BVV Steglitz-Zehlendorf: Scharfe Debatten über Milieuschutz
Der Antrag von Einwohnern zum Milieuschutz in Steglitz-Zehlendorf wurde zwar beschlossen - fraglich bleibt aber, wer für die nötigen Studien bezahlt.
Wenn sich Bürger aktiv in die Bezirkspolitik von Steglitz-Zehlendorf einbringen, wird es emotional in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Selten ist eine Debatte in einer BVV-Sitzung derart leidenschaftlich geführt worden wie am Mittwochabend im Rathaus Zehlendorf. Zwischenrufe, Unmutsäußerungen, Jubel, Zwiegespräche – von allem war etwas dabei. Bezirksvorsteher René Rögner-Francke (CDU) hatte Mühe, die aufgeladene Stimmung zu entspannen. Die einen wollen Milieuschutz, die anderen im Grunde auch. Nur in der Finanzierung sind sie sich uneinig. Mehr als zwei Stunden lieferten sich die Bezirksverordneten einen verbalen Schlagabtausch zu dem Einwohnerantrag „Milieuschutz in Steglitz-Zehlendorf“, der auch schon in der letzten BVV-Sitzung debattiert wurde (wir berichteten).
Der Grund für die Aufregung war eine vermeintlich kleine Änderung in dem Antrag, die am 8. Januar in der Sitzung des Ausschusses für Stadtplanung beschlossen wurde. Darin heißt es, dass die vertiefenden Voruntersuchungen, um drei bestimmte Wohngebiete als Erhaltungsgebiete auszuweisen, nur dann durchzuführen seien, „soweit nicht der Bezirk, sondern Dritte, etwa das Land Berlin, die Kosten für alle Untersuchungen und alle weiteren Folgen übernehmen.“
Diese Änderung führt den Antrag „ad absurdum“, ärgerte sich Jan Kellermann, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD. Sie mache ihm deutlich, dass die schwarz-grüne Zählgemeinschaft keinen Milieuschutz wolle. Denn für diese Voruntersuchungen sei der Bezirk verantwortlich, deshalb müsse auch er die Kosten tragen. Das Argument, dass der Bezirk an steigenden Mieten nicht Schuld sei, griff er auf und stellte diesem ein überspitztes Beispiel gegenüber: „Das ist so, als wenn ich mir beim Friseur die Haare schneiden lasse, das von einem Dritten bezahlen lasse, weil ich nichts dafür kann, dass meine Haare wachsen.“
Mit der Änderung sei der Einwohnerantrag nicht realisierbar
Heftiges Raunen im Saal. Es folgten Zwischenrufe aus den Reihen von CDU und Grünen. Sie klangen nicht freundlich. Der Bezirksvorsteher klingelte, mahnte zur Besonnenheit.
Zuvor hatte Barbara Boroviczény, eine der Initiatoren des Einwohnerantrages, noch einmal an die Bezirksverordneten appelliert, dass es ihr wichtig sei, die seit Jahrzehnten gewachsene Sozialstruktur speziell in den drei benannten Wohngebieten zu erhalten: in Zehlendorf Nord für Teile der Argentinischen Allee und der Onkel-Tom-Straße, in Südende etwa am Steglitzer Damm, der Benzmannstraße und der Stephanstraße sowie in Lankwitz zwischen Gallwitzallee und Retzowstraße. Mit dieser Änderung sei der Einwohnerantrag quasi nicht mehr realisierbar. „Wir können nicht einfach beim Senat fragen, ob sich das finanzieren lässt“, sagte sie. Zwischen 60.000 und 80.000 Euro würde nach ihrer Einschätzung die vertiefende Voruntersuchung kosten.
„Es tut mir leid, aber wir haben das Geld nicht“, erwiderte Susanne Mertens von der Grünen-Fraktion, vor allem mit Blick auf die Folgekosten. Als Mitglied im Ausschuss für Haushalt betrachte sie den Antrag durch eine finanztechnische Brille. Zwar befürworteten die Grünen eine solche vertiefende Studie, aber sie mache sich Sorgen, dass der Bezirk damit später vor einer Kostenfalle stehen könnte.
„Denn hier muss vom Ende her gedacht werden“, erläuterte sie. Angenommen der Senat bezahle die Studie, dann werde ein Milieuschutzgebiet ausgewiesen. Und dann? „Dann haben wir im bezirklichen Haushalt ein Problem.“
"Doch wer zahlt das?"
Susanne Mertens schien das Thema nahe zu gehen, denn sie redete sich geradezu in Rage. Immer lauter und höher wurde ihre Stimme. Sie sei enttäuscht, etwa von den Argumenten von Jan Kellermann. Man hätte rechtzeitig darüber reden und das entsprechende Geld für die Studie in den Bezirkshaushalt einstellen müssen. Und zum Schluss ihrer flammenden Rede richtete sie noch einmal den Blick zum Senat. „Lassen sie uns alle gemeinsam kämpfen und den Schulterschluss in dieser Sache suchen!“ Zwar schien er äußerlich entspannt, innerlich hingegen hätten ihn die Ausführungen der Grünen richtig aufgeregt, sagte der Nächste am Rednerpult. Es war Gerald Bader, Fraktionsvorsitzender der Linken. „Sie setzen hier nur die Interessen ihres Zählgemeinschaftspartners durch“, tadelte er. Die CDU sei von Anfang an dagegen gewesen. Ein derart geänderter Antrag sei nicht mehr im Interesse der Mieter.
„Doch wer zahlt das“, rief jemand schrill aus dem Plenum. „Zwischenrufe halte ich nicht für zuträglich“, wiederholte der Bezirksvorsteher und wirkte zunehmend verärgert.
Gerald Bader fuhr indessen fort, indem er noch einmal betonte, dass ein Feinscreening, also eine vertiefende Untersuchung der Wohngebiete, definitiv notwendig sei. Es lebten zum Beispiel immer mehr Senioren im Bezirk, die sich hohe Mieten nicht leisten könnten.
FDP und AfD lehnen Milieuschutz ab
Solche Mieter zu schützen, sei ebenso im Sinne der AfD-Fraktion, erklärte danach Yvonne Cremer. Das Instrument Milieuschutz halte sie jedoch für eine Mogelpackung. Das zeige die Praxis in anderen Bezirken. Trotz Milieuschutz würden dort Mieten steigen und Mieter verdrängt. Ferner ebne man damit den großen Immobilienbesitzern den Weg, weil die mit den bürokratischen Hürden des Milieuschutzes kein Problem hätten. „Hingegen kleine, private Eigentümer kommen damit nicht zurecht“, sagte sie. Dass ein Einwohnerantrag, der durch die Ausschüsse der BVV laufe, behandelt werde wie jeder andere Antrag, also geändert werden könne, müsse man hinnehmen, erklärte anschließend Rolf Breidenbach von der FDP-Fraktion. „Ich sehe im Moment keinen Anlass, dass dieses Feinscreening durchgeführt werden muss“, sagte er. Das existierende Grobscreening von 2015 habe ihn überzeugt.
Fast dieselbe Wortwahl nutzte später auch Torsten Hippe, Fraktionsvorsitzender der CDU. Nachdem er ausführlich die entsprechenden Gesetze zitierte, die beim Milieuschutz zum Tragen kommen, sagte er, dass das Grobscreening zu dem Ergebnis gekommen sei, dass es keinen sachlichen Anlass für weitere Untersuchungen gebe. „Zwar haben wir zu wenige Wohnungen und zu hohe Mieten“, bestätigte Hippe, „aber wir dürfen hier nicht nur dem Herzen folgen, sondern ich bevorzuge eine sachliche Herangehensweise.“
Es solle kein Geld ausgebeben werden, "nur um jemandem zu gefallen"
Seiner Ansicht nach werde eine Milieuschutzsatzung nicht viel nützen und das Problem der Verdrängung nicht lösen. Zwar gebühre den Bürgern Dank für ihr Engagement mit dem Einwohnerantrag, aber er sagte dazu auch, dass „wir nicht soviel Geld ausgeben müssen, nur um jemandem zu gefallen.“ Die BVV sei in der Verantwortung der Bezirksfinanzen und nehme diese wahr.
Der Einwohnerantrag - einschließlich der Änderung - wurde nachfolgend mit Mehrheit beschlossen: mit den Stimmen von CDU, Grünen und SPD, dagegen stimmten FDP und Linke, die AfD enthielt sich.