Dezember-Sitzung der BVV in Steglitz-Zehlendorf: Eindringlicher Appell für den Milieuschutz
Ein Milieuschutzgebiet gibt es bisher nicht in Steglitz-Zehlendorf. Bürgerinnen und Bürger wollen das mit einem Einwohnerantrag ändern - und Mieter besser schützen. Gestern debattierte die BVV zum ersten Mal über den Antrag.
„Wenn sie unzufrieden sind, können sie ja kündigen.“ Von solchen Äußerungen berichten immer häufiger Mieter aus der Wohnsiedlung zwischen Gallwitzallee und Retzowstraße in Lankwitz, sagt Barbara Boroviczény. Sie beobachte dort einen hohen Leerstand. Wenn Mieter ausziehen, würden die Wohnungen nicht neu vermietet. Die Häuser seien marode, Keller feucht, Dächer undicht. Bei einer „Luxussanierung“, die nachher eine Mieterhöhung mit sich bringe, bliebe den Menschen - überwiegend mit niedrigem Einkommen – oft nur der Wegzug. Aber wohin? Die Bezirksverordneten von Steglitz-Zehlendorf beschäftigen sich nicht zum ersten Mal mit dem Thema „Milieuschutz“ – diesmal allerdings ist es ein Einwohnerantrag, mit dem sie sich auseinandersetzen.
Und das ist selten in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Steglitz-Zehlendorf. Ein Einwohnerantrag gilt als Instrument der Mitwirkung der Bürger in der BVV. Damit dieser zugelassen wird, müssen zuvor mindestens 1000 gültige Unterschriften gesammelt werden. Die Initiative „MieterInnen Südwest“, die sich für den Milieuschutz im Bezirk engagiert, hat nun einen solchen Antrag auf den Weg gebracht; mit insgesamt 1585 Unterschriften (wir berichteten). Eine der Initiatoren ist Barbara Boroviczény.
Bevor der Antrag am Mittwoch in der letzten BVV-Sitzung in diesem Jahr in den Ausschuss für Stadtplanung verschoben wurde, hatte sie Gelegenheit, vor dem Plenum im Bürgersaal des Rathauses Zehlendorf noch einmal dazu Stellung zu beziehen. Und sie nutzte diese seltene Chance: mit einem eindringlichen Appell an die Bezirksverordneten.
Wohnraum zu schützen ist genauso wichtig wie neuen zu schaffen
„Der Schutz von bezahlbarem Wohnraum sollte die gleiche hohe Priorität genießen wie der Bau neuer Wohnungen“, gab sie zu bedenken. Das Geschäftsprinzip hoher Renditen mit dem ständigen Druck der Gewinnmaximierung bei den Vermietern wie etwa der Immobiliengesellschaft Deutsche Wohnen stelle eine Verdrängungsgefahr bei Mietern mit geringem und normalem Einkommen dar. Der Schutz von bezahlbarem Wohnraum solle daher mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln betrieben werden.
Ein solches verfügbares Mittel wäre, ein Wohngebiet als sogenanntes Erhaltungsgebiet auszuweisen. Und genau das fordern die Bürger mit dem Einwohnerantrag. Sie schlagen vertiefende Untersuchungen, ein „Feinscreening“, konkret für folgende drei Wohngebiete vor: in Zehlendorf Nord für Teile der Argentinischen Allee und der Onkel-Tom-Straße, in Südende etwa am Steglitzer Damm, der Benzmannstraße und der Stephanstraße und in der bereits angesprochenen Wohnsiedlung in Lankwitz. Denn das vom Bezirk in Auftrag gegebene Grobscreening von 2015 sei nicht aussagekräftig, weil beispielsweise veraltete Daten und zudem ein quantitatives Verfahren mit „offensichtlich verwaltungsintern entschiedenen Indikatoren angewandt wurden“, begründete es Boroviczény.
Erhaltungssatzungen für Villengebiete gibt es bereits
Dass die Ergebnisse solcher Untersuchungen von der jeweiligen Herangehensweise abhängen, dieser Ansicht ist auch Jan Kellermann, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion. „Wenn wir uns kleinteilige Bereiche konkret anschauen, werden wir feststellen, dass Milieuschutz dringend notwendig ist“, sagte er. Seine Partei beschäftige sich schon seit vielen Jahren mit diesem Thema. Dass jetzt Bürger einen solchen Antrag initiierten, unterstreiche noch einmal die Dringlichkeit. Es könne nicht sein, dass etwa für Villengebiete in Steglitz-Zehlendorf Erhaltungssatzungen gemacht würden, „aber für die normalen Bürger kein Geld in die Hand genommen wird“, mahnte er.
Auch die Linksfraktion befürwortet den Einwohnerantrag und dankte den Bürgern für diese Initiative. „Das Geld, das wir für das Feinscreening ausgeben, wird jeden Euro wert sein“, sagte Gerald Bader, der Fraktionsvorsitzende. Etwas skeptischer zeigte sich hingegen Yvonne Cremer von der AfD-Fraktion. Zwar sei Milieuschutz grundsätzlich gut, aber man müsse auch gewisse Punkte hinterfragen. Sie nannte ein Beispiel aus einem anderen Bezirk, von dem sie erfahren habe: ein Vermieter habe die Balkone vergrößern wollen, ohne dass es den Mietern etwas gekostet hätte. „Es ging nicht, weil das Gebäude unter Milieuschutz stand“, erzählte Cremer. Man müsse daher genau abwägen, „nicht dass wir dafür jetzt viel Aufwand betreiben und am Ende vielleicht dann enttäuscht sind.“
Verdrängung von Mietern ist im Bezirk angekommen
Dass Milieuschutz kein Allheilmittel, sondern ein Werkzeug unter vielen ist, regte Sebastian Serowy von der Fraktion der Grünen noch an. „Es nicht verteufeln, aber auch nicht hervorheben“, so sein Ansatz. Die Verdrängung von Mietern sei in Steglitz-Zehlendorf angekommen. Das könne er vor allem aus Südende bestätigen, wo es zu Mieterhöhungen von teilweise 50 Prozent gekommen sei. „Wir sind eben nicht der Bezirk der Reichen und Schönen, wie es oft heißt“, stellte er klar. Hier lebten ebenso viele Alleinerziehende, Rentner und Menschen aus der Mitte der Gesellschaft.
Dass sich auch die CDU-Fraktion den Mietern verpflichtet fühlt, die bedroht sind, aus ihren Wohnungen vertrieben zu werden, stellte der Fraktionsvorsitzende Torsten Hippe voran. Dann folgte ein „aber“. Man müsse kritisch prüfen, ob Milieuschutz das geeignete Mittel sei. Als Beispiel nannte er energetische Sanierungen. „Denn die werden sie mit Milieuschutz nicht verhindern können und die sind die größten Preistreiber bei Mieten“. Es bestünde demnach die Gefahr, dass man am Ende nichts erzielt, was wirklich hilft. Nur um das Etikett „Milieuschutz“ aufkleben zu können, sollte der Bezirk kein Geld ausgeben, mahnte Hippe.
Wie auch immer die Diskussionen im Ausschuss verlaufen werden und welches Ergebnis der Einwohnerantrag bringt, Barbara Boroviczény und ihre Mitstreiter, die sich seit mehr als zehn Jahren für den Mieterschutz engagieren, hoffen vor allem auf eines: „bitte nehmen sie das ernst und behandeln sie die Beiträge ihrer Bürger mit der gebotenen Sorgfalt. Denn die Erfahrungen der Vergangenheit veranlassen uns, darauf noch einmal hinzuweisen.“
Anett Kirchner