Vertretungsgebäude in Berlin: Der Bau ist die Botschaft
Nächste Woche eröffnet die neue türkische Vertretung. Ein Architektur-Rundgang durch Berlins diplomatisches Viertel zeigt: Sie erweitert eine Gebäudesammlung, die vielgestaltiger kaum sein könnte.
Berlin hatte Glück. Die Stadt wurde zu jenem Zeitpunkt wieder Hauptstadt des Landes, als die Botschaftsarchitektur eine Blütezeit erlebte. Botschaften sind heute weit mehr als dröge politische, wirtschaftliche und militärische Verwaltungs- und Kontaktstellen. Es sind zuweilen aufwendige Aushängeschilder des jeweiligen Landes, seiner Kultur, Traditionen und Werte – kurz, seiner nationalen Identität. So ist Berlin nach der Wiedervereinigung um eine internationale Bauausstellung bereichert worden, die weltweit einmalig ist. Als nächster diplomatischer Neubau wird nun am 30. Oktober die neue türkische Botschaft in der Tiergartenstraße eröffnet.
Ebenso wie ihr indischer Nachbar wurde sie von einem Berliner Architekten entworfen – und nicht wie üblich von einem Landeskind. Zeitgenössische Botschaftsarchitektur hat ja nicht nur die Aufgabe, das jeweilige Land zu repräsentieren. Sie setzt auch ein Zeichen im Kontext der Gastgeberstadt, ist stadtbildprägend und bewirbt das Land nicht zuletzt als Ziel von Reisen und Investitionen.
Wenn die Architektur der Botschaft selbst zum Botschafter werden soll, können Farben, Formen und Materialien Atmosphären und Aussagen transportieren: Die Botschaften von Norwegen, Kanada, Israel und nun auch der Türkei stellen unter Beweis, dass der weite Transport von charakteristischen Steinen sich lohnen kann: Granit aus den norwegischen Fjordlandschaften, Kalkstein aus der Türkei und dem kanadischen Manitoba oder der leuchtend gelbe Naturstein aus Jerusalem prägen nun Berliner Fassaden. Bisweilen bringen Botschaftsgebäude neben politischen Ambitionen auch eine gemeinsame Vergangenheit mit dem Gastgeberland zum Ausdruck. So haben Japan, Italien und Spanien sich entschlossen, ihr Nazi-Erbe nicht zu verdrängen, sondern sich ihm zu stellen und ihre Bauten aus den dreißiger Jahren produktiv umzuwidmen.
Mehr als hundert Länder unterhalten diplomatische Vertretungen in Berlin, knapp drei Dutzend davon in Neubauten – zuletzt der Iran, Slowenien und Singapur. Nur wenige Nationen sind mit ihren Vertretungen in Bonn geblieben, wo sich nach wie vor der Hauptsitz des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung befindet. Andere Berliner Bauten sind noch in Planung, etwa für Griechenland, Polen, Portugal und Indonesien.
Ehemals sozialistische Länder wie Ungarn wiederum hatten es eilig, nach der Wende ihre Ost-Berliner Botschaft zu verlassen und sich mit neuen architektonischen Visitenkarten zu präsentieren. Russland oder die Tschechische Republik hingegen sind in den sozialistischen Gebäuden geblieben, die einst der Sowjetunion und der Tschechoslowakei dienten. Und die drei ehemaligen Westmächte Frankreich, Großbritannien und USA haben sich rund um den Pariser Platz in repräsentativen, symbolisch codierten Neubauten eingerichtet. So findet sich die Fassade der Französischen Botschaft mit ihren diagonalen Fensterlaibungen vis-à-vis dem Brandenburger Tor, durch das einst Napoleon paradierte, während der große Schlitz in der Platzfassade der amerikanischen Botschaft exakt am 4. Juli, dem Nationalfeiertag der USA, um 12 Uhr mittags das Sonnenlicht auf das star spangled banner lenkt, so dass es „zu glühen beginnt“.
Tragisch ist allerdings, dass die US-Botschaft sich wegen der strengen Sicherheitsmaßnahmen wie eine veritable Festung direkt neben dem Brandenburger Tor ausnimmt. Das Architekturbüro Moore Ruble Yudell wollte das Gebäude eigentlich als „Symbol einer offenen Gesellschaft“ verstanden wissen. Auch bei der britischen Botschaft gleich um die Ecke kann man sich der Anmutung eines Bollwerks kaum erwehren.
Fantastische Interieurs, süßliche Postmoderne: Die Berliner Botschaftswelt ist vielfältig.
Ein gutes Gegenbeispiel ist die im Jahr 2000 eröffnete Botschaft von Mexiko in der Klingelhöferstraße in Tiergarten, deren fantastische Interieurs von jedem Interessierten ohne Voranmeldung und Sicherheitskontrolle besucht werden können. Ein fabelhafter Ausweis von Gastfreundschaft, den sich Mexiko trotz Drogenkrieg im Land selber leisten kann: Anders als die Amerikaner müssen die Mexikaner keine Anschläge fürchten. Architekt Teodoro Gonzaléz de Leon ist ein Meisterwerk gelungen, ein Gebäude, das in seiner Ästhetik nicht auf den spanischen Kolonialismus zurückgreift, sondern die monumentale Bauweise der indigenen Völker Mexikos in eine moderne Architektursprache übersetzt.
Zu den gelungenen Neubauten gehören auch die nahe gelegenen Botschaften der nordischen Länder, gleich nebenan Ecke Rauchstraße, und die Vertretung der Niederlande in Rem Koolhaas’ vielgeschossig gewundenem Trajekt in der Klosterstraße in Mitte. Selbst Zwergstaaten wie der Vatikan demonstrieren eindrucksvoll, wie Architektur Ideen Ausdruck verleihen kann: Die Apostolische Nuntiatur in der Neuköllner Lilienthalstraße, entworfen von Dieter Georg Baumewerd, wirkt wie die Übertragung der benachbarten neoromanischen Johannes-Basilika – Berlins größter katholischer Kirche – auf Karopapier.
Neben der süßlichen Postmoderne Österreichs und staubtrockenen Entwürfen wie der minimalistischen Botschaft der Schweiz wurde Berlin im Zuge der Hauptstadtwerdung auch mit Märchenpalästen aus tausendundeiner Nacht ausgestattet. Die Botschaften von Katar, Oman und den Vereinigten Arabischen Emiraten mischen Folklore-Architektur mit einer Moderne nach dem Geschmack der Nouveau Riche.
Nicht nur der Baustil, auch die Lage in der Stadt ist oft charakteristisch. Während Israels neue Vertretung sicherheitsbedingt als Solitär in der Auguste-Viktoria-Straße in Grunewald residiert, passt sich die Botschaft Kanadas als Stadtbaustein und freundlicher Nachbar in den Blockrand am Leipziger Platz ein und lädt zum Spaziergang geradewegs durch das Gebäude hindurch.
Der Neubau der türkischen Botschaft charakterisiert das Land als Brücke zwischen Europa und Anatolien. Lage und Größe des Baugrundstücks entsprechen der Rolle, die die Türkei für Deutschland und Deutschland für die Türkei spielt, handelt es sich doch um die größte Botschaft, die je in der türkischen Geschichte gebaut worden ist. Architekt Volkmar Nickol will seinen mit Felipe Schmidt und Thomas Hillig erarbeiteten Entwurf ebenfalls symbolisch verstanden wissen: Wie die Meerenge des Bosporus Europa von Asien trennt, so findet sich im Neubau eine große gläserne Passage zwischen zwei Bauteilen, dem „Palast“ und der „City“. Der kubische „Palast“ dient repräsentativen Zwecken, ist Metapher für „kulturelle Werte, Stolz und Gastfreundschaft des türkischen Volkes“. Im Bürotrakt nebenan ist Platz für 100 Mitarbeiter; der Gebäudeteil zur Hildebrandstraße symbolisiert Nickol zufolge die „Offenheit zum westlichen Wertekanon“. Den Eingang markiert ein riesiges Kupferportal, das L-förmige Foyer führt in einen abgesenkten Paradiesgarten.
Die Fassade entlang der Tiergartenstraße ist mit traditionellen Girih-Kacheln geschmückt. Das Ornament als Zeichen: Nickols wollte „ein modernes, europäisches Haus mit historischen Wurzeln“ schaffen; seine Architektur steht im Spannungsfeld zwischen Gegenwart, türkischer und osmanischer Tradition.
Für die mehr als 200 000 Berliner mit türkischem Pass oder türkischen Wurzeln dürfte das identitätsstiftende Gebäude jedoch eher selten ein Anlaufpunkt sein. Das eigentliche Konsulat bleibt in Westend. Ein Grund mehr, mal wieder einen Sonntagsspaziergang ins Botschaftsviertel zu unternehmen, wo der türkische Neubau den Schlussstein setzt in Berlins architektonischer Perlenkette des Corps Diplomatique.
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