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Die Mitglieder des Aktionsbündnisses setzen sich für eine Bebauung mit Augenmaß und für den Erhalt der Natur in Lichterfelde-Süd ein
© Anett Kirchner

Bürger gegen massive Bebauung in Berlin-Lichterfelde: Bloß keine Trabantenstadt!

Die Anwohner finden Neubauten in Ordnung, aber nicht 2500 Wohnungen. Der Investor will auf dem ehemaligen Militärgelände Parks Range bauen. Das Bürgerbegehren Lichterfelde-Süd ist das erste in Steglitz-Zehlendorf und hat bereits mehr als 700 Unterschriften beisammen.

Name, Geburtstag, Anschrift: Er schreibt schnell, als sei er von etwas getrieben. Eberhard Speckmann trägt sich an diesem frühsommerlichen Nachmittag im Mai in die Unterschriftenliste zum Bürgerbegehren in Lichterfelde-Süd ein. Hinter ihm versperrt ein Tor mit Stacheldraht den Zugang zu einer wildromantischen Landschaft. Privatgrundstück. „Ich bin dafür, dass die Natur hier erhalten bleibt“, sagt Speckmann. Er wohne in der Nähe und sei in Sorge, dass eine weitere Trabantenstadt entstehe. Auch Mathia Specht-Habbel und Marianne Seeliger haben unterschrieben. Bis jetzt sind es etwas mehr als 700 Unterschriften, die die Initiatoren gegen ein geplantes Neubauprojekt auf dem ehemaligen Militärgelände Parks Range in Lichterfelde-Süd gesammelt haben. Um erfolgreich zu sein, müssen sie bis zum 21. Oktober 7000 gültige Unterschriften zusammentragen.

Die Aktion läuft seit etwa zwei Wochen. Es ist das erste Bürgerbegehren in Steglitz-Zehlendorf überhaupt; Neuland demnach auch für das Bezirksamt. „Die Bürger haben das gute Recht, ihren Willen kund zu tun“, sagt der Bezirksbürgermeister Norbert Kopp (CDU). Deshalb habe er Wert darauf gelegt, dass das Bezirksamt dem Verfahren schnell zustimmte. Ihm liege es fern, hierzu künstliche Hürden aufzubauen. Außerdem stimme er in weiten Teilen mit den Forderungen der Bürger für die Gestaltung des etwa 100 Hektar großen Geländes zwischen Réaumurstraße, Osdorfer Straße und der S-Bahntrasse überein. Vor allem in einem Punkt jedoch nicht: Dass maximal 1500 Wohnungen auf einer Fläche von höchstens 16 Hektar gebaut werden.

„Hier gehen unsere Meinungen auseinander“, sagt Kopp und bezieht sich auf eine Absichtserklärung, die der Bezirk mit der Groth-Gruppe – seit 2012 Grundstückseigentümer hier - getroffen hat. Darin heißt es unter anderem, dass der Bezirk und die Groth-Gruppe davon ausgehen, dass auf einer Fläche von circa 39 Hektar 2200 bis 2700 Wohnungen realisiert werden können. „An diese Vereinbarung halten wir uns“, betont der Bezirksbürgermeister.

Der übrige, größere Teil des Geländes – etwa 57 Hektar – soll hingegen naturnah bleiben, unbebaut, als sogenannte Grüne Mitte gestaltet werden. Seitdem die Alliierten hier im Jahr 1994 abgezogen sind, hat sich auf der Fläche eine einzigartige Kulturlandschaft mit hochwertigen Biotopen und Lebensräumen schützenswerter Arten entwickelt.

Unter anderem daraus ergibt sich der überwiegende Teil der Forderungen des Bürgerbegehrens. Im Einzelnen: Die Lebensräume geschützter Tier- und Pflanzenarten sollen erhalten und das Gebiet für die Naherholung geöffnet werden. Ferner sollen auf einer Fläche von höchstens 16 Hektar bis zu 1500 Wohnungen errichtet, die bestehenden Betriebe erhalten und neue Betriebe in einer Gewerbeinsel am Landweg angesiedelt werden. Weiter fordern die Bürger ein unabhängiges Verkehrsgutachten, um festzustellen, ob die Straßen in Lichterfelde-Süd den zusätzlichen Verkehr aufnehmen können. Überdies wollen sie erreichen, dass die Wohngebiete nahe der Bahn vor Lärm geschützt werden.

„Aus unserer Sicht hat ein Gutachten vom Dezember 2012 der Landschaftsarchitekten Fugmann/Janotta Bestand, das im Auftrag des Bezirksamtes erstellt wurde“, erläutert Helmut Schmidt vom Aktionsbündnis Landschaftspark Lichterfelde-Süd, in dem die Akteure des Bürgerbegehrens organisiert sind. Das Aktionsbündnis gibt es seit 2010 und wird von etwa 60 Anwohnern aktiv unterstützt.

Laut der angesprochenen Studie seien lediglich 16 Hektar des Areals ohne Probleme bebaubar. Auch führende CDU-Bezirksverordnete hätten seinerzeit von höchstens 1600 Wohnungen gesprochen. „Und Norbert Kopp sagte, dass hier keine zweite Thermometersiedlung entstehen soll“, erinnert Schmidt. Die Thermometersiedlung, die als sozialer Brennpunkt im Bezirk gilt und direkt vis-à-vis der geplanten Bebauungsfläche liegt, habe etwa 2100 Wohnungen. 2500 seien dann deutlich mehr, rechnet Schmidt vor und zweifelt, dass bei diesen Dimensionen eine sozial verträgliche städtebauliche Entwicklung des Stadtteils möglich sei.

„Der schöne Neubau auf der einen und der verwahrloste Altbau auf der anderen Seite.“

„Wir sind für einen Neubau hier, ja, denn wir wissen, dass Wohnungen in Berlin gebraucht werden“, macht er deutlich. Aber in vernünftigem Maße und vor allem, indem man das soziale Umfeld in die Planungen einbeziehe. Nach einem Entwurf der Architekten Casanova und Hernandez, der im September 2014 vorgestellt wurde, seien aber neben Wohnhäusern ein neuer Stadtplatz mit Geschäften, Kitas, Spielplätzen, Sportflächen und einer Schule geplant. Nun befürchten die Anwohner, dass zwei gegensätzliche Kieze entstehen könnten: „Der schöne Neubau auf der einen und der verwahrloste Altbau auf der anderen Seite.“

Was hinzukommt: Zwei Workshopverfahren, organisiert von Groth-Gruppe und Bezirksamt; zum Städtebau und zur Grünen Mitte. „Ich war bei fast allen Workshops dabei und habe vergeblich versucht, die Interessen der Anwohner einzubringen“, erklärt Schmidt. Zwar seien seine Ideen in die Protokolle eingegangen, aber nicht in die Planungen.

Bürger fühlen sich nicht ernst genommen

Eigenartig finde er zudem, dass die Ergebnisse eines aktuellen Gutachtens von Dieter Meermeier zur Fauna des Grundstückes bisher nicht veröffentlicht worden seien. „Die Untersuchungen hätten in den städtebaulichen Entwurf mit einfließen müssen“, findet der Aktionsbündnis-Sprecher. All das und einige weitere Kritikpunkte hätten schließlich dazu geführt, dass sich die Bürger nicht ernst genommen fühlten. Deshalb gehen sie jetzt den Weg des Bürgerbegehrens.

Anette Mischler, Sprecherin der Groth-Gruppe, erklärt indes, dass das Gutachten von Dieter Meermeier sehr wohl Grundlage für die künftige Bebauung sein werde, vor allem für die Abwägung, wo gebaut werden könne und wo nicht. Das seien nach dem Baugesetzbuch festgelegte Verfahren, die bei jedem Baugrundstück durchgeführt würden. „Der heutige städtebauliche Entwurf berücksichtigt die Voruntersuchungen und das jetzige große Gutachten macht dann den Feinschliff“, sagt sie. Ob sich aus den aktuellen  Untersuchungen neue Erkenntnisse ableiten ließen, könne sie noch nicht sagen, da diese derzeit von den Fachleuten im Umweltamt eingesehen würden. Bezirksbürgermeister Norbert Kopp bittet um Geduld. Das Gutachten sei ganz „frisch“ und umfangreich; drei Bände mit etwa 1000 Seiten.

Planung sei "guter Kompromiss"

Die derzeitige Planung der Groth-Gruppe von circa 2500 Wohnungen, der auch alle Fraktionen der BVV zugestimmt hätten, wie Mischler erklärt, sei nach ihrer Ansicht ein guter Kompromiss: „Frühere Planungen sahen von Senatsseite sogar 4000 Wohnungen für das Gebiet vor.“

Wer die Forderungen des Aktionsbündnisses konsequent weiterdenke, sehe, dass eine Bebauung auf 16 Hektar mit einer Gewerbeinsel und 1500 Wohnungen inklusive der gesetzlich vorgeschriebenen Frei- und Spielflächen bedeute, dass dort eine Hochhaussiedlung entstehe. Also genau jene Trabantenstadt, die die Bürger eigentlich verhindern wollen.

Und das Gutachten, auf das sich die Bürger stützten, sei methodisch nicht korrekt und würde keiner juristischen Prüfung standhalten. Es biete lediglich Anhaltspunkte. „Hier wurden alte Kartierungen verwendet und eine eintägige Pi mal Daumen Betrachtung gemacht“, sagt Mischler.

Notwendig sei jedoch eine fundierte wissenschaftliche Dokumentation auf dem gesamten Grundstück während einer Vegetationsperiode, was mit dem aktuellen Gutachten von Dieter Meermeier gemacht worden sei. Die Grundlage für die in der Zwischenzeit vereinbarten 39 Hektar als bebaubare Fläche bilde eine gemeinsame Einschätzung des von der Groth-Gruppe beauftragten Gutachterbüros Lützow 7 und des vom Bezirk beauftragten Büros Fugmann/Janotta.

Am Mittwoch, den 13 Mai, wird das Aktionsbündnis Landschaftspark Lichterfelde-Süd im ehemaligen BVV-Saal des Rathauses Steglitz die Inhalte des Bürgerbegehrens vorstellen. Beginn ist um 18 Uhr.

Die Autorin Anett Kirchner ist freie Journalistin, wohnt in Steglitz-Zehlendorf, und schreibt als lokale Reporterin regelmäßig für den Tagesspiegel Zehlendorf. Folgen Sie Anett Kirchner auch auf Twitter.

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