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Unter Bewachung. Das Gebäude der Gerhart-Hauptmann-Schule dient Flüchtlingen weiter als Unterkunft.
© dpa/Felix Zahn

Asyl in Berlin-Kreuzberg: Flüchtlinge harren in Gerhart-Hauptmann-Schule aus

Die Heizung streikt, und die Dusche ist kaputt: In der Hauptmann-Schule harren weiter Flüchtlinge aus. Wie viele Menschen es sind, ist nicht ganz klar. Nur eines steht fest – ihre Zukunft ist ungewiss.

Mit federnden Schritten kommt der junge Mann über den Hof der einstigen Schule. Ein kurzes Nicken zu einem der  Sicherheitsmänner  am verschlossenen Einlasstor; dieser öffnet und lässt den Mann raus. Sofort wird das Tor wieder verschlossen. Es ist kalt, Nally, schwarzes Basecap mit dem Schriftzug „Brooklyn“ unter der  hochgezogenen Kapuze des Hoodies, blickt einmal kurz zur Seite und  tritt dann auf die Ohlauer Straße. Seinen Nachnamen will er nicht nennen. Er hat es eilig, er ist auf dem Weg zu Freunden.  Zum  Quatschen und zum Essen.   

Nally ist einer der Bewohner in der seit mehr als zwei Jahren besetzten Gerhart-Hauptmann-Schule. Er gehört zu den Flüchtlingen, die sich im Sommer nicht auf den Deal mit dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg einlassen wollten, nach dem sie einen Heimplatz und ein Verfahren bei der Ausländerbehörde bekommen sollten. Die überwiegende Zahl der Bewohner nahm das Angebot damals an; Nally und andere blieben. Spektakulär war der Protest einiger der übriggebliebenen Flüchtlinge: Sie demonstrierten auf dem Dach, drohten, herunterzuspringen, sollte man die Schule räumen wollen. Tagelang sicherte ein riesiges Polizeiaufgebot die Gegend rund um das Gebäude. Bis schließlich der Bezirk kapitulierte und den verbliebenen Flüchtlingen zusicherte, bleiben zu können.

Für Nally war damals klar, sich nicht auf das Verfahren mit der Ausländerbehörde einzulassen. Er misstraute dem Amt: „Nie hätten sie mir das Recht gegeben, in Berlin zu leben.“ Und in der Tat sind so gut wie alle Fälle aus der Gerhart-Hauptmann-Schule wie auch vom Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz, das schon ein Vierteljahr vorher geräumt worden war, negativ beschieden worden. 576 Verfahren gab es: Nur drei Flüchtlinge erhielten laut einem Sprecher der Innenverwaltung eine Aufenthaltserlaubnis. In rund einem Dutzend Fällen wird schließlich noch aus medizinischen Gründen - beispielsweise wegen einer Traumabehandlung - eine Duldung gewährt.

Der 23 Jahre alte Mann aus Togo, der in Libyen als Gastarbeiter auf Baustellen arbeitete und von dort nach Europa flüchtete, hatte in Italien Aufenthaltspapiere bekommen. Aber dort war ihm mehr oder weniger deutlich beschieden worden, damit schnell das Land zu verlassen und nach Deutschland zu gehen. In Kreuzberg, in der Hauptmann-Schule, kam Nally vor acht Monaten an. Ein vom Bezirksamt ausgegebenes scheckkartengroße Plastikkärtchen sichert ihm den Zutritt zur Schule.

Wie viele Flüchtlinge  dort derzeit leben, ist nicht ganz klar: Laut  Bezirksamt sind es  40 Menschen: 25 Flüchtlinge ohne Aufenthaltsstatus, 15 mit Papieren aus Italien so wie bei Nally. Dieser sagt, es seien höchstens 18, 19. Dreckig sei es und ziemlich kalt, weil die Heizung nicht richtig arbeite. Dabei hatte der Bezirk noch um die Jahreswende einen Installateur ins Haus geschickt. Die Dusche funktioniere auch nicht, und die Toilette sei einfach nur eklig, sagt Nally. Einige der Mitbewohner seien einfach schräg drauf.

Im Dezember hat sich das Bezirksamt mit Hilfe der Polizei Zutritt zur Schule: Barrikaden wurden beseitigt, Fluchtwege von Gerümpel befreit und das Dach von möglichen Wurfgegenständen gereinigt sowie der Zugang dorthin gesperrt.

Bereits im Herbst hatte der Bezirk beschlossen, dass die Flüchtlinge die Schule verlassen sollten. Zu viel war vorgefallen: Wachleute waren verletzt worden, auch Polizisten, Waffen waren in der Schule gelagert worden. Das kleinere Übel waren noch die lauten Partys, die Flüchtlinge mit ihren Besuchern feierten und die immer wieder zu Beschwerden und Anzeigen von Anwohnern führten. Das alles hatte Konsequenzen: Der Wachschutz wurde aufgestockt, Besucher werden nur noch sehr vereinzelt eingelassen. Die Polizei fährt mit einem Streifenwagen regelmäßig vorbei und  hält Kontakt zum Sicherheitsdienst. Seit Juli wurden im Zusammenhang mit der Schule 186 Strafanzeigen geschrieben, die aber nicht unbedingt nur die Bewohner betreffen, sondern auch Freunde und Unterstützer. In der Regel geht es um Beleidigung, Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung. Die letzte Anzeige gab es es am vergangenen Freitag.

Wachschutz kostet etwa 150.000 Euro

Die Sicherheit ist ein finanzielles Problem für die Bezirkskasse. Permament ist der Wachschutz mit mehreren Mitarbeitern – allein an diesem Morgen sind es vier Männer – anwesend – rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Das kostet. Zwischen 140.000 und 160.000 Euro muss der Bezirk dafür aufbringen. 

Aber räumen lassen kann er die Schule nicht. Vor Gericht haben die Flüchtlinge in einem Eilverfahren erstritten, vorerst in der Schule bleiben zu können. Die endgültige Entscheidung des Gerichts steht noch aus. Drei Klagen sind beim Verwaltungsgericht anhängig.

Finanzielle Hilfe bekommen die Flüchtlinge seit September nicht mehr. Sie sind darauf angewiesen, was Unterstützer ihnen mitbringen.  Was die Zukunft ihm in Berlin bringen wird? Er weiß es nicht. Deutsch würde er gerne lernen, hat aber kein Geld. Aber für ihn komme es nie in Frage, so wie manche seiner Mitbewohner Drogen im Park zu verkaufen, sagt er. Nally hat Freunde, die auf einem Boot am Treptower Park wohnen. Dort verbringt er viel Zeit; dort bekommt er auch zu essen.  Sie gehören zu denen, die dafür sorgen, dass er in Berlin bleiben kann. Er zieht die Kapuze ein wenig tiefer ins Gesicht gegen die Kälte und geht los. 

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