Kandidaten-Check zur Bezirkswahl: Kirchner kommt in Pankow an
Das Frei-Zeit-Haus Weißensee und die Zukunftswerkstatt Heinersdorf hatten zum Check der Kandidaten für das Bürgermeisteramt eingeladen - und ließen die Bürger zu Beginn und am Ende Probewählen.
Die Pankower Bürgermeisterkandidaten von SPD, Grünen, CDU und Linkspartei haben sich in der vergangenen Woche einem Kandidaten-Check gestellt. Abgefragt wurden die persönliche Motivation und die politischen Pläne von Rona Tietje (SPD), Sören Benn (Linke), Jens-Holger Kirchner (Grüne) und Torsten Kühne (CDU). Eingeladen hatten das Frei-Zeit-Haus Weißensee und die Zukunftswerkstatt Heinersdorf. Die ließen die rund 100 Bürger, die gekommen waren, zur Probe auch abstimmen. Und zwar gleich zweimal - vor der Diskussion und danach.
Das Ergebnis: Während der Grünen-Spitzenmann Jens-Holger Kirchner von 17 auf 22 Stimmen zulegen konnte, büßte Tietje, die mit 26 Stimmen als Favoritin ins Rennen gegangen war, sieben Stimmen ein und landete schließlich mit 19 Stimmen hinter Kirchner. Sören Benn konnte sich von 13 auf 15 Stimmen verbessern; Kühne erhielt bei beiden Abstimmungen 14 Stimmen, wie die Veranstalter mitteilten.
Dabei konnte der 40-jährige CDU-Kandidat menschlich durchaus überzeugen. "Toller Typ, falsche Partei", schrieb einer der Gäste auf seinen Abstimmungszettel neben Kühnes Namen. Tatsächlich kam Torsten Kühne zumindest beim Persönlichkeits-Check deutlich lockerer rüber als seine Konkurrenten. Bei der Vorstellungsrunde bezeichnete er sich als Ur-Berliner mit Ostbiografie. Nach der Wende wurde er Physiker, wollte aber nicht im wissenschaftlichen Elfenbeinturm vereinsamen, witzelte er. Deshalb sei er in die Politik gegangen. Heute ist Kühne in Pankow Stadtrat für Verbraucherschutz, Kultur, Umwelt und Bürgerservice.
Rona Tietje, mit 34 Jahren die Jüngste im Bewerberfeld, berichtete zunächst von ihrer Kindheit in einem kleinen Ort in Schleswig-Holstein, wo es keineswegs selbstverständlich gewesen sei, dass ein Mädchen studiert. Tietje machte überhaupt als Erste in ihrer Familie Abitur und wurde Juristin. Heute arbeitet sie in der Senatsverwaltung für Finanzen. Nach Berlin kam sie nicht zuletzt, weil sie das kulturelle Angebot, speziell die kleinen Bühnen und Galerien in Prenzlauer Berg, anlockten, wie sie sagte. Auch als Bürgermeisterin der SPD will sie die Kulturszene in Bezirk unterstützen.
Sören Benn, 48, von der Linkspartei bekannte, dass ihn die Ablehnung des Nato-Einsatzes im Kosovo-Krieg und der Hartz-IV-Gesetze in die Politik brachten. Er lebt seit 1990 in Berlin und arbeitet derzeit als Referent für Wirtschaft und Verkehr für die Fraktion der Linkspartei im Abgeordnetenhaus. Sein Lebenslauf weist gleich mehrere Berufe auf: Baufacharbeiter, Schauspieler und Sozialpädagoge. Jenseits der Politik, so erzählte er, gebe es für ihn inzwischen aber nur noch eine Beschäftigung: die Bewirtschaftung seines Kleingartens.
Jens-Holger Kirchner schließlich ist mit 56 Jahren der erfahrenste Kommunalpolitiker unter den Bewerbern. 1990 saß er schon am Runden Tisch Prenzlauer Berg und gehörte danach mit kurzen Unterbrechungen der Bezirksverordnetenversammlung an. Inzwischen ist er im Pankower Bezirksamt als Stadtrat für Stadtentwicklung zuständig. Die Wende, so sagte der gelernte Tischler und Erzieher, sei für ihn prägender Moment und Anlass für sein politisches Engagement gewesen. Sein großes Thema damals wie heute: die Rückeroberung des öffentlichen Raums.
Kontroverse beim Thema Mieten
Inhaltlich offenbarten die Kandidaten vor allem bei der Frage, wie eine weitere Mieten-Explosion in Pankow verhindert werden kann, sehr unterschiedliche Positionen. Während Kühne darauf setzt, dass private Häuslebauer und Investoren die Situation am Wohnungsmarkt entspannen, sieht Benn das Land in der Pflicht, sozialen Wohnraum zu erhalten. Neubauprojekte will er begrenzen: "Wir dürfen nicht einfach auf Bevölkerungsprognosen hin bauen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Wir müssen schauen, was verträglich ist." Kirchner unterstützt die aktuelle Senatspolitik, bei Neubauprojekten Quoten für günstige Wohnungen festzusetzen. Doch auch der Bezirk könne Einfluss nehmen, indem er Flächen für Neubauprojekte ausweise und so steuern könne, wo gebaut wird. Tietje schließlich sagte, es lohne sich, für eine soziale Durchmischung der Innenstadt zu kämpfen. Und sie forderte, bei Bauprojekten immer auch Kitas, Schulen und die Verkehrsanbindung mitzudenken.
Der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs - vor allem der Straßenbahn - ist für die SPD-Frau ebenso wie für Linken-Politiker Benn der Schlüssel für die Lösung der Pankower Verkehrsprobleme. Für Grünen-Kandidat Kirchner ist auch eine U-Bahn-Verlängerung kein Tabu - “hilfsweise” kann er sich auch eigene Bustrassen vorstellen. Alle Kandidaten wollen zudem Radwege ausbauen. Torsten Kühne von der CDU brachte sogar einen Radschnellweg von Heinersdorf ins Stadtzentrum ins Gespräch. Ansonsten gilt für ihn: Zusätzlicher Verkehr muss möglichst vermieden werden. Neue Stadtviertel sollten daher so angelegt werden, dass sich die Bewohner zu Fuß versorgen könnten, sagte er.
Die Situation von Flüchtlingen im Bezirk bezeichneten alle Kandidaten als unbefriedigend. Und sie waren sich einig, dass die Verantwortung dafür beim Senat liege. Von Organisationsversagen war die Rede und katastrophalen Zuständen in vielen Notunterkünften. Auch die Planung neuer Unterkünfte läuft laut Kirchner nicht optimal. Er kritisierte die Auswahl der Standorte. "Leider konnten wir nicht alle unsere Vorstellungen gegenüber dem Senat durchsetzen", sagte er. Das Ergebnis: Buch müsse innerhalb des Bezirks nun die Hauptlast bei der Flüchtlingsunterbringung tragen. "Das wird schwierig", ergänzte Kirchner.
Ohne ehrenamtliche Helfer wäre Berlin in den Hochzeiten der Flüchtlingskrise wohl vollends im Chaos versunken, so die vier Kandidaten. Kirchner: "Sie haben den Ruf der Stadt gerettet." Torsten Kühne geht selbst einmal im Monat zur VHS, um Flüchtlinge zu treffen, die dort Deutsch lernen. Rona Tietje lobte auch das Engagement der Pankower Sportvereine, die eine wichtige Rolle bei der Integration von Flüchtlingen spielten. Oft hätten die Vereine allerdings mit bürokratischen Schwierigkeiten zu kämpfen, etwa, wenn sie Spielgenehmigungen für Flüchtlinge beantragten. "Hier müssen wir unterstützen." Sören Benn schließlich will Flüchtlingshelfer sogar als Quereinsteiger in den Öffentlichen Dienst holen. "Denn das Thema Integration wird uns noch lange beschäftigen." Das war eindeutig der ungewöhnlichste Vorschlag des Abends. Genutzt hat er Benn am Ende aber nur wenig.