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Der betroffene Wohnblock Straßburger Straße/Spandauer Burgwall.
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Berlin-Spandau: Mietsteigerung um 75 Prozent - Nachbarschaft unter Schock

Der Brief des neuen Eigentümers kam kurz vor Weihnachten. Mehr als 40 Mieter in Spandau sollen deutlich mehr zahlen. Das Bezirksamt sieht keine Eingriffsmöglichkeit.

Vor zehn Jahren ist Stephan Swiatek mit seiner Familie in eine Altbauwohnung in der Straßburger Straße gezogen. Mehr als 14.000 Euro hat er nach eigenen Angaben in die Modernisierung investiert, doch kurz vor Weihnachten flatterte ihm wie den Mietern 43 weiterer Wohnungen die Modernisierungsankündigung des neuen Eigentümers ins Haus. Darin heißt es laut Swiatek auch, dass sich seine Warmmiete danach von 913 auf 1592 Euro erhöhen werde, eine Steigerung um 75 Prozent. Bezirksamt und Mieterverein zeigen sich machtlos.

Erben des Bauherrn verkauften Wohnblock nach 88 Jahren

Die fünf Häuser Spandauer Burgwall 7 und Straßburger Straße 27a – 30 gehören mit vier weiteren Aufgängen zu einem Wohnblock, der 1929 von dem bekannten Bauherrn Johann Makowka errichtet wurde. Bis vor Jahresfrist war die Welt für die Mieter, die dort teilweise seit mehr als 50 Jahren leben, in Ordnung. Dann verkauften die Erben von Makowka die Immobilie an die Berliner Anton Schmittlein Construction GmbH. Diese erklärte das Objekt zu ihrem „Modernisierungsprojekt Nr. 113“ und schickte den Bewohnern eine erste Mieterhöhung, der dann die Ankündigung der Modernisierung folgte.

Berlin wächst um 50.000 Einwohner pro Jahr und es gibt kaum noch freie Wohnungen. Deshalb werden die Mieten für alle in Zukunft weiter steigen. Nur ein leichtes Überangebot an Wohnraum sorgt für niedrige Mieten.

schreibt NutzerIn B.Buettner

Wohnungen werden an Investoren verkauft

Vorgesehen ist unter anderem, die vorhandenen Bäder zu erneuern, die Fassade zu dämmen, eine neue Zentralheizung einzubauen sowie die Steigeleitungen für Wasser und Heizung zu erneuern, heißt es in der Werbezeitung des Unternehmens. Die Wohnungen - acht weitere sollen in einem neuen Dachgeschoss entstehen - werden anschließend in Eigentumswohnungen umgewandelt und an interessierte Investoren verkauft.

Steuerersparnis für Käufer, drastische Kostensteigerungen für Mieter

Potentiellen Käufern versichert Schmittlein, dass sie „einen Großteil“ der anfallenden Modernisierungskosten steuerlich geltend machen können. Den Bewohnern teilte die Firma dagegen mit, dass auf sie erhebliche Mietsteigerungen zukommen, denn elf Prozent der Kosten können auf sie umgelegt werden. Nach immer stärkeren Protesten signalisierte der neue Eigentümer Gesprächsbereitschaft und eine mögliche Senkung der Modernisierungsbeiträge um bis zu 50 Prozent.

Erste Senkung

Tatsächlich habe man in seinem Fall den Aufschlag um 162 Euro senken wollen, so Stephan Swiatek. Das ist noch immer eine Steigerung um fast 60 Prozent, mehr als sich viele der zum Teil betagten Mieter leisten können. Hier sollen Altmieter verdrängt und preisgünstiger Wohnraum einer Luxussanierung geopfert werden, so die Überzeugung vieler Betroffener. Das stehe im krassen Gegensatz zur Schaffung von mehr bezahlbaren Wohnungen, für die sich Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank (SPD) gerade in seinem Neujahrs-Grußwort im Leute-Newsletter des Tagesspiegel ausgesprochen hat.

In Berlin wird es jetzt wie in München, Düsseldorf oder Frankfurt. Entweder man ist wohlhabend - dann kann man in der City wohnen oder man hat das Glück, Transfergeldempfänger zu sein und erwischt eine der wenigen Sozialwohnungen. Der Mittelstand fliegt raus.

schreibt NutzerIn Stag

Amt muss nur informiert werden

„Das ist wirklich tragisch, aber wir können nichts tun“, sagt Baustadtrat Frank Bewig (CDU). Weder die Sanierung noch die Umwandlung sind genehmigungspflichtig und selbst der Dachausbau muss dem Amt nur angezeigt werden. Zu den Berliner Milieuschutzgebieten zählt Spandau nicht. „Auch die Sanierungsankündigung ist formell nicht zu beanstanden“, so der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Reiner Wild. Die mit 2,25 Euro pro Quadratmeter angesetzte Mieterhöhung für den geplanten Einbau von Isolierfenstern liege allerdings „deutlich“ über den bisherigen Erfahrungswerten, ebenso die Werte für die Heizungsumstellung.

Mieterverein fordert Anerkennung finanzieller Härten

Was den Mietern abverlangt werde, sei „heftig“ und komme einem Rauswurf gleich, betont Wild. Die Duldung der Sanierung könne jedoch allenfalls ein kranker oder behinderter Mieter verweigern. Der Mehrheit der Betroffenen bleibe nur die Möglichkeit einer riskanten Klage, falls mit der Erhöhung die Warmmiete 35 Prozent des Nettoeinkommens überschreitet. Wer allerdings keine Kündigung riskieren will, muss bereits bis zur Entscheidung des Gerichts erst einmal die erhöhte Miete zahlen, so der Geschäftsführer des Mietervereins. Er fordert vom Vermieter eine Anerkennung finanzieller Härten.

Eigentümer „grundsätzlich bereit“ Mieterhöhung zu reduzieren

Die Modernisierungsankündigung erfülle lediglich die formalrechtlichen Voraussetzungen und stelle die gesetzlich mögliche Mieterhöhung nach der Modernisierung dar, erklärte Schmittlein-Geschäftsführer Stephan Gumz gegenüber dem Tagesspiegel. Man habe den Mietern Gespräche angeboten und sei „grundsätzlich bereit, eine geringere als die nach Modernisierung gesetzlich zulässige Miete zu vereinbaren“. Im Einzelfall könne das eine Reduzierung der Umlage um bis zu 50 Prozent bedeuten. In Fällen sozialer Härte gelte darüber hinaus die entsprechende gesetzliche Regelung. Eine große Anzahl von Mietern habe sich bereits mit dem Unternehmen in Verbindung gesetzt, strebe eine einvernehmliche Regelung an oder habe bereits eine Vereinbarung mit dem Eigentümer geschlossen.

Bundestagsabgeordneter schaltet sich ein

Der Spandauer Bundestagsabgeordnete Swen Schulz (SPD) teilte am Freitag in einem Rundschreiben an die betroffenen Mieter mit, dass er die Eigentümergesellschaft um ein Gespräch gebeten habe. „Ich will Möglichkeiten erörtern, wie den berechtigten Mieterinteressen entsprochen werden kann“, schreibt der Politiker. „Maßnahmen, die den erzwungenen Auszug von Mietern zur Folge haben, wollen wir verhindern.“ Alle Versuche der Sozialdemokraten im Bundestag, das Mietrecht mieterfreundlicher zu gestalten, seien bisher am Widerstand von CDU/CSU gescheitert.

Stephan Swiatek hat inzwischen das Handtuch geworfen und eine neue Wohnung gefunden. Indessen droht auch den Bewohnern der übrigen vier Aufgänge Straßburger Straße 31 bis 34 Ungemach. Denn der Block ist komplett verkauft worden. So ist in der Werbeschrift für die jetzt geplanten Maßnahmen vom „ersten Bauabschnitt“ die Rede. 2019 soll dem Vernehmen nach der restliche Komplex modernisiert werden.

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