was den Flächenverbrauch angeht, gibt es immer auch ökologische Ausgleichsmaßnahmen. Wir können die Stadtentwicklung schließlich nicht einfach anhalten, das wäre weltfremd.

Tiefe Schlaglöcher gibt es in Pankow an vielen Stellen.
Tiefe Schlaglöcher gibt es in Pankow an vielen Stellen.
© Kai-Uwe Heinrich

Haben Sie als Bezirksbürgermeister Einfluss auf diese Entwicklung? Tatsächlich stellt der Senat Sie doch immer wieder vor vollendete Tatsachen. Das gilt nicht nur für das Projekt Elisabethaue, gegen das es im Bezirk erhebliche Bedenken gibt, sondern auch für die Einrichtung einer Flüchtlingsunterkunft in Buch.

Die Elisabethaue ist eine Idee des Senats, das stimmt. Aber auch der Bezirk hatte Vorschläge zur Bebauung des Geländes eingebracht. Wenn es jetzt in die Umsetzung geht, wird der Bezirk und werden selbstverständlich auch die Bürger an der weiteren Planung beteiligt. Grundsätzlich ist es aber so, dass der Senat jedes große Bauvorhaben mit 500 und mehr Wohnungen an sich ziehen kann. So sind nun einmal die Strukturen in Berlin. Die Bezirke sind keine eigenständigen Kommunen. Was die Flüchtlingsunterkunft angeht, sind allerdings tatsächlich Fehler gemacht worden. Wir sind im Vorfeld nicht rechtzeitig informiert worden und konnten deshalb auch die Bevölkerung nicht frühzeitig informieren. Ich beklage mich aber ausdrücklich nicht über den Standort selbst.

Das sehen die Bürger in der Nachbarschaft der Unterkunft in Buch anders. Die fragen, warum gerade hier, am ohnehin sozial schwachen Rand des Bezirks.

Es gibt immer Bedenken, das ist überall so. Wenn man aber auf alle Bedenken Rücksicht nimmt, wird man nirgendwo einen geeigneten Standort finden. Deshalb kommt es darauf an, die Bürger rechtzeitig aufzuklären. Buch ist kein schlechter Standort. Wer sagt, er sei zu weit draußen für eine solche Unterkunft, der diskreditiert doch den ganzen Ortsteil. Andere Flüchtlingsunterkünfte liegen mitten im Zentrum von Pankow, sie sind also über den gesamten Bezirk verteilt und nicht etwa am Rand konzentriert. Große Freiflächen für Containerunterkünfte findet man aber vor allem hier.

Buch hat in Pankow aber noch am ehesten soziale Probleme.

Auch das stimmt nicht. Buch ist eine funktionierende Kommune. Nur weil die Sozialstruktur dort eine andere ist als im Prenzlauer Berg etwa, können wir doch nicht sagen, dort dürfen keine Flüchtlinge hin. Für Buch spricht, dass dort, anders als in anderen Ortsteilen, noch größere Kapazitäten in Schulen und Kitas vorhanden sind.

"Der soziale Zusammenhalt wird immer wichtiger"

Wie andere Bezirke auch ist Pankow vom Senat aufgefordert worden, kurzfristig noch eine Sporthalle als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung zu stellen. Das haben sie abgelehnt. Warum?

Die wenigen Hallen, die wir haben, werden für den Schulbetrieb benötigt. Einschränkungen würden zu weiteren Verwerfungen führen, die auf dem Rücken der Flüchtlinge ausgetragen würden. Das wäre unverantwortlich. Es müssen andere Möglichkeiten geprüft werden.

Pankow hat sich vorgenommen, eine vorbildliche Willkommenskultur zu leben. Gelingt das?

Es geht sicher immer besser. Allerdings wird über unsere sechs Flüchtlingsunterkünfte mit Ausnahme von Buch wenig berichtet, und wenn berichtet wird, dann eher positiv, das ist ein gutes Zeichen.

Rund um den Pankower Bahnhof hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert.
Rund um den Pankower Bahnhof hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert.
© Doris Spiekermann-Klaas

Der Ausländeranteil in Pankow wächst auch insgesamt. Was bedeutet das für den Bezirk?

Es stimmt, Pankow verändert sich gerade erheblich in seiner Bevölkerungsstruktur. Jeden Monat gewinnen wir 500 bis 600 neue Bürger. Die Hälfte davon kam in den vergangenen fünf Jahren aus dem Ausland, vor allem aus Italien und Spanien. Das sind hochqualifizierte junge Leute, die eine internationale Stimmung in den Bezirk hineintragen, am Anfang aber kaum Deutsch sprechen. Auf diese Entwicklung müssen wir reagieren. Wenn die beispielsweise ins Bürgeramt kommen, müssen wir darauf vorbereitet sein. Soweit sind wir aber noch nicht.

Wie wollen Sie das ändern?

Derzeit beraten wir den Haushalt 2016/17. Darin müssen sich die Bedürfnisse der wachsenden Stadt widerspiegeln. Es kann doch nicht funktionieren, dass immer weniger Personal immer mehr Dienstleistungen für immer mehr Bürger anbietet. Deshalb muss die Ausstattung der Bezirksämter verbessert werden. Das passiert auch. Für die Pankower Bürgerämter bekommen wir nun vier zusätzliche Vollzeitstellen, für die Koordination der Flüchtlingsarbeit zwei. Beim Stadtentwicklungsamt, das unter anderem Baugenehmigungen erteilt, konnten wir in den vergangenen Monaten bereits 17 neue Stellen besetzen. Das muss aber noch weiter gehen.

Pankow wird auch Geld aus dem neuen 400 Millionen Euro schweren Wachstumsprogramm des Senats erhalten. Was soll davon in Pankow realisiert werden?

Ich bin optimistisch, dass wir nun endlich die seit langem geforderte und notwendige Schwimmhalle in der Wolfshagener Straße bekommen werden. Auch für das Atelierhaus im ehemaligen Gebäude der Akademie der Wissenschaften in der Prenzlauer Promenade dürfte nun Geld zur Verfügung stehen.

Wann werden die Pankower in der Halle baden können?

Über Bauzeiten äußere ich mich sicher nicht.

Welche neuen Impulse erwarten Sie vom neuen Regierenden?

Michael Müller wird nicht alles anders machen, er war schließlich vorher schon als Stadtentwicklungssenator an der Regierung beteiligt. Dennoch wird er neue Akzente setzen, die sicher mit seiner eigenen Erfahrung als Stadtentwicklungssenator zusammenhängen. Themen wie wachsende Stadt, Wohnungsbau und Mieten stehen da ganz oben. Vor dem Hintergrund der Flüchtlingssituation und der Debatte um Pegida wird auch der soziale Zusammenhalt immer wichtiger. Das sind die zentralen Punkte, um die es jetzt geht.

Matthias Köhne (48) ist seit 2006 Bezirksbürgermeister des bevölkerungsreichsten Berliner Bezirks - Pankow.

Ulrike Scheffer

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