Mieterprotest in Pankow: Rettet die Fassade
In der Pankower Kavalierstraße machen Mieter gegen die geplante energetische Sanierung mobil. Sie sei unwirtschaftlich und zerstöre das Stadtbild, sagen sie. Und sie haben gewichtige Unterstützer.
Auch bei der energetischen Sanierung steckt der Teufel im Detail. Im Fall der Kavalierstraße 19/19a in Pankow steckt er im Fassadenschmuck, den Doppelkastenfenstern und den gusseisernen Heizungen. Sie werden alle nicht mehr da sein, wenn die Sanierung so wie geplant ausgeführt wird - unter anderem mit Dämmplatten auf der Rückseite und einem mehrere Zentimeter dicken Dämmputz auf der Vorderseite. Gegen das Vorhaben des Eigentümers, der landeseigenen Gesobau, gründen die Mieter gerade einen Verein. Er will sich für die Bewahrung historisch-wohnkulturell bedeutsamer Gebäude in der Kavalierstraße einsetzen. Mit Unterstützung des "Vereins Denkmal in Berlin" wollen die Bewohner an ihrem Haus ein Pilotvorhaben realisieren, das Klimaschutz und Ästhetik in Einklang bringen soll. Doch die Gesobau hält bisher an ihren Plänen fest und droht den Mietern mit Klagen, sollten sie weiter keinen Zugang zu ihren Wohnungen gewähren. Allerdings ist der Beginn der Baumaßnahmen an der Kavalierstraße nun zunächst um ein Jahr verschoben worden.
Die Mieter sind entschlossen, die Zeit zu nutzen. Vor wenigen Tagen hatten sie namhafte Experten eingeladen, um über die Kavalierstraße im Besonderen und die Folgen einer flächendeckenden energetischen Sanierung im Allgemeinen zu debattieren. „Die energetische Sanierung ist im Grundsatz berechtigt. Aber sie ist mit schweren Kollateralschäden verbunden“, sagte Florian Mausbach, Mitglied des Landesdenkmalrates bei der Veranstaltung. So, wie die Kahlschlagsanierung der 70er Jahre durch eine behutsame Stadterneuerung ersetzt wurde, brauche es heute eine behutsame energetische Sanierung, um das Stadtbild zu erhalten. Mausbauch zitierte Friedrich Engels: „Man soll die Gesellschaft nie aus einem Punkt kurieren.“ Es gebe andere Maßnahmen, wo Geld für die Sanierung sinnvoller eingesetzt wäre.
Zuvor hatte Jascha Braun von der Initiative Fassadenretter mit Vorher-Nachher- Fotos aus Berlin belegt, wie die energetische Sanierung zu Uniformität führen kann. Wie Stuck, Erker, Türmchen oder Vorsprünge hinter Dämmung und glattem Putz verschwinden. Bei denkmalgeschützten Gebäuden sei das zwar nicht so. „Sie machen aber nur drei Prozent des Gebäudebestandes aus“, sagte Braun. Darüber hinaus gebe es aber viele Gebäude wie das in der Kavalierstraße: Häuser mit bauhistorisch erhaltenswerten Fassaden unterhalb der Denkmal-Schwelle. Die energetische Sanierung bezeichnete er als „dritte Zerstörung“ von historischer Bausubstanz nach Krieg und Kahlschlagsanierung. Auch Agnete von Specht vom „Verein Denk mal an Berlin“ sprach von katastrophalen Auswirkungen auf das Stadtbild. "Und die Sanierungswelle läuft jetzt erst so richtig an."
Wirtschaftlich nicht darstellbar
Harald Simons von der Hochschule für Wirtschaft, Technik und Kultur Leipzig rechnete vor, dass die Sanierung des Hauses in der Kavalierstraße auch wirtschaftlich nicht sinnvoll sei. Einer Einsparung von Heizkosten in Höhe von 56 Cent pro Quadratmeter und Monat stünde eine Mieterhöhung von 2,21 Euro gegenüber. Das wäre eine reale Mieterhöhung von 1,65 Cent pro Quadratmeter. „Die eingesparten Energiekosten reichen bei Weitem nicht, um die Mieterhöhung zu refinanzieren“, fasste Simons zusammen. Agnete von Specht vermutet, die energetische Sanierung werde auch als Hebel genutzt, um die Mietpreisbremse zu umgehen. Im Fall der Kavalierstraße indes, so stellte Simons fest, trage die landeseigene Gesobau den überwiegenden Teil der Kosten. "Mit anderen Worten: hier wird schlicht Geld verbrannt."
Lars Holborn, Prokurist der Gesobau, nennt andere Zahlen: „Mit dem Kenntnisstand heute wird sich die Warmmiete nach der Modernisierung unter Berücksichtigung der Einsparungen im Schnitt um 1,45 Euro pro Quadratmeter erhöhen.“ Aber er weist die Idee zurück, eine energetische Sanierung müsste sich für den Mieter rechnen: „Das ist ein Denkfehler.“ Es sei wegen des Klimawandels gewollt, dass energetisch modernisiert werde. Für die Kavalierstraße hat das Unternehmen eine Energieeinsparung von 37 Prozent durch die geplante Sanierung errechnet. „Die Zeche zahlen Mieter und Eigentümer.“ Zwar könnte sich auch der Staat durch Steuernachlässe beteiligen. „Das wurde aber gerade wieder abgelehnt“, sagte Holborn mit Blick auf die gescheiterten Verhandlungen zwischen Bund und Ländern zu diesem Thema. Auch für die Gesobau rechne sich die energetische Sanierung nur durch den Ausbau des Dachgeschosses, die ersparte Instandhaltung der künftigen Jahre und dadurch, dass es für ein instandgesetztes Haus immer Mieter geben werde.
Gesobau hält an Sanierung fest
Die Gesobau habe bei dem Projekt „die genau richtige Mischung aus Wirtschaftlichkeit und bautechnischen Erfordernissen“ geplant, sagt Holborn. Deshalb gehöre die von den Mietern geforderte Aufarbeitung der alten Holzkastendoppelfenster nicht zum Maßnahmenpaket: „Bei der Aufarbeitung wird aus dem Innenflügel das Glas herausgenommen und eine neue Wärmedämmscheibe eingesetzt. Das ist energetisch eine tolle Lösung, aber sie ist dreieinhalbmal teurer als ein neues Kunststofffenster“, sagte Holborn. Die alten Fenster am Platz zu lassen, wäre für ihn auch nicht möglich: Sie würden mehr als doppelt so viel Wärme durchlassen wie neue. „Damit kommen wir energetisch nicht dorthin, wo wir hinwollen.“
Verständnis für die Mieter
Trotzdem kann Lars Holborn die Mieter verstehen. „Natürlich gibt es auch bei uns Gruppen die fragen: Was bleibt dann von einem Haus?“ Die Wohnungswirtschaft sei nicht blind auf dem nachhaltigen Auge und suche angesichts einer ständig verschärften Energieeinsparverordnung nach einem „sinnvollen Mittelweg“. Hier gibt es möglicherweise eine Annäherung an den Wunsch nach Erhaltung der Identität von Gebäuden. Agnete von Specht vom „Verein Denk mal an Berlin“ warnte zum Schluss der Mieterveranstaltung jedenfalls davor, „dass der Umweltgedanke durch brutale Energieeinsparmaßnahmen Schaden leidet“.
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