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Ein Man geht nachts durch den Görlitzer Park
© Doris Spiekermann-Klaas

24 Stunden im Görlitzer Park: Koks und andere Kleinigkeiten

Kinder buddeln im Sand, nebenan vertreiben sich Dealer mit Kniebeugen die Zeit – bis zum Schichtende nachts um halb zwei. 24 Stunden im Görlitzer Park zeigen, dass das Miteinander hier ganz eigenen Regeln folgt. Doch die funktionieren nicht länger.

Im Schatten ist es noch kühl, aber die Cafés am Görlitzer Park sind um halb zwölf schon gut besetzt. In der Görlitzer Straße, am Nebeneingang zum Park, haben die Dealer längst ihre Posten bezogen. Links und rechts des Weges stehen sie: etwa zwanzig Schwarze. Sie begrüßen jeden Neuankömmling mit einem lässigen „Yo, Bro“. Jeder Passant ist potentieller Kunde.

Die Fußgänger beschleunigen den Schritt, die Radler treten kräftiger in die Pedale. Lasst mich bloß in Ruhe, heißt das. Eine junge Mutter mit Kinderwagen ist die Ausnahme. Sie hält den auffordernden Blicken stand, schaut den Dealern offen ins Gesicht. Nun wenden die Männer den Blick ab.

Das Warten strengt an. Einige Dealer dehnen die Gelenke, lassen die Arme kreisen. Einer spult ein kleines Fitnessprogramm ab, macht Liegestütze und Kniebeugen. Es ist Nebensaison, erst wenige Touristen sind da. Wer zum Dealen hier ist und wer nicht, ist unklar. Das hier ist längst ein Treffpunkt für junge Afrikaner, ein erster Anlaufpunkt für Neuankömmlinge. Es ist eine Mischung aus Herumhängen und Gangstergehabe, garniert mit einer Prise Gefahr und Nervosität.

Hauptsächlich geht es hier um Marihuana. Es wird in Kleinstmengen gehandelt, in Portionen zu zehn oder zwanzig Euro. Die Dealer streuen der Kundschaft das Gras direkt in die Handfläche. Die Menge wird per Augenmaß bestimmt und ist grundsätzlich zu klein, die meisten Käufer bestehen auf einem „Nachschlag“ und bekommen ihn auch. Die Nachfrage bestimmt das Angebot, wenn die Kundschaft härteres Zeug verlangt, kann man weiterhelfen. Laut Polizei wird mittlerweile auch Kokain verkauft. Man muss nur ein wenig länger warten.

Drogen-Depot im „Piratenspielplatz”

Ein paar Schritte hinein in den Park liegt der „Piratenspielplatz“. Eine schöne Anlage, zum Schutz vor Hunden eingezäunt – aus Dealersicht ein idealer Platz für ein Drogendepot. Hier hat ein Kind am 3. März vier Kokainkugeln ausgegraben. Als eine Kindergärtnerin den Vorfall anzeigte, schickte die Polizei Drogenspürhunde. Die Hunde erschnüffelten 89 Marihuanatüten, zwei Tüten mit Kokain und sechs Kapseln mit dem gefährlichen Crystal Meth, wie die Polizei bestätigte. Der Fund hat die Debatte um den Drogenhandel im Park neu entfacht.

Auf dem Spielplatz spielen Kinder
Der Piratenspielplatz im Görlitzer Park. Hier hatte ein Kind im März vier Kokainkugeln ausgegraben.
© Doris Spiekermann-Klaas

Eine Kleinfamilie ist auf dem Piratenspielplatz. Papa und Filius spielen im Sand, Mama schaut von der Parkbank aus zu. Ob sie keine Angst um ihren Sohn hat? „Ach nein, wir haben ihn ja immer im Blick. Und nachdem die Polizei hier war, ist das wahrscheinlich der sauberste Spielplatz Berlins.“ Andere Eltern sehen das ähnlich: Am frühen Nachmittag füllt sich der Spielplatz. Vorn, an der Ruine des Pamukkale-Brunnens, gibt eine Band ein spontanes Konzert. Applaus von der vollbesetzten Terrasse des Cafés „Edelweiß“. Wegen dieser Atmosphäre kommen Menschen aus aller Welt in den Görlitzer Park. Zwei Jugendliche in Hiphop-Kluft lassen sich von einem Dealer seine Ware zeigen: nö, zu teuer. Beide Seiten nehmen es mit Humor, man verabschiedet sich freundlich. Die Jungs kehren zu ihren Freunden zurück: Mutprobe bestanden.

Görlitzer Park als „Hotspot für Dealer”

Unterdessen lässt Katharina Oguntoye in ihrem kleinen Ladenlokal in der Görlitzer Straße Deutsch pauken. Vier Schüler sitzen um den großen Tisch in der Mitte des Raumes. Eins, zwei, drei... Wie geht es weiter? Von Mal zu Mal wird die Reihe flüssiger, die Aussprache besser. Seit 17 Jahren betreibt die 55-jährige Oguntoye den Verein „Joliba“, seit 30 Jahren lebt sie im Wrangelkiez. Das Ladenlokal ist der einzige Treffpunkt, der sich ausdrücklich an die afrikanische Community richtet.

Oguntoye ärgert sich, dass der Görlitzer Park ein Hotspot für Dealer geworden ist und nun auch andere Kriminelle anzieht. Aber sie sucht den direkten Kontakt zu den Drogenhändlern, die von vielen geforderte Law-and-Order-Strategie lehnt sie ab. „Die Leute brauchen Perspektiven, keine Repression. Dann tut sich auch was bei der Drogenproblematik.“ Um mit den Dealern zu arbeiten, braucht Oguntoye Geld. Geld, das der Bezirk nicht hat. „Die Situation ist eine Katastrophe.“ Zuletzt habe sie Spenden sammeln müssen, um die Arbeit des Vereins fortsetzen zu können. Oguntoye steht mit ihren Sorgen nicht allein da: Auch bei der Initiative „Unser Görli“ ruht derzeit die Arbeit, weil es an Geld fehlt.

Polizeieinsätze: Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag

„Ich will ja gerne tolerant sein, aber so langsam kann ich nicht mehr“, sagt eine Anwohnerin in einem Café in der Falckensteinstraße. „Wir ertragen ja einiges – aber jetzt reicht es wirklich“, ergänzt ihr Tischnachbar. Bei den ständigen Polizeieinsätzen im Park gebe es ein krasses Missverhältnis zwischen Aufwand und Ertrag. „Wir brauchen keinen Kleinkrieg zwischen Polizei und Dealern, sondern müssen den Dealern den materiellen Reiz zum Drogenhandeln nehmen“, sagt die Anwohnerin.

Auch Jonas Schemmel, Fraktionssprecher der Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung, will den Dealern das Geschäft verderben – mit dem geplanten Coffeeshop. „Wir wollen sicherer und vielleicht auch billiger sein als der Schwarzmarkt“, sagt er. Geplant seien mehrere Abgabestellen, aber nicht direkt im Park. Dass nun auch harte Drogen auftauchen, findet Schemmel „ schrecklich“. Ob er wirklich an den Erfolg des viel kritisierten Vorhabens glaubt? „Es wird nicht die Lösung für alles sein, aber unterm Strich einiges verbessern“, hofft der Bezirkspolitiker.

Der Place-to-be wird zur No-Go-Area

In der Dämmerung leert sich der Görlitzer Park, er gehört nun nur noch den Dealern. Laternen sorgen für kleine Lichtinseln entlang der Hauptwege. Auf den Nebenwegen, den Trampelpfaden, in den Gebüschen ist es stockfinster. Jetzt ist genau die Zeit, in der die Messer gezückt werden, um Passanten auszurauben. Die Zeit, in der Radfahrer abgefangen und niedergeschlagen werden. Wer mit harmlosen Absichten unterwegs ist, macht am besten einen großen Bogen um die Wenigen, die noch im Park unterwegs sind. Der Place-to-be wird zur No-Go-Area. Nur an den Haupt- und Nebeneingängen ist noch etwas los. In kleinen Grüppchen stehen die letzten Dealer zusammen, hoffen auf späte Laufkundschaft. Gegen 1.30 Uhr ziehen auch sie sich zurück. Die Nacht ist kurz, morgen, wenn das Wochenende beginnt, wartet viel Arbeit.

Am Samstagvormittag ist der Park noch immer fast menschenleer. Nur auf dem Piratenspielplatz ist schon ordentlich Betrieb. Kreuzberg wird gerade erst wach, doch die Dealer sind schon wieder auf dem Posten. Es sind weniger als gestern, vielleicht zehn – aber der Tag ist ja noch jung. Es ist gerade 10.30 Uhr. Das Wetter ist schlechter als am Freitag, Regenwolken verdecken die Sonne. Ein kalter Wind weht über die Rasenflächen, zum Schutz vor der Witterung haben einige Dealer Anoraks und Pudelmützen an. Das altbekannte „Yo, Bro“ erklingt. Es hört sich ziemlich müde an.

Auf dem Hauptweg läuft ein Mann in Richtung Skalitzer Straße. Er hat Pfandgut dabei und leere Einkaufstüten. Offenbar ist er auf dem Weg zum Wochenendeinkauf. In der freien Hand glimmt ein dicker Frühstücksjoint – war er etwa der erste Kunde des Tages? Der Mann winkt ab: „Quatsch, im Park kaufen doch nur Touristen.“

Dieser Artikel erscheint im Kreuzberg Blog, dem hyperlokalen Online-Magazin des Tagesspiegels.

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