"Mein erstes Kreuzberg-Erlebnis" (1): Kreuzbergs Geschmack nach Freiheit
Unsere Autorin kommt aus Berlin - für ihre Freunde von außerhalb heißt das nur: Kreuzberg. Dabei stammt sie aus Zehlendorf. Kreuzberg bleibt für Nora Tschepe-Wiesinger ein Wunschkiez. Zu teuer für die jungen Berliner.
In der Hauptstadt zu wohnen, ist im Rest Deutschlands (mit Ausnahme von Hamburg und München) irgendwie ein Aushängeschild für die eigene Coolness. Zumindest habe ich diese Erfahrung wiederholt auf Reisen gemacht. Wenn ich mich in anderen Bundesländern bei Gleichaltrigen vorstelle, bin ich immer nur „die aus Berlin“. Sofort kramen die Baden-Württemberger und Niedersachsen dann die eigenen Berlinerfahrungen hervor und erzählen vom Berghain, vom Kotti, vom Gemüsedöner am Mehringdamm. Am Ende der Erzählung folgen ein verschämtes Lächeln und der Satz: „Naja, du kennst das ja alles, schließlich wohnst du da“.
Tue ich nicht. Ich komme aus Zehlendorf. Clubs und Dönerläden gibt es hier wenig, stattdessen viel Wald, Seen und Ruhe. Bis zur Grenze nach Brandenburg brauche ich fünf Minuten, bis zum Kottbusser Tor 55. Trotz des langen Weges bin ich spätestens seit meinem 16. Geburtstag lieber in Kreuzberg als in Brandenburg unterwegs.
Der erste Cocktail - am Mehringdamm
Bei meinem ersten Latte Macchiato im Bergmannkiez meinte ich endlich zu verstehen, warum mich Gleichaltrige in anderen Städten um meinen Wohnort beneiden. Nicht wegen des Wäldchens, das ich aus meinem Zimmerfenster sehen kann. Es sind die Cafés, die Secondhand-Läden, das Nachtleben. Kreuzberg. Ich weiß noch, dass ich meinen ersten Cocktail bei einem Inder am Mehringdamm getrunken habe. Ich war zu jung, noch keine 18, niemand fragte nach dem Ausweis. In Zehlendorf ließ man mich nicht mal das Bier für meinen Vater an der Kasse kaufen.
Statt Kreuzberg wird es Wedding
Seit diesem ersten Cocktail schmeckte Kreuzberg für mich nach Freiheit, nach einem Lebensstil, den es so in Zehlendorf nicht gibt. Wie viele meiner Freunde beschloss ich, nach dem Abi irgendwann nach Kreuzberg zu ziehen. Das war als Kreuzberg noch etwas günstiger war. Meine Freunde sind mittlerweile nach Wedding gezogen, ich wohne immer noch in Zehlendorf. Aus den 55 Minuten bis zum Kottbusser Tor sind 50 Minuten bis zum Leopoldplatz geworden – immerhin.
Der erste Kuss auf dem Kreuzberg, die erste eigene Wohnung oder ein unvergesslicher Kreuzberg-Tag: Die Kreuzberger Kieze sind voller erster Erinnerungen. In unserer Rubrik "Mein erstes Kreuzberg-Erlebnis" zeichnen unsere Autoren ihre persönlichen Erinnerungen für den Kreuzberg Blog auf. Haben Sie auch eine tolle Geschichte zu erzählen? Dann machen Sie mit und schicken Sie uns Ihr erstes Kreuzberg-Erlebnis an kreuzberg@tagesspiegel.de
Dieser Artikel erscheint im Kreuzberg Blog, dem hyperlokalen Online-Magazin des Tagesspiegels.
Nora Tschepe-Wiesinger