Die Karriere von "Typ Pankow": Ein Würfel für die halbe Welt
Als die DDR noch auf diplomatische Anerkennung hoffte, wurde ein Architekt beauftragt, ein Mustergebäude für Botschaften zu entwerfen. Heraus kam der „Typ Pankow“. In Pankow ist er noch überall präsent - und er trifft jetzt wieder voll den Zeitgeschmack.
Wer sich die in Pankow in den vergangenen Jahren zahlreich entstandenen Villen und Einfamilienhäuser anschaut, kann ins Grübeln kommen. Da tätigen Menschen die Investition ihres Lebens, um sich ihre Vorstellung vom individuellen Traumhaus zu erfüllen, und am Ende sehen sich die Resultate zum Verwechseln ähnlich. Am Kubus nach Bauhaus-Art scheint derzeit kein Weg vorbeizuführen. So unverwüstlich sich dieser Stil auch gibt – in Zukunft wird man die Bauten recht präzise der Zeit ihres Entstehens zuordnen können.
Würfel in Reinform
Das Bauwesen der DDR war da konsequenter. So wurde zum Beispiel „Typ Pankow“ – eben darin Typ respektive Typenbau – über dreißigmal reproduziert, mit feinen, aber kleinen Abweichungen. Trifft der Begriff Würfel auf andere Flachdachbauten eher in metaphorischem Sinne zu, dann auf Typ Pankow im buchstäblichen. Mit seinen stattlichen Abmessungen von zwölf mal zwölf Metern an der Fassade entspricht der Entwurf des Architekten Eckart Schmidt dem geometrischen Körper in Reinform.
Von der Botschaft zum Wohn- und Bürogebäude
Ursprünglich als Botschaftsgebäude konzipiert, fielen etliche Ableger nach der Wende einem Dornröschenschlaf anheim. Inzwischen haben Immobilienboom und Zeitgeschmack den Pankower Würfel wieder eingemeindet, und mit ein bisschen frischer Farbe kann er seine ursprüngliche Mission glatt vergessen machen. Doch das wäre schade, denn Typ Pankow ist ein sprechendes Zeugnis seiner DDR-Vergangenheit, in politischer wie in ästhetischer Hinsicht. Er verkörpert das Muster eines villenartigen Repräsentationsgebäudes, für das es sonst in der eingeebneten Gesellschaft des real existierenden Sozialismus kaum Verwendung gab.
Mit der Anerkennungswelle der DDR machte "Typ Pankow" Karriere
Eckart Schmidt war gerade 30 Jahre alt, als er 1966 vom Dienstleistungsamt für ausländische Vertretungen den Auftrag erhielt, ein Botschaftsgebäude für die diplomatische Vertretung Jugoslawiens in Berlin zu entwerfen. Die DDR suchte nach diplomatischer Anerkennung, doch die war in Zeiten des Kalten Krieges und eines westlichen Berührungsverbots auf den harten Kern des sozialistischen Lagers beschränkt. So blieb es auch für Typ Pankow zunächst bei einer Kleinauflage. Das sollte sich Anfang der siebziger Jahre mit dem Grundvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten und der Aufnahme der DDR in UN-Organisationen ändern. Auf einmal brach eine wahre Anerkennungswelle über das Land herein – und in der Folge die Hochzeit des Typ Pankow. Am Ende residierten Länder wie die Schweiz, Finnland, Belgien, Indonesien, Brasilien oder Tunesien in Schmidts Würfel.
Einige Länder sind dem Würfel und Pankow treu geblieben
Nach dem Umzug des gesamtdeutschen Regierungssitzes nach Berlin wurde eine kleine Anzahl der Gebäude wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zugeführt, auch wenn sich die Liste der Nutzer etwas weniger prominent liest als ehedem: Kuba, Ghana, Kap Verde, Eritrea, die Republik Moldau sowie Bosnien und Herzegowina residieren in einem Karree nördlich der Bornholmer Straße quadratisch-praktisch und nehmen die größere Distanz zum Regierungsviertel angesichts der günstigen Überlassungskosten in Kauf.
Aus der Not geboren
Architekt Schmidt orientierte sich beim Volumen seines Entwurfs an der vorhandenen Villenbebauung am Heinrich-Mann-Platz, für den die ersten Bauten vorgesehen waren. Dass er eine moderne Formensprache wählte, geschah zunächst weniger aus Verbundenheit mit der Bauhaus-Schule, auf die man sich in der frühen DDR besser nicht berief. Schließlich hatte sie Machthaber Walter Ulbricht Anfang der fünfziger Jahre als „waschechtes Kind des amerikanisches Kosmopolitismus“ geschmäht. Für das Flachdach gab es praktische Gründe: „Für Satteldächer hätten wir gar keine Zimmermannskapazitäten gehabt", erinnert sich Schmidt, mittlerweile 78 Jahre alt und in Ladeburg bei Bernau wohnhaft.
Praktischer Mangel
Auch die Breite der beiden mit einem Korridor verbundenen Haushälften war technisch verursacht: Das Berliner Wohnungsbaukombinat konnte monolithische Decken nur bis zu einer Spanne von 4,75 Metern einziehen. So scheint sich Typ Pankow ein Stück weit von selbst konstruiert zu haben. Das kam Schmidt insoweit entgegen, als er für den Entwurf ohnehin nicht viel Zeit bekommen hatte und ihn „eben mal schnell irgendwo dazwischenschieben“ musste.
Experimente an der Fassade
Doch bei aller geometrischen Klarheit und technischen Zwangsläufigkeit – angemessen repräsentativ sollte der Botschaftswürfel schon wirken, und so wurde am Dekor nicht gespart. An der Fassade kamen Sichtbeton und brauner Spaltklinker aus einer Dresdner Ziegelei zum Einsatz. Das war, gemessen am DDR-Standard, verschwenderisch, führte aber dazu, dass die ersten Würfel noch etwas unentschlossen zwischen Tradition und Moderne changierten. Schierer Luxus war schon die Bauweise selbst: Ein Plattenbau ist Typ Pankow nicht, auch wenn ihm das Betrachter oft unterstellen, sondern klassisch-handwerklich gemauert.
Zu sich selbst gefunden
So richtig zu sich selbst fand der DDR-Würfel erst in den späteren Ausbaustufen, gekennzeichnet durch die Nummerierung Typ Pankow II und III. Die Anerkennungswelle hatte den Druck auf die Baukosten erhöht. Da Schmidt wie immer gerade etwas anderes zu tun hatte, widmete er sich dem Problem nach Feierabend im Rahmen des sogenannten Neuererwesens, eines in der DDR institutionalisierten und mit Prämien dotierten Verfahrens zur Entwicklung von Verbesserungsvorschlägen.
Der Architekt blieb seinem Objekt treu
Im Zuge der Überarbeitung wurde aus Klinker Putz und aus dem vormaligen Souterrain ein vollwertiges drittes Stockwerk. Die seitlichen Balkone wurden gestrichen, dafür durchbrachen nun großzügige Fenster die zunächst fast geschlossene Fassade. Im Ergebnis war Typ Pankow zweckmäßiger und billiger geworden. Während Architekten Sparmaßnahmen üblicherweise als Hochverrat an ihren Ideen werten, scheint es bei Eckart Schmidt genau umgekehrt gewesen zu sein. Seine Verbundenheit mit Typ Pankow wuchs durch die Eingriffe eher noch: „Das war ja auch der Ansatz des Bauhauses: zugleich reiner und rationeller zu bauen“, sagt er heute stolz.
Immer mehr Bauhaus
Nicht zuletzt sah Typ Pankow durch weißen Edelkratzputz nun auch mehr nach Bauhaus aus, auch wenn die Luftverschmutzung bald ihr Werk begann und dem leuchtenden Zuckerwürfel ein DDR-typisches Tarnkleid überstülpte. Kandiszucker traf es am Ende mehr.
Ein wahres Raumwunder
Im Inneren war Typ Pankow mit seinen 450 Quadratmetern Nutzfläche schon immer multifunktional. Mal diente er als Botschaft im administrativen Sinne, mal als Residenz des Botschafters, mal als Kombination aus beidem. Diese Möglichkeit, Leben und Arbeit angesichts üppiger Platzverhältnisse in einem Gebäude verbinden zu können, hat nach der Wende Freiberufler wie etwa Ärzte oder Rechtsanwälte veranlasst, sich des Relikts aus sozialistischen Zeiten anzunehmen. Eine andere Eigentümergemeinschaft hat die drei Geschosse abgetrennt und die entstandenen, immerhin noch je 150 Quadratmeter großen Wohnungen durch eine äußere Freitreppe erschlossen – auch das erträgt Typ Pankow würdevoll.
Nach der Wende unter dem Hammer
Die Würfel waren nach dem Ende der DDR in den Besitz der Bundesrepublik Deutschland übergegangen und wurden ab der Jahrtausendwende einzeln oder in kleineren Gruppen von der Oberfinanzdirektion Berlin versteigert. Chance auf Zuschlag hatten seinerzeit Gebote ab 600.000 Mark – Preise, von denen Interessenten heute nur träumen können.
Bei Architekten noch immer beliebt
Eckart Schmidt hat mit den Umbauten nach der Wende nichts mehr zu tun gehabt. Das haben andere Architekten übernommen – nicht selten, um dann selbst in das Gebäude einzuziehen. Insgesamt hat der Würfel aber weniger einschneidende Umbauten zu erdulden gehabt als der flachere und ungeschlachtere „Typ Magdeburg“, der ebenfalls als Botschaftsresidenz zum Einsatz kam, in dem aber, unweit des Majakowskirings, kurzzeitig auch Egon Krenz wohnte.
Die letzen Originale
Ecke Waldstraße/Kuckhoffstraße in Niederschönhausen haben sich noch zwei Exemplare von „Typ Pankow“ im weitgehenden äußeren Originalzustand erhalten, einschließlich der beiden Fahnenstangen im Vorgarten. Das Bard College Berlin, eine private Hochschule, nutzt sie seit Jahren als Wohnhaus für seine Studenten. Direkt gegenüber, abgegrenzt durch die Anliegerstraße „Am Konsulat“, standen früher noch mehr der Würfel. Sie mussten dem Neubau einer mediterran inspirierten Reihenhaussiedlung weichen. Vom Bauhausstil sind diese in Pastellgelb und -rosa gehaltenen Häuschen denkbar weit entfernt. Architekt Schmidt sieht es indessen ohne Groll. Zum einen haben ja noch genügend seiner Würfel überlebt, zum anderen wohnt in der Siedlung inzwischen sein Sohn samt Familie.
Tobias Wiethoff