Streit um den Mauerpark: "Die Kultur verdrängt die Kriminalität"
Der Aktivist Alexander Puell will den Mauerpark davor bewahren, eine ganz normale Grünfläche zu werden – und warnt vor zu strengen Regeln. Ein Interview.
Alexander Puell ist der Vorsitzende des Vereins "Freunde des Mauerparks", der sich für die vielfältige Nutzung der weltbekannten Grünfläche einsetzt. Er ist 44 Jahre alt und Kommunikationsdesigner.
Herr Puell, Sie wohnen direkt am Mauerpark. Können Sie nachts schlafen?
Ich wohne im Hinterhaus und habe so weder was vom schönen Ausblick noch von der Geräuschkulisse. Nachts schlafe ich gut und am Tag bin ich oft im Park und kenne aber natürlich die Höhen und Tiefen.
Derzeit tobt der Streit darüber, ob der Park aus dem Ruder läuft. Anwohnerbeschwerden über nächtlichen Lärm häufen sich. Andererseits will Pankows Bürgermeister Sören Benn den Park als „Fläche der Freiheit“ nicht komplett beruhigen.
Ich kann die Argumente beider Seiten ganz gut nachvollziehen und als „Freunde des Mauerparks“ möchten wir vermitteln. Zuletzt ging die Entwicklung im Bezirksamt allerdings sehr in Richtung Beruhigung und geschützte Grünanlage. Aber das ist der Mauerpark aus unserer Sicht nicht.
Was denn dann?
Der Mauerpark ist ein Kulturstandort.
Das soll nun auch im Flächennutzungsplan so festgehalten werden. Die Pankower BVV hat dem Bezirksamt aufgetragen, sich für die Änderung einzusetzen und dem Park auch die Nutzung „Kultur“ zuzusprechen.
Das ist sehr wichtig. Das Grünflächengesetz allein kann keine Rücksicht auf die Besonderheit des Mauerparks nehmen. Es hat Straßenmusik so nicht im Repertoire. Die Verwaltung, die Anwohner und die Parknutzer, brauchen deshalb ein Signal dafür, wofür dieser Ort da ist. Das ist nun da: Man will aus einer reinen Grünanlage einen Ort machen, der mehr darf. Welches verwaltungstechnische Vehikel dazu nötig ist, das müssen die Fachleute wissen.
Und welche Kultur trägt der Park in die Stadt und die Welt hinein?
Der Mauerpark war vor 30 Jahren noch der Todesstreifen, dort durfte niemand hin. Er war ein Symbol der Trennung und der Unterdrückung. In den letzten 25 Jahren hat der Ort sich zu einem multikulturellen Ort der Begegnung entwickelt. Es hat sich ein buntes Treiben entwickelt, bei dem jeder mitmachen kann. Niemand muss Eintritt bezahlen, es gibt keinen Verzehrzwang und die Künstler nehmen nur Spenden. Es gibt keine Ausschlusskriterien, hier können sich alle Gruppen der Stadt treffen. Beim Karaoke kann jeder mitsingen und bei den Trommlern können alle mittanzen. Der Kontrast zwischen Todesstreifen und lebendigen Schmelztiegel macht diesen Ort zu einem lebenden Denkmal.
Seine Kritiker nennen den Park eine riesige Müllhalde, wo jeder rücksichtslos saufen, grillen und lärmen darf.
Wer nur den Müll sieht, blendet das positive Lebensgefühl aus, das viele Menschen mit dem Park verbinden. An einem sonnigen Sonntag entsteht hier eine einmalige Atmosphäre, die sich bei Menschen aus der ganzen Welt herumgesprochen hat.
Warum gehen manche Anwohner dann auf die Barrikaden?
Früher war in Berlin das Motto „leben und leben lassen“. Auch wenn jemand mal genervt hat, wurde nicht gleich die Polizei gerufen. Die Spitze der Beschwerdeführer am Park hat augenscheinlich ein anderes Gesellschaftsverständnis. Sie möchten genau bestimmen, wer was im Park macht und was nicht. Wir hatten im Mauerpark über viele Jahre eine sehr geringe Beschwerdelage. Das lag auch daran, dass der Weg durch die Instanzen beschwerlich war. 2018 hat sich das schlagartig geändert. Plötzlich wurden – ähnlich wie bei der Kulturbrauerei – Aushänge gemacht, in denen dezidiert aufgeführt wurde, wie Anwohner bei Ämtern und Polizei auf Anzeigen bestehen sollten. Leben und leben lassen stand nicht mehr zur Debatte, durch diese Eskalation kam es zur extremen Steigerung der Beschwerden.
Sind die nächtlichen Ruhestörungen durch das wöchentliche Karaoke mehr geworden?
Ich denke nicht. Auch in den Anfängen des Mauerparks gab es nächtliche Ruhestörungen. Punks hatten sich dort anfangs getroffen und nachts mit Flaschen geworfen. Inzwischen ist der Mauerpark eher für Jugendliche eine beliebte Partyfläche. Das kann für die Anwohner manchmal nervig werden, aber wir waren alle mal jung. Junge Leute brauchen Freiräume um sich auszuprobieren, und das muss die Stadtgemeinschaft auch mittragen. Den jungen Menschen ihre Freiräume zu entziehen, kann nicht die Lösung sein.
Sondern?
Wir brauchen eine politische Meinungsbildung, wofür Freiräume eigentlich da sind. Wir müssen nach Möglichkeiten suchen, kulturelles Leben so zu gestalten, dass die Anwohner nicht aus den Betten fallen.
Das Karaoke wurde erst einmal nicht genehmigt, mit Verweis auf die benachbarte Baustelle der Wasserbetriebe. War das aus Ihrer Sicht nur ein Vorwand?
Das Bezirksamt wurde von einem Beschwerdeführer massiv bearbeitet, den Ort als ungeeignet zu erklären. Das wurde jetzt aber vom Bezirksamt nicht mehr mitgetragen, auch aufgrund des öffentlichen Drucks.
Die BVV fordert nun, das Karaoke gleich für drei Jahre im Voraus bis 2021 zu genehmigen.
Auch das ist ein gutes Signal: Man zeigt dem Veranstalter, dass man seine Veranstaltung schätzt. Das war überfällig.
Es gibt auch in anderen Parks Probleme mit feiernden Jugendlichen und lauter Musik, etwa im Bürgerpark oder im Schlosspark. Eine Folge der Verdichtung der Stadt?
Ja. Die Stadt rückt zusammen, die Brachflächen fallen weg, es wird immer enger, der Freiraum schwindet. Gleichzeitig steigt die psychische Belastung in der Stadt und der Stresslevel für die Anwohner. Die Grünanlagen sind für viele, gerade für junge Leute mit wenig Geld, eine der wenigen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Zusammen mit den vielen Bluetooth-Lautsprechern ist das natürlich eine explosive Mischung.
Die Umgebung des Parks gehört zu den am dichtesten besiedelten Berlins mit einem sehr geringen Grünanteil. Wie können Menschen, die nur etwas Wiese haben wollen, auch zu ihrem Recht kommen?
Der Mauerpark wird in Kürze erweitert werden. Wir haben schon 2012 bei der Planung viel darüber diskutiert, und schon damals war allen klar: Wir müssen einen Ausgleich schaffen. Ein doppelt so großer Mauerpark darf nicht einfach doppelt so viel Party sein. Die Erweiterungsflächen, die nächstes Jahr eröffnet werden, sollen deshalb anwohner- und familienfreundlich werden, um genau diese Bedürfnisse aufzunehmen. Wir werden uns alle bemühen, dass diese Flächen nicht überrannt werden.
Wie genau wollen Sie das schaffen? Durch eine neue Mauer?
Natürlich wollen wir da keinen Schlagbaum aufstellen, auch Schilder würden vermutlich wenig helfen. Aber indem man in manchen Bereichen gezielt Angebote schafft und an anderen nicht, können Schwerpunkte gesetzt werden. Aus den Flächen des neuen Gemeinschaftsgartens wird bestimmt keine Festivalfläche werden. Aber erst in der Praxis werden wir sehen, welche Konzepte funktionieren und welche wir anpassen müssen.
Lässt sich die komplette Kommerzialisierung eines weltweit bekannten und vermarkteten Sehnsuchtsorts überhaupt verhindern?
Wir können nicht direkt etwas gegen den kommerziellen Druck rund um den Park tun. Aber wir können dafür sorgen, dass das unkommerzielle Herz des Parks weiter schlagen kann. Uns geht es um spontane Kultur zum Mitmachen, ohne finanzielle Interessen.
Trotz der Lärmdebatte sind gerade die Wohnungen rund um den Park besonders teuer.
Ja, das ist absurd. Die Makler werben mit dem weltbekannten Mauerpark. Dann ziehen die Leute ein und stellen fest: Als Annonce klang das toll, aber jetzt haben wir den Salat. Die Gentrifizierung macht vor dem Mauerpark nicht Halt. Erst kommen die Künstler und schaffen das unverwechselbare Flair, am Ende sollen sie dann aber verdrängt werden. Hier müssen wir eingreifen. Wir können gemeinsam mit der Verwaltung einen Schutzschirm aufspannen und dürfen die Sache nicht dem freien Markt überlassen.
Das Ordnungsamt will sogenannte Parkläufer einsetzen. Ist das schon zu viel Regulierung?
Das wird bei uns sehr kontrovers diskutiert. Die Hoffnung ist, dass durch direkte Ansprache Parknutzer nachhaltiger mit dem Park umgehen. Unsere Vorbehalte sind, dass selbst kleinste Vergehen von den Parkläufern geahndet und Menschen vertrieben werden, die seit vielen Jahren dort ansässig sind, aber vielleicht nicht ins bürgerliche Bild passen. Wir müssen uns sehr gut überlegen, welche Regeln im Park gelten sollen und wer die Rolle der Parkläufer ausfüllen kann. Wenn die Parkläufer gut vermitteln können, kann das viel bringen. Wenn sie nur Stress machen und Platzverweise aussprechen, wird das Projekt scheitern.
Eine weitere Idee: Verstärkte Musik abseits des Karaokes soll künftig nur noch samstags auf dem Bouleplatz stattfinden.
Den Samstag haben alle kritisiert und die Idee wurde nun vom Bezirksamt wieder einkassiert. Der Ansatz hätte einen zweiten Event-Tag neben dem Sonntag eröffnet. Wir hätten dann eine doppelte Belastung der Anwohner nicht ausschließen können. Der Sonntag sollte in unseren Augen der einzige Tag sein, an dem der Park so vielfältig genutzt wird. Auch wir wollen ruhigere Tage unter der Woche. Es ist zudem vernünftig, die Lautstärke an bestimmten Ort zu bündeln. Es gibt dazu konkrete Vorschläge von „Save Mauerpark“, einem Bündnis von Musikern und Anwohnern.
Ein Vorschlag ist eine Lärmschutzwand entlang des Stadionhangs.
Die könnten erstmal portabel und später fest installiert werden. Die Bands könnten dann in Richtung Hang spielen und die Musik würde nicht mehr Richtung Anwohner getragen werden. Das wäre in unseren Augen ein sinnvolles Pilotprojekt für die Saison 2019.
Im Runden Tisch gibt es eine Arbeitsgemeinschaft Spielregeln. Müssen die angesichts der Besuchermassen restriktiver sein?
Es gibt zurzeit zwei Lager. Das eine sagt, wir wollen Besucher freundlich begrüßen und mit positiver Ansprache das Gemeinschaftsgefühl stärken und dadurch Regelverstöße letztendlich vermeiden. Die andere Seite spricht sich für Strafen aus und will sogar Bußgelder per Flyer aufführen. Diese Diskussion wird vermutlich noch eine Weile dauern.
Manche befürchten, dass sich der Mauerpark in Richtung Görlitzer Park entwickelt.
Wir glauben, dass wir davon sehr weit entfernt sind. Wir haben seit vielen Jahren ein gutes Netzwerk, das sich engagiert um den Park kümmert. Vor sieben Jahren haben wir uns mit der Senatsverwaltung, dem Bezirksamt und der Polizei zusammengesetzt, um möglichen Nutzungskonflikten etwas entgegenzusetzen. Dieses gemeinsame Interesse gibt es immer noch und wir arbeiten gut zusammen. Wir werden darauf achten, dass bei allen Lösungsansätzen die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt.
Es wird auch im Mauerpark mit Drogen gedealt.
Ja, das betrachten wir mit Sorge und sind mit der Polizei dazu regelmäßig im Dialog. Aber wir haben glücklicher weise noch nicht das extreme Dealer-Problem wie im Görlitzer Park.
Im Görlitzer Park hat sich das auch langsam entwickelt.
Natürlich gibt es nachts auch mal Probleme im Mauerpark, aber die gibt es leider in ganz Berlin. Im Mauerpark ist die Kriminalitätsstatistik in den letzten Jahren rückläufig. Das sagt uns die Polizei. Und gerade der Sonntag, an dem all die Leute friedlich feiern, ist eben keine Keimzelle für Kriminalität, sondern die Kultur verdrängt die Kriminalität aus dem Park.