Zu Besuch in der Marheineke-Halle in Kreuzberg: "Bald ist alles nur noch Gourmet"
Einst war der Bergmannkiez kein gutes Pflaster, jetzt steht die Bergmannstraße in jedem Reiseführer, ebenso die Marheineke-Markthalle. Wie es sich dort zwischen Bananenkisten und Touristen arbeiten lässt, und wen Melanie, die Obstverkäuferin mit "Ameisen" meint, lesen Sie im Kreuzberg Blog.
Grelles Neonlicht prallt auf die Orangen, die einsam an einer Seite des u-förmigen Obst- und Gemüsestands liegen. In der Halle ist es an diesem frühen Morgen gegen sechs Uhr finster, nur ein paar Stände weiter, an einem anderen Stand, brennt auch schon Licht. Ein kleiner Mann - Mitte 40, kugelrunder Bauch, dunkelblonder Schnauzer - schiebt schnaufend einen Wagen, auf dem sich mannshoch große Kisten stapeln, an den Marktstand heran, parkt ihn gleich vor den Orangen. Er nimmt die oberste Kiste - sie ist gefüllt mit Weintrauben - herunter, legt die Früchte liebevoll in ein Holzkistchen rechts von den Orangen. „Ali“, ruft plötzlich ein kräftiger, türkischstämmiger Junge, der gerade mit Salaten hantiert. Es ist Emrah, der 18-jährige Sohn vom Chef, der sechs Tage in der Woche am Stand des Vaters arbeitet, seit er nach der neunten von der Schule abgegangen ist. Mit „Ali“ meint er den Mittvierziger mit dem Kugelbauch. Der heißt zwar eigentlich Alexander, doch seit der Schulzeit nennen ihn seine Kreuzberger Freunde nur „Ali“.
„Ali“, ruft Emrah noch einmal. „Stell dir mal vor, wir würden auch das weiße Zeug in unseren Bananenkisten finden!“ Der Junge reißt die Augen auf. „Dann müssten wir nie wieder früh aufstehen! Dann hätten wir richtig Kohle!“ „Das Zeug war sechs Millionen wert, oder?“, fragt Ali-Alexander. „Noch viel mehr“, sagt Emrah. „Früher“, sagt Ali und seufzt, „vor zehn Jahren, da haben wir am Tag noch 20 Kisten Bananen verkauft. Heute sind es nie mehr als zwei.“
In den 60er und 70er Jahren war der Marheinekeplatz kein gutes Pflaster. Die Vermieter ließen ihre die Wohnhäuser mehr und mehr verkommen, viele Bewohner zogen weg. In die freien Wohnungen zogen vor allem türkische Gastarbeiterfamilien.
"Fünf Jahre, dann ist im Bergmannkiez alles Gourmet"
"Guten Morgen, mein Schatz", trällert Verkäuferin Melanie vom Obst- und Gemüsestand herunter. Vor ihr steht eine kleine, weißhaarige Frau, um die 70. "Was darf es heute sein? Wie immer?" Noch während Melanie, eine resolute, türkischstämmige Mittfünfzigerin, spricht, packt sie Cherrytomaten in eine Papiertüte und die Weißhaarige nickt und lächelt. „Und noch ein paar Äpfel?“ Nachdem Melanie die Tüte gewogen hat, packt sie noch eine Birne oben drauf. Dann reicht sie der Kundin die Tüte. „Wir kleinen Leute müssen zusammenhalten.“ Dann kneift sie plötzlich die Augen zusammen. „Bald ist hier im Kiez nur noch Platz für die Großen. Ich sage: Fünf Jahre noch, dann sind wir alle weg, dann ist hier nur noch Gourmet.“
Im Bergmannkiez gibt es kaum noch freistehende Wohnungen
In den 80er und 90er Jahren drängten die neuen türkischen Anwohner und die verbliebenen deutschen Nachbarn die Vermieter, ihre Häuser zu sanieren. Die Stadt brachten sie dazu, die öffentlichen Plätze zu verschönern. Aus jener Zeit stammt unter anderem der Springbrunnen mit den Sitzbänken vor der Markthalle. In den vergangenen zehn Jahren zogen dann viele der früheren Gastarbeiterfamilien weg, meist wegen steigender Mieten. Melanie, die Verkäuferin vom Obst- und Gemüsestand, beispielsweise zahlte in den 90er Jahren für ihre Drei-Zimmer-Wohnung in der Bergmannstraße knapp 200 D-Mark. Heute beträgt ihre Miete mehr als tausend Euro. Freistehende Wohnungen gibt es in der Gegend praktisch nicht, mittlerweile leben hier vor allem Neuberliner. In der Bergmannstaße wechseln sich Boutiquen und Restaurants ab. Der Kiez fehlt in keinem Berlin-Reiseführer.
Melanie, die Obst- und Gemüseverkäuferin, engagiert sich für ihren Kiez: Vor ein paar Jahren haben sie, einige Kunden und viele andere Anwohner ein Einkaufszentrum in der Planungsphase mit einer Unterschriftenkampagne verhindert. „Jetzt kommen die Reichen heimlich, wie Ameisen, sie haben sich zuerst in den Kellern breit gemacht“, sagt sie. Mit „Reichen“ meint sie die kleinen Boutiquen in der Bergmannstraße. „Sie sind auch schon dort, wo früher der Schwarma-Verkäufer und der Bäcker waren. Die lassen sich dort nieder, wo wir Kleinen Platz machen müssen, weil wir uns die Mieten nicht mehr leisten konnten“, sagt Melanie. Dann erzählt sie von früher, von den 80er Jahren, als sie selbst ein Lebensmittelgeschäft in der Bergmannstraße hatte. „Damals wussten die Kunden nicht mal, was Schafskäse ist“, sagt sie und lacht.
Dieser Artikel erscheint im Kreuzberg Blog, dem hyperlokalen Online-Magazin des Tagesspiegels. Die "Kreuzberger Plätze" sind eine Annäherung an Kreuzberg in 24 Stunden. Lesen Sie hier die gesamte Reportage.