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Paint it black. Die berühmten Graffiti an der Cuvry-Brache in Kruezberg sind weg. Vermutlich hat der Künstler Blu selbst dafür gesorgt, dass sie übermalt werden.
© Kai-Uwe Heinrich
Update

Cuvry-Brache in Berlin: Kreuzberg trägt schwarz: Kult-Graffiti übermalt

Die Brachfläche auf dem Kreuzberger Cuvry-Areal war für ihre Wandkunst berühmt. In der Nacht zu Freitag wurde die Streetart offenbar auf Wunsch des Künstlers übermalt - die Reaktionen sind gemischt.

Eine Stadt trägt Trauer: Mit zwei dicken schwarzen Balken wurde in der Nacht auf Freitag eines der berühmtesten Berliner Wandbilder übermalt. Am Abend rückten zwei Kräne im Nieselregen auf der Kreuzberger Cuvry-Brache an. Mehrere Personen machten sich zum Entsetzen von Passanten daran, das schwarz-weiß-goldene Werk verschwinden zu lassen. Fußgänger blieben am Metallzaun stehen und blickten zum letzten Mal auf die drei überdimensionalen Figuren mit den goldenen Uhren und den Masken, die sie sich gegenseitig von den Köpfen ziehen. „Da muss man doch Leute mobilisieren!“, sagte ein elegant gekleideter Herr fassungslos.

Übermalen als Akt der Verzweiflung

Allem Anschein nach geht die Aktion auf den Künstler selbst zurück. Ab 2015 sollen auf der Brache die „Cuvryhöfe“ mit 250 Wohnungen gebaut werden. Dafür waren wie berichtet im Herbst die Hütten weggeräumt worden, die lange Wohnungslosen als Unterkunft dienten, das Spreegrundstück war nach langer Zeit wieder leer, umringt von zwei Metallzäunen.

Der italienische Street-Art-Künstler Blu wollte offenbar nicht, dass der Investor von seinem Werk profitiert, das seit 2007 über der Brache prangte. Es war ein beliebtes Fotomotiv und längst Wahrzeichen der umkämpften Cuvry-Brache.

Dafür, dass die Übermalung auf den Künstler zurückgeht, spricht: Zunächst blieb dabei der Mittelfinger einer der Figuren stehen – was durchaus als Botschaft verstanden werden kann. Dann wurde auch der Finger übermalt.

Aus dem Schriftzug „Reclaim Your City“ wurde als einziges Überbleibsel „Your City“. Die Stadt-Bewohner stehen damit – ausgerechnet am Morgen, an dem sie mit neuem Regierendem Bürgermeister erwachen – vor der Frage: Ist das jetzt unser Berlin? Die Nachricht von der Übermalung machte am späten Donnerstagabend auf dem Kurznachrichtendienst Twitter die Runde.

Ein Twitterer bezeichnete den neuen Anblick an der Cuvry-Brache als „Trauerflor dieser Stadt“. Andere verweisen auf die vergängliche Natur von Wandbildern.

Anwohner Jascha Herr hat in São Paulo davon erfahren, dass nun die düsteren Tatsachen geschaffen wurden. Er hatte sich mit einer Petition auf der Plattform change.org mit mehr als 7000 Unterstützern dafür eingesetzt, das Wandbild unter Denkmalschutz zu stellen. „Der Antrag wäre noch im Dezember eingegangen“, sagt er.

Gilt der Stinkefinger der ganzen Stadt?

Sollte die Aktion tatsächlich auf den Künstler zurückgehen, kann Jascha Herr das nicht verstehen. Er glaube nicht, dass das Grundstück nun weniger interessant für Investoren ist. Vielmehr wirke die Aktion so, als wäre der Künstler der Ansicht, die Stadt hätte seine Kunst nicht mehr verdient. „Es ist ja fast so, als wären wir alle kollektiv bestraft worden. Wenn alle Berliner es ihm gleichtäten, müssten wir die Stadt ja abreißen.“ Doch Herr ist überzeugt, dass das Thema für den Künstler nicht abgeschlossen ist. „Für ihn ist ja die Stadt die Leinwand.“

Die Ursprungsversion. Das Gemeinschaftswerk der Künstler Blu und JR ist noch zu sehen im Buch von Norbert Martins "Hauswände statt Leinwände. Berliner Wandbilder".
Die Ursprungsversion. Das Gemeinschaftswerk der Künstler Blu und JR ist noch zu sehen im Buch von Norbert Martins "Hauswände statt Leinwände. Berliner Wandbilder".
© Norbert Martins

Norbert Martins, seit Jahrzehnten Foto-Archivar der Berliner Wandkunst, rät zu Gelassenheit. "Es ist klar, dass die Wandbilder auch wieder verschwinden. Blu wird bestimmt ein neues Bild malen." Ursprünglich war das Wandbild an der Cuvry-Brache ein Gemeinschaftswerk mit dem französischen Street-Art-Künstler JR gewesen, bekannt für sein auch in Berlin vorhandenes Werk „Die Falten der Stadt“. Er hatte für zwei der Figuren die Augen beigesteuert. Zu sehen ist diese Ursprungsversion noch im Buch von Norbert Martins: "Hauswände statt Leinwände. Berliner Wandbilder". Als der Regen die Augen abgewaschen hatte, ersetzte Blu sie mit den heute bekannten Taucherbrillen.

Ein Werk von Blu ist nach wie vor bei der Fahrt mit der U1 über die Oberbaumbrücke zu sehen: Die rosaroten Nackedeis, die übereinandergetürmt ein riesiges Gesicht ergeben. Eine Hand führt zum Mund – als würde es sich gleich selbst verspeisen.

Ist die Street-Art an der Cuvry-Brache Kunst, oder kann sie weg? Am Donnerstagabend wurde damit begonnen, sie zu übermalen.
Ist die Street-Art an der Cuvry-Brache Kunst, oder kann sie weg? Am Donnerstagabend wurde damit begonnen, sie zu übermalen.
© Carmen Schucker

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