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 Etwa 50 Wachdienst-Mitarbeiter sind an der Kaserne im Einsatz, sagt der Heimbetreiber.
© imago/Uwe Steinert

Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne in Berlin-Spandau: Kinder ohne Aufsicht, Autos als Spielzeug

Werkstätten, Büros – und daneben mehr als 1500 Flüchtlinge auf wenig Raum, zum Teil seit einem Jahr. In der Spandauer Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne prallen Welten aufeinander, viele Beteiligte fühlen sich hilflos.

Die Täter waren zu viert, und sie schlugen mit großer Lust. Jedes Mal, wenn ihre Holzstöcke auf die Karosserie des betagten Volvo knallten, strahlten sie. Sie waren zwischen vier und sieben Jahre alt, die Täter. Sie waren Kinder.

Ralf Sternheimer brüllte erst, dann rannte er zu seinem Auto, die Kinder spritzten davon. Der 61-Jährige handelt mit Oldtimern, der Volvo stand vor einer Garage in der Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne, ein paar Meter von Sternheimers Büro weg. Er weiß nicht genau, ob jene Kinder, die er vertrieben hatte, zwei Tage zuvor schon im Einsatz gewesen waren. Da rammten vier Kinder einen abgestellten Pkw-Anhänger gegen ein Garagentor. Bis Sternheimer brüllend eingriff. „Hier“, stöhnt er, „passiert ständig etwas.“

1642 Flüchtlinge aus 18 Nationen

1642 Flüchtlinge leben in der Kaserne in Spandau, aus 18 Nationen. Sie leben in Zimmern mit Doppelbetten und wenig Privatsphäre. Die Kaserne ist eine Notunterkunft, gedacht für kurzzeitigen Aufenthalt. Aber weil Plätze in Gemeinschaftsunterkünften fehlen, „ist mindestens ein Drittel der Leute länger hier als gedacht“, sagt Susan Hermenau, Sprecherin des Betreibers Prisod. „Manche sind seit dem ersten Tag bei uns.“ Also seit ziemlich genau einem Jahr. „Die Kinder haben keinen Spielplatz, klar, dass die sich hier austoben“, sagt Ralf Sternheimer.

Die Kaserne ist ein besonderer Mikrokosmos. Hier erlebt man, was passiert, wenn auf engstem Raum Welten aufeinander treffen. Frustrierte Flüchtlinge prallen auf genervte Gewerbetreibende, die Werkstätten und Büros auf dem Areal haben. Und Wohnhäuser liegen wie ein Ring um die Kasernenmauern. Hier kulminieren Probleme, ohne dass immer klar ist, wer Täter und Opfer ist. Oft erzeugen nur die Umstände Probleme.

Veronika Burger (Name geändert) hat mit ihrem Mann auch eine Werkstatt, sie kommt täglich, aber sie läuft hier nur noch mit starrem Blick oder gesenktem Kopf. Sie hat genug von anzüglichen Gesten und lüsternen Bemerkungen junger arabisch aussehender Männer. Anfang September beobachtete sie eine junge Frau, die vor der Kaserne den Gehweg wechselte. Ein arabisch aussehender Mann hatte ihr eine Obszönität zugerufen.

Klagen über zu viel Müll

Am Ende der Kaserne hat Harald Borkowksy seine Motorrad-Werkstatt. Ein Diplom-Ingenieur mit Nickelbrille und Wohlstandsbauch. „Ich habe Kundinnen verloren“, sagt er. „Sie fühlen sich unwohl, wenn sie den langen Weg zum Eingang laufen müssen.“ Er bekomme ansonsten nicht viel mit, was im vorderen Bereich der Kaserne abläuft. Aber eines bekommt er mit. "Mich stört, dass so viel Müll herum liegt. Die lassen ihre Flaschen fallen, wo sie gerade stehen." Freilich, "im Großen und Ganzen bin ich sehr wenig eingeschränkt, auch wenn die Kinder manchmal etwas aufdringlich sind". Auch Veronika Burger beklagt sich über den Müll, der in der Kaserne immer wieder herumliegt.

Mutter beklagt sexuelle Belästigung ihrer Tochter

Jessica Burnicki hat ihrer 13-jährigen Tochter verboten, direkt an der Kaserne vorbei zu gehen zur Bushaltestelle zu gehen. „Sie wurde von einem arabisch aussehenden Mann an der Kaserne verbal sexuell belästigt.“ Auch Freundinnen ihrer Tochter wechselten jetzt vor der Kaserne die Straßenseite. Jessica Burnicki war oft in der Kaserne, ihr Autohaus liegt genau gegenüber vom Eingang. Ein Teil ihrer Neuwagen stand auf dem Parkplatz in der Kaserne, dort, wo jetzt wuchtige Traglufthallen zwischen Wohn-Gebäuden und Werkstätten stehen. Jessica Burnicki hat miterlebt, wie in der Kaserne Mülltüten und sogar eine Matratze aus dem dritten Stock flogen.

In der Kaserne fahren Autos und Lieferwagen, der normale Alltag, schließlich müssen Gebäude und Gewerbetreibende beliefert werden, oder es kommen Kunden. Und dazwischen, auf den Straßen im Areal, spielende Kinder. Ein großes Problem, sagt Ralf Sternheimer, denn viele Kinder spielten oft ohne und nur unter mangelnder Aufsicht ihrer Eltern. „Da rennen Zweijährige ganz allein herum.“ Die Kinder haben keinen echten Spielplatz, die Werkstätten und abgestellte Autos, kaputte oder auch funktionsfähige, sind natürlich für sie ein Abenteuerspielplatz. Aber ein eminent gefährlicher. „Hier herrscht ja Verkehr, da kann ständig etwas passieren“, sagt Sternheimer.

Viele Beteiligte fühlen sich überfordert

Inzwischen fühlen sich viele Beteiligte nur noch überfordert und hilflos. Jessica Burnicki sagt: „Mir tun die Menschen ja leid, die dort wohnen müssen.“ Sie erzählt mit Wärme, wie sich Nachbarn und Flüchtlinge früher nett begrüßt hätten. Wie sich gegenseitig zugewinkt hätten. Früher, in den ersten Wochen des Heims. Aber jetzt sei alles einfach zu viel.

Dann erzeugen ja auch noch gut gemeinte Gesten Probleme. Eine Anwohnerin, engagierte Flüchtlingshelferin, stellte den Flüchtlingen ihr WLAN zur Verfügung. Die Flüchtlinge konnten nun, auf dem Grünstreifen vor der Kaserne, telefonieren. Das machten sie, selbstverständlich, ausgiebig. Sie machten es allerdings nicht bloß tagsüber, sondern vor allem in den späten Abendstunden. "Da standen dann um 22 Uhr 200 Leuten an der Straße und telefonierten nach Hause", sagt Jessica Burnicki. Ihr Wohnung liegt neben der Kaserne, sie war bald vom Lärm genauso genervt wie andere Nachbarn. Inzwischen ist das Problem behoben, die Flüchtlinge wissen nun, dass es auch in der Kaserne Räume gibt, in denen sie WLAN haben.

Viele Anwohner oder Gewerbetreibende haben ja grundsätzlich Mitgefühl mit der tristen Situation der Flüchtlinge. Auch Bernd Albrecht (Name geändert) sagt: „Ich möchte dort nicht wohnen.“ Mit dem Kinn zeigt er zu den Backsteinbauten, zu den Unterkünften der Flüchtlinge. Albrecht hat seine Autowerkstatt seit 1999 in der Kaserne, ihn wundert es nicht, dass es angesichts der Enge „zu Aggressionen kommt“. Die Polizei hatte hier seit Jahresbeginn 48 Einsätze, darunter vier wegen Körperverletzung und drei wegen Hausfriedensbruchs. Aber nicht immer, das teilt die Polizei auch mit, habe ein Einsatz im Zusammenhang mit Flüchtlingen stattgefunden.

Ein Mechaniker gibt kein Werkzeug an Kinder

Albrecht jedenfalls hat eine klare Linie: „Ich gebe Kindern kein Werkzeug und pumpe keine Reifen auf. Wenn Du einmal nachgibst, hast Du nie mehr Ruhe.“ Albrecht hat eine schwarze Baseballkappe verkehrt herum auf seine blonden Haare gedrückt, er zeigt wieder mit dem Kinn, allerdings diesmal zu einer Werkstatt ein paar Meter weiter. "Ich habe es doch bei meinem Nachbarn gesehen. Der hat geholfen, der ist zwei Stunden nicht mehr zum Arbeiten gekommen." Und Veronika Burger erzählt von einem Automechaniker, der im April seine Werkstatt endgültig geschlossen hat. "Der hatte gesagt, er habe die Nase voll von diesem Theater hier."

Ralf Sternheimer ist nicht Albrechts Nachbar, aber auch er hat oft aufgepumpt, er hat sogar Räder repariert. Aber irgendwann sagte er mal nein, weil ihm das alles zu viel wurde. Danach tauchte ein Jugendlicher vor seiner Werkstatt auf und schwang durchaus drohend eine Fahrradkette. Veronika Burger sagt seufzend. „Da sind auch einfach zu wenig Sicherheitsleute da.“

50 Sicherheitsleute arbeiten pro Schicht

Pro Tag- und Nachtschicht, sagt Prisod-Sprecherin Hermenau, „sind 50 Security-Mitarbeiter da“. Reicht das? Oft ist die Antwort darauf eine Frage des persönlichen Empfindens. Susan Hermenau zählt eine Liste von Maßnahmen auf, mit denen das Kasernen-Leben gestaltet werden soll. Jeder Flüchtling muss eine Hausordnung unterschreiben. Es ist eine Liste mit klaren Punkten: Alkohol- ,und Rauchverbot, Pflicht zur Sauberkeit, Verbot von unmäßigem Lärm, das sind ein paar der Punkte. Müll muss in Mülltonnen entsorgt werden, wenn jemand dabei gesehen werde, dass er Müll einfach so auf dem Gelände entsorgt, werde er aufgefordert, den Dreck wegzuräumen. "Das klappt in der Regel ganz gut", sagt sie. Und Matratzen, die aus dem Fenster fliegen, "finden wir nicht lustig. Außerdem ist es ja unser Eigentum." Und natürlich sieht auch der Betreiber die Gefahr durch den Verkehr. "Wir machen den Leuten schon klar, dass sie hier nicht auf einem afghanischen Dorfplatz sind", sagt die Sprecherin. Eine Verkehrsschule informierte über Regeln im Straßenverkehr, Kindern wird die rote Ampel erklärt.

Bei drastischem Fehlverhalten gibt es Hausverbot

Wer negativ auffällt, kann eine Abmahnung erhalten. Oder er muss, bei drastischem Fehlverhalten, "mit der größten Strafe rechnen" (Hermenau): dem Hausverbot. "Das haben wir schon ordentlich erteilt." Wie viele Hausverbote genau Prisod ausgesprochen hat, konnte sie nicht sagen. Bei heftigen Aggressionen zum Beispiel, muss der Bewohner die Kaserne verlassen. Und bei Bedarf, klar, rufe man die Polizei. Von den sexuellen Belästigung habe der Betreiber "bisher nur als Behauptung gehört". Aber "wir sind darauf angewiesen, dass wir konkrete Hinweise erhalten". Dann werde natürlich auch die Polizei eingeschaltet. "Da geht es ja um den Vorwurf einer Straftat."

Doch Hermenau sagt auch, grundsätzlich, dass irgendwann und irgendwo die Verantwortung eines Betreibers ende. "Die Aufsichtspflicht über die Kinder haben die Eltern." Und diese Eltern "sind erwachsene Menschen, wir begegnen ihnen auf Augenhöhe. Wir können sie nicht bevormunden."

Dass sie eine Aufsichtspflicht über ihre Kinder haben, ist aber wohl vielen Flüchtlingen nicht klar. Vor seiner Werkstatt sagt Bernd Albrecht: „Irgendwann passiert hier ein schrecklicher Unfall. Und Opfer ist dann ein Kind.“

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