Flüchtlinge in Berlin reparieren Fahrräder: Kettenfett für die Völkerverständigung
In einer Kreuzberger Werkstatt machen Asylbewerber und Ehrenamtliche kaputte Fahrräder straßentauglich. Nicht nur die Zweiräder erleichtern den Alltag der Flüchtlinge. Ein Besuch.
Eine unscheinbare Hofeinfahrt in Berlin-Kreuzberg: Zwischen einer Shisha-Bar und einem Spätkauf in der Skalitzer Straße 100 befindet sich der „werkstatttraum e. V. (ttt)“, ein zehnköpfiges Wohnprojekt mit Atelierräumen für Künstler aus aller Welt. Hier findet „The International Bike-Workshop“ statt. Hinter dem langen, dunklen Eingang voll Fahrräder und Sperrmüll verbirgt sich ein bewachsener Hinterhof. Bottiche und Töpfe mit Pflanzen stehen auf Holzbänken, ein weißes Tuch schützt vor Sonne und Regen. Ein Patio inmitten des Großstadtbetons. "Hein" ist hier bereits bei der Arbeit: Zusammen mit einem Mann aus Afghanistan werkelt er an einem umgedrehten Fahrrad, die Kette muss ersetzt werden, Licht und Schaltung repariert, außerdem brauchen sie ein neues Vorderrad. „Das ist noch viel Arbeit“, sagt Chrille Hein, der seine Fahrradwerkstatt seit April 2014 im Schuppen des Hinterhofes hat.
„Hell Yes! re-Cycling“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, fahruntüchtige Fahrräder dorthin zu bringen, wo sie hingehören: auf die Straßen von Berlin. Anfang des Jahres entstand eine Zusammenarbeit mit dem Verein „Über den Tellerrand kochen“, und an diesem Sonnabend reparieren sie gemeinsam mit dem Verein „Rückenwind – Fahrräder für Flüchtlinge“ und vielen Flüchtlingen Fahrräder.
Rafael Strasser, einer der Gründer von „Über den Tellerrand kochen“, erklärt: „Wir möchten, dass Berliner und Flüchtlinge besser zueinander finden.“ Dabei sei eine richtige Gemeinschaft entstanden: Hauptsächlich über WhatsApp und SMS in einem Mischmasch aus Deutsch, Englisch, Arabisch und Französisch kommunizieren sie miteinander und verabreden sich zu gemeinsamen Treffen und Veranstaltungen - eine von vielen Initiativen, in denen Berliner sich um Flüchtlinge bemühen.
Lampen und Limo, alles gespendet
Die Teilnehmer der Fahrradwerkstatt leben vor allem in einer ehemaligen Schule in der Levetzowstraße in Moabit, aber auch in einem zum Heim umfunktionierten ehemaligen Hotel in Adlershof. Die Fahrräder hat „Rückenwind – Fahrräder für Flüchtlinge“ gesammelt, hauptsächlich auf der Fahrradmesse „Velo-Berlin“. Über 100 Leute spendeten Fahrräder und Ersatzteile, erzählt Luis Ebert. Dazu kamen 40 Schlösser von Firmen. „Wir sind natürlich auf Spenden angewiesen. Fahrradlichter benötigen wir dringend“, sagt der 22-jährige Politikstudent. Die Flüchtlinge können sich eines der Räder aussuchen und bei den Bike-Workshops straßentauglich machen.
Einer von denen, die immer wieder zu den Treffen und Veranstaltungen kommen, ist Moder El Sheich. Er ist 30 Jahre alt und seit einem Jahr und zwei Monaten in Deutschland. Für den Fahrrad-Workshop ist er extra nach Berlin gekommen. In Hamburg wohnt er so weit außerhalb, dass er dort „nichts machen kann“. Deswegen ist er häufig bei seinem Bruder in Berlin. „Hier ist das Netzwerk besser, ich lerne Leute kennen, Deutsche und welche aus der Heimat“, sagt der 30-Jährige mit dem Vollbart.
Mit gefälschtem Pass nach Deutschland
Moder hat insgesamt 5000 Euro für seine Flucht aus Syrien gezahlt. An der Grenze zur Türkei haben Soldaten in die Luft geschossen, um die Gruppe Flüchtlinge abzuhalten, aber sie seien einfach weitergelaufen. Um nach Bulgarien zu kommen, hat eine Schlepperbande 1000 Euro pro Person verlangt, vier Tage waren sie ohne Essen, um im richtigen Moment über die Grenze zu schleichen. In Bulgarien hat Moder einen gefälschten Pass aus Dänemark bekommen, mit dem er über Budapest nach Deutschland kam. Jetzt hat er eine Aufenthaltsgenehmigung, arbeitet als Koch und sucht eine Wohnung in Berlin. Über das Netzwerk in Berlin ist er sehr froh. „Wie soll ich sonst Leute treffen“, sagt er. Für die „Community“ ist er sehr wichtig, da er aus dem Arabischen ins Deutsche übersetzen kann.
Um 14 Uhr ist der Hinterhof voll mit Fahrrädern und werkelnden Menschen, seichte Elektro-Musik in der Luft. Auf dem Buffettisch stehen Bouletten, Schnitzel, gebratene Zucchini und Erdbeerkuchen. Dazu drei Kästen Limonade, ebenfalls gespendet. Insgesamt 25 Flüchtlinge hatten sich ein Fahrrad ausgesucht, alle sind zum Workshop gekommen. Zwanzig Helfer gehen ihnen zur Hand bei den Reparaturen. „Ich schraube einfach gerne an Fahrrädern“, sagt ein 42-jähriger Kreuzberger, das Gesicht schon voll mit Schmierfett. Zusammen mit einem 20-jährigen Mann aus Pakistan versucht er, ein Hinterrad abzumontieren. Hinzu kommt eine junge Frau, die noch nicht lange in Berlin lebt. Sie möchte Flüchtlinge zu einem gemeinsamen Essen in ihrer Wohnung einladen, „irgendwann im Juni“. Der junge Pakistani und der Mann aus Kreuzberg sagen zu.
Die Rahmennummer schützt vor der Polizei
Gegen 16 Uhr haben die ersten Flüchtlinge fertige Fahrräder. Nun bekommen sie noch eine Schenkungsurkunde ausgehändigt. Es werden Rahmennummer und Datum der Übergabe notiert. Sollten sie mal von der Polizei angehalten werden, kann „Rückenwind“ belegen, dass es sich nicht um ein geklautes Fahrrad handelt.
Peter Zschiesche, einer der Gründer des Wohnkollektivs, erzählt, dass beim ersten Workshop nicht alle Flüchtlinge sicher mit dem Rad vom Hof gefahren sind. Diesmal gibt es keine Fahranfänger. Drei Männer aus Afghanistan freuen sich über ihre neue Mobilität: „Ich bin heute so glücklich. Danke, liebe Leute“, sagt Haschemi Ali, 20 Jahre alt und seit fast zwei Jahren in Deutschland.
Mit seinen Freunden Zabih-Schaiwani und Mohammad, die beide seit mehr als drei Jahren in Deutschland leben, schiebt er stolz sein Fahrrad vom Hof. Auch sie haben sich für die große Fahrradtour zum Müggelsee angemeldet: Am 10. Mai 2015 geht es los. Jeder ist herzlich eingeladen, mitzufahren.
Wer Fahrräder und Ersatzteile spenden oder sich anderweitig an den Aktionen beteiligen möchte, erreicht "Rückenwind - Fahrräder für Flüchtlinge" unter der Telefonnummer 030/52663551. Der Verein "Über den Tellerrand kochen" hat die Nummer 0176 27990332 und befindet sich in der Muskauer Str. 24 in 10997 Berlin.
Dieser Artikel erscheint im Kreuzberg-Blog, dem hyperlokalen Online-Magazin des Tagesspiegels.