Weihnachtsbaum für den Breitscheidplatz: Tolle Tanne
Am Weihnachtsmarkt auf dem Charlottenburger Breitscheidplatz war der Tannenbaum oft ein Pannenbaum. Diesmal stammt er aus einem Garten in Lichterfelde – und sieht gut aus.
Horst Spranger läuft aufgeregt in seinem Garten auf und ab. Ein Kran, ein Lkw mit 25-Meter-Anhänger, Bauarbeiter, Baumdienst, Nachbarn; alle stehen sie vor seinem Haus. So einen Trubel ist er in Lichterfelde Ost nicht gewohnt.
Hier in seinem Vorgarten steht der Grund für das Chaos: der auserkorene Weihnachtsbaum für den Breitscheidplatz. Mit 25 Metern Berlins größter.
Noch steht die Nordmanntanne hier fest verwurzelt. An diesem Tag soll sie gefällt werden. 55 Jahre ist sie alt geworden. „Beinahe wär die mir mal weggestorben“, sagt Spranger. „Fichtenlaus.“ Er solle die Tanne loswerden, hätten die Nachbarn geraten. „Hab’ se aber dann gespritzt, die Laus war weg. So richtig in die Höhe geschnellt isse!“
Ein drahtiger Mann, 50 Jahre alt, begutachtet die Tanne genauer als die anderen. Andreas Schwalbach, Zapfenpflücker. „Perfektes Wetter heute“, sagt er. Ein Blick in den Himmel: grau gedeckelt, nieselig, kalt. „Ist windstill, perfekt!“ Im Pfälzer Singsang erklärt er, was gleich passieren wird: Er wird hochklettern und den Baum binden (also für den Transport stabilisieren), dann kommen zwei Schlupfe dran (Rundschlingen, an denen der Kran den Baum heben wird). Dann unten durchsägen, über den Zaun heben und auf den Anhänger senken. Fertig.
„Da links rum, Achtung!“ Horst Spranger regelt den Verkehr vor seinem Haus. Er scheint sich wohlzufühlen im Mittelpunkt. Er ist 66 Jahre alt, in einem Jahr geht es in den Ruhestand.
Im Vorgarten macht sich Schwalbach, der Kletterer, bereit für den Aufstieg. Schnallen am Bein festzurren, Seile bereitgelegt, los geht’s. Behutsam steigt er nach oben, verschwindet zwischen den Ästen, man sieht es nur noch rascheln. „Wie ein Eichhörnchen, der Mann“, sagt eine Anwohnerin. Eine Stunde verbringt das Eichhörnchen auf dem Baum.
Michael Roden sieht sich das Spektakel von unten an. Roden ist der Vorsitzende des Schaustellerverbandes, der den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz ausrichtet. In wenigen Minuten ist es seine Tanne. Spranger hat sie dem Verband gespendet. „Jetzt mal ehrlich: Habense jemals so ’ne schöne Tanne gefällt?“ Spranger ist stolz auf seinen Baum; dass die Schausteller ihn mitnehmen, hat aber auch einen Vorteil: Irgendwann muss sie eh weg, 2000 Euro koste so eine Fällung, sagt Spranger. Das zahlt der Verband. Schaustellerchef Roden spricht sogar von 10 000 Euro – inklusive Transport.
Am Brandenburger Tor wird es diesmal gar keinen Weihnachtsbaum geben – zu teuer, insbesondere der Transport aus Norwegen. So weit hat es dieser Baum hier nicht von Lichterfelde nach Charlottenburg.
Eichhörnchen Schwalbach ist zurück auf dem Boden, setzt die Kettensäge an, keine Minute vergeht, und der Stamm ist durch. Der Kran hebt den Baum in die Höhe. „Waaahnsinn!“, ruft Spranger. Der Baum schwebt über den Zaun, auf den Laster. „Jetzt kommt der kritische Punkt“, sagt Schwalbach, der an seinem Kaffee nippt. „Beim Senken kann der Baum brechen.“ Man müsse ihn richtig binden, das sei wichtig. „Ich bin verantwortlich dafür, dass das nicht wieder ein Desaster wird.“ Wie so oft.
Die Weihnachtsbäume am Breitscheidplatz sind berüchtigt. 2001: Baum durchgebrochen. 2002: Baum zweimal durchgebrochen. 2003: Umweltaktivist hackt dem Baum die Krone ab. 2010: Ein weißer Plastikkegel statt eines Baumes. 2011: Eine Skulptur aus Schrott.
2014 sieht es dagegen gut aus: Der Baum liegt. „Heute Nacht schläft der noch hier in Lichterfelde“, sagt Roden.
Und auch danach läuft alles glatt. Seit Freitag steht die Tanne nun in voller Pracht auf dem Breitscheidplatz, neben dem Hotel Waldorf-Astoria und gegenüber dem Zoo-Palast.
Der Artikel erscheint auf dem Ku'damm-Blog, dem Online-Magazin für die westliche Innenstadt.