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Nur ein oller Stein aus dem fernen Europa? Pah, von wegen! Die US-Amerikaner sind ganz ergriffen.
© Katharina Fiedler

Mauerfall-Gedenken in Washington DC: Kreuzbergs Mauer steht jetzt in den USA

Die Segmente, die ursprünglich vom Bethaniendamm Ecke Leuschnerdamm in Kreuzberg stammen, wurden 1994 für 40.000 US-Dollar an die amerikanische Ostküste geschifft. Dort ist die Mauer noch immer ein großes Thema.

"Meine Damen und Herren, die Mauer ist letzte Nacht gefallen. We are flying into history“, die Ansage des Piloten ertönte im Anflug auf Berlin in den frühen Morgenstunden des 10. Novembers. Hope Harrison, in New York gestartet, erlebte den Mauerfall in diesem Flugzeug und konnte nicht glauben, was unten auf der Erde passiert war.

Harrisons Augen leuchten noch heute, wenn sie von diesem Moment spricht. Die Historikerin steht in einem kleinen Hörsaal in der Elliott School der George Washington Universität in Washington,DC. Die Klimaanlage dröhnt leise, das Licht ist künstlich, denn es gibt keine Fenster. Harrison hält eine Vorlesung zum Mauerfall und erzählt die Geschichte aus dem Flugzeug. Die Begeisterung für das, was vor 25 Jahren passiert ist, überträgt die Professorin auch auf ihre Studenten: Neugierige Blicke, Stille, Stifte kratzen übers Papier.

Als Harrison ein privates Foto vom 10. November 1989 an die Wand projiziert, auf dem sie vor der Mauer steht – hinter ihr Grenzsoldaten – zückt eine Studentin ihr Smartphone und macht ein Foto von dem Bild. „Wo stehe ich da?“, fragt Harrison lächelnd. Es ist das Brandenburger Tor, für die Studenten keine schwere Frage.

„Für uns Amerikaner ist es sehr schwer, zu verstehen, dass eine Stadt von einem Tag auf den anderen geteilt wurde“, sagt Matthew Gerstenberg, Student in der Vorlesung. Harrison ermuntert dann ihre Studenten, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn eine Mauer durch Washington gehen würde, durch ihren Campus und sie Freunde und Familie nicht mehr sehen könnten.

Zwar würden die Eckdaten der Berliner Mauer in der Highschool gelehrt werden, aber kaum ein Amerikaner würde Details oder Hintergründe kennen. Auch Matthew erhielt in der Schule nur einen sehr kleinen Überblick zur deutsch-deutschen Teilung.

„Viele Studenten sind überrascht, dass die Mauer um ganz West-Berlin herum ging“, sagt Harrison. In den USA gebe es eher eine emotionale Bindung an die Ereignisse vor 25 Jahren. „Amerikaner verbinden mit dem Mauerfall ein Wunder. Es ist ein Triumph für die Demokratie, für den Frieden und über den Kommunismus“, erklärt Harrison.

In der Vorlesung zum 9. November 1989 zeigt Harrison Fotos von mit Blumen geschmückten Trabis sowie Honeckers Haus in Wandlitz bei Berlin oder Demonstranten mit „Wir sind das Volk“-Plakaten. Matthew ist begeistert: „Der Kurs ist fantastisch, weil Harrison das Thema liebt und Spaß daran hat, jede Frage zu beantworten.“ Und Fragen gibt es viele: Wie viele Menschen lebten damals in Ost-Berlin? Welche Rolle spielte Gregor Gysi? Wie kam Hans Modrow an die Macht? Gorbatschow nennen die Studenten nur „Gorby“.

Elf der 8000 leuchtenden Ballons der Lichtgrenze, die Berlin zum 25. Mauerfalljubiläum an diesem Wochenende teilt, kommen Washington. Die George Washington Universität sponsert dank Hope Harrison diese Ballons, alle an der Bernauer Straße. Die Historikerin ist das einzige nicht-deutsche Mitglied der Fördervereins der Berliner Mauer Gedenkstätte. Harrisons Geschichtskurs ist Pate eines Ballons.

Für die Webseite der Lichtgrenze haben die Studenten ein Video gedreht, in dem sie verschiedene Mauerstücke in Washington besuchen. Die Studenten sprechen darin von gleichen Werten und Ideen, die Deutschland und die USA verbinden würden. „Die Mauerstücke sind für mich ein Symbol, dass Regime, die die Freiheit unterdrücken, nicht für immer bestehen“, sagt ein Student in die Kamera.

Der Besuch beim größtem Mauerstück außerhalb Deutschlands beeindruckt die Studenten am meisten. Es steht im Newseum in Washington, einem interaktiven Museum über Nachrichten und Journalismus. Die acht Segmente, die ursprünglich vom Bethaniendamm Ecke Leuschnerdamm in Kreuzberg stammen, wurden 1994 für 40.000 US-Dollar an die amerikanische Ostküste geschifft und standen zehn Jahre in einer Open-Air-Ausstellung im Freedom Park nahe Washington. Seit 2008 runden die Mauerstücke, zusammen mit einem originalen Wachturm aus der Kreuzberger Stallschreiberstraße, die Ausstellung zur Berliner Teilung im Newseum ab.

„Dort zu stehen und ein Stück der Mauer anzufassen, ein Stück Geschichte, das war unglaublich für mich“; erzählt Matthew. Der 20-Jährige interessiert sich sehr für die Berliner Teilung, Freunde und Verwandte waren damals als US-Soldaten an der innerdeutschen Grenze stationiert und schlugen am 9. November ein Stückchen Geschichte von der Mauer ab. „Die Berliner Mauer macht mich dankbar für das, was ich als Amerikaner habe“, sagt Matthew.

Am Ende des Videos für die Lichtgrenze stehen Matthew und seine Kommilitonen auf einem Grünstreifen in einer Reihe. Nacheinander, wie Dominosteine, lassen sie sich auf die Wiese fallen – ein symbolischer Mauerfall und eine Forderung.

In der Vorlesung zeigt Prof. Harrison zum Abschluss ein Aufzeichnung von Leonard Bernstein, in dem der Komponist an Weihnachten 1989 in Ost- und Westberlin Beethovens neunte Sinfonie dirigierte. Es ist das kostenlose Konzert, in dem Bernstein aus „Ode an die Freude“ ein „Ode an die Freiheit“ machte. Die Studenten schauen fasziniert auf die Leinwand, einer tippt mit seinem Finger den Rhythmus mit, manche lächeln. Ode an die Freiheit ist genau der Triumph, den die Amerikaner mit dem Mauerfall verbinden.

Und es ist das Musikstück, dass dieses Jahr am Brandenburger Tor erklingen wird, wenn die Lichtgrenze sich lösen und losfliegen wird. Der Ballon der amerikanischen Geschichtsklasse aus Washington schickt dabei eine Nachricht in den Himmel, die den Studenten sehr wichtig ist: „An alle Mauern, die es gibt und geben wird: Auch ihr sollt fallen.“

Wie Washington, DC, den Mauerfall erinnert: „The Wall in Our Heads“ - Ausstellung im Goethe-Institut Washington von amerikanischen Künstlern und dem Berliner Kai Wiedenhöfer, noch bis 15. Dezember. „Twenty Five Years Later“ Symposium mit Tunnelflüchtlingen und Fluchthelfern aus Berlin und Historikern im Newseum, 14. November.

Ablauf, Termine, Verkehrshinweise: Der große Service zum 9. November - wo in Berlin gefeiert wird, lesen Sie unter diesem Tagesspiegel-Link.

Unser Mauerfall-Blog: Alles, was gerade passiert rund um die Feierlichkeiten, lesen Sie unter diesem Tagesspiegel-Link.

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