Tanzlokal in Spandau: 70 Jahre "Karlslust": Die unvergessene Feuerkatastrophe von Berlin
1947 kamen 80 Berliner ums Leben, als ein furchtbares Feuer in einem Tanzlokal ausbrach. Noch heute erinnern sich Ältere an die Nacht und die Folgen für Berlin.
Vor 70 Jahren, am 8. Februar 1947, geschah in Berlin die Katastrophe: 80 Menschen kamen im Ausflugslokal "Karlslust" im Spandauer Ortsteil Hakenfelde ums Leben - es war das schlimmste Feuer seit dem Weltkrieg bis heute. Es war ein Ereignis, an das ich viele Ältere erinnern. Tausende Menschen kamen zur Beerdigung. Noch heute ist das Entsetzen groß. "Meine Eltern und Großeltern haben mir von dieser Katastrophe oft erzählt", sagt Tagesspiegel-Leserin Veronika Harz, 67, auf der Facebook-Seite von Tagesspiegel Spandau. "Also war ich noch nicht am Leben und erinnere mich doch durch die Erzählungen. Und immer wurde mir gesagt, wenn es brennt, renne schnell raus, hole nicht deinen Mantel!"
Eine Tafel erinnert an das Unglück
Auch andere Tagesspiegel-Leser berichteten, dass ihre Eltern in dem Lokal waren, feierten und am Ende nur knapp dem Tod entkommen sind. Heute erinnert eine Tafel in der Pionierstraße an das Unglück; an der Stelle des Lokals steht heute ein Hochhaus am Waldrand.
Die Katastrophe hatte auch große Folgen für die Berliner Feuerwehr, wie Sie weiter unten lesen können.
So sah es 1928 am späteren Brandort aus in Berlin-Hakenfelde
Lesen Sie hier den Zeitungsbericht aus dem Tagesspiegel vom 11. Februar 1947.
"Mit Windeseile verbreitete sich am Sonntag die Nachricht von dem furchtbaren Brandunglück in Spandau (...). Zu dem Umfang der Katastrophe hat wesentlich beigetragen, dass viele versuchten, aus der Garderobe ihre Mäntel und Kleider zu retten, — eine Tatsache, die bezeichnend für unsere Lage ist.
Abseits von der Hauptstraße, zwischen. Spandau und Hakenfelde, mitten in einem idyllischen Laubwald, liegt das Ausflugslokal „Karlslust". Der Zugang zu ihm wird von einer dichten Kette deutscher und englischer Polizei abgesperrt. Sämtliche Räume, die zweistöckige Gastwirtschaft, der Tanzsaal und die Kegelbahn, sind bis auf die Grundmauern niedergebrannt.
Der Boden ist dicht mit Asche bedeckt. Neben dem ehemaligen Garderobenraum liegt ein großer Haufen versengter Kleidungsstücke und Schuhe. In einem steckt ein verkohlter Frauenfuß. Zwischen der Asche im Tanzsaal liegt ein schwarzer, unförmiger Klumpen: eines der vielen Opfer, die erst später entdeckt wurden.
Noch ist ihre Zahl nicht genau bekannt. Bisher wurden 78 Leichen geborgen, doch muss damit gerechnet werden, dass sich die Zahl der Toten noch erhöht. Bis Montagabend gingen bei der Spandauer Kriminalpolizei 108 Vermisstenmeldungen ein. Für die Identifizierung der Toten werden sich noch erhebliche Schwierigkeiten ergeben, da sie stark verstümmelt sind und Erkennungszeichen, wie zum Beispiel Schmuckstücke, in der Hitze geschmolzen, sind. Nur drei Leichen konnten bereits identifiziert werden. Über vierzig Schwerverletzte wurden in die Spandauer Krankenhäuser gebracht (...).
Der Hergang der Katastrophe
Seit Stunden herrscht in dem überfüllten Saal des Ausflugslokals „Karlslust" eine ausgelassene Stimmung. Mehr als achthundert Menschen feiern hier das Kostümfest der Sportgruppe Spandau-Neustadt. Gegen 23 Uhr geht plötzlich das Licht aus. Die Musik bricht ab, und eine Frau schreit „Feuer, Feuer".
Ehe die Menschen die Gefahr erkannt haben, steht die Decka in hellen Flammen. „Ich dachte zuerst, es sei eine besonders geschickte Attraktion", erzählt ein Augenzeuge. Dann aber stürzen Teile der brennenden Decke auf die Tanzenden herab, dichter Rauch entwickelt sich, und alles drängt dem Ausgang zu. Die meisten laufen zuerst zur Garderobe, ja einige, die schon im Freien und damit gerettet waren, kehren zurück, um Mäntel und Kleider zu holen.
Eine Panik entsteht. Menschen werden niedergetreten, andere brechen ohnmächtig zusammen, einigte beten laut, dazwischen Schreien und Wimmern. „Ich rannte zum Fenster", berichtet ein junger Mann, „musste aber entdecken, dass sämtliche Fenster durch Eisengitter versperrt waren." Andere stiegen in den Keller hinunter, wagten aber, als sie keinen Ausgang fanden, nicht mehr, in die Flammen zurückzukehren.
Auf ihre Hilferufe, die anfangs im allgemeinen Tumult untergingen, wurden schließlich ein paar Feuerwehrleute aufmerksam, die dann unter Lebensgefahr durch einen versteckten — zweiten Eingang in den Keller eindrangen und einige retten konnten. Alle Aussagen stimmen darin überein, dass sich das Feuer mit unglaublicher Schnelligkeit ausbreitete.
Die Feuerwehr wurde nach ihrer Ansicht viel zu spät alarmiert. Sechs Löschzüge rückten heran, englische Rettungsmannschaften und freiwillige Retter standen ihnen sofort zur Seite. Der einzige brauchbare Hydrant war erst freizulegen, und die Schläuche mussten über Gartenstühle gezogen werden, da sie sonst an dem eiskalten Boden sogleich angefroren wären. Inzwischen war das ganze Lokal ein Flammenmeer geworden, von dem sich die Masken und Kostüme gespenstisch abhoben.
Wie konnte es zu einem so folgenschweren Unglück kommen?
Nach der inzwischen vom Polizeipräsidenten bestätigten Ansicht der Feuerwehr ist eine fehlerhafte Ofenanlage daran schuld. Ein an den Kamin angrenzender Trägerbalken der Dachkonstruktion erhitzte sich, und an ihm entzündeten sich die Sperrholzplatten, mit denen der Dachstuhl verkleidet war. Es gab eine Staubexplosion, deren Stichflamme die Katastrophe vollendete. Der starke Südostwind begünstigte zudem das Feuer und wehte den Qualm durch die eingeschlagenen Fensterscheiben in die Garderobe; darauf ist die große Zahl der Ohnmächtigen zurückzuführen.
Neben all diesen Ursachen hat an der Größe des Unglücks folgendes schuld: 'einmal die Tatsache, dass es nur einen Ausgang gab, zweitens die Gitter vor den Fenstern. Sie stammen noch aus der Zeit des Krieges, während der das Lokal als Unterkunft für Kriegsgefangene diente, und drittens wäre es nie zu einer solchen Katastrophe gekommen, wenn die Menschen die Ruhe bewahrt hätten. Die bis Jetzt geborgenen Leichen wurden in dem ehemaligen Heereszeugamt in der Schönwalder Straße aufgebahrt. Zur Identifizierung ist ihre Besichtigung heute zwischen 9 und 15 Uhr freigegeben. Im Zeugamt befinden sich auch die Kleidungsstücke, die noch aus der Garderobe geborgen werden konnten. (...) Zur Linderung der Not hat das Bezirksamt Spandau für die Geschädigten 100.000 Mark gestiftet."
++++
Und so erlebte die Feuerwehr die Katastrophe
Die Katastrophe hatte auch große Folgen für die Berliner Feuerwehr. In der Chronik der Feuerwache Spandau Nord - sie liegt gar nicht so weit entfernt - heißt es: "Es verketteten sich viele ungünstige Umständen zu einem Ganzen, sodass eine Rettung und Brandbekämpfung erst mit großen Zeitverzögerung begonnen werden kann. Auf Grund langanhaltenden Dauerfrostes von minus 25 Grad Celsius müssen die Fahrzeugmotoren erst warm laufen, da sie in unbeheizten Fahrzeughallen stehen (...)."
Schwer vorstellbar waren auch die Verkehrsregeln: "Aliierte Zivil- und Militärfahrzeuge haben ein absoulutes Vorfahrtsrecht und die zulässige Höchstgeschwindigkeit für die Feuerwehr beträgt 40 km/h. Es besteht kein einheitlicher Notruf. Wegen vieler noch zerstörten Brücken müssen die nachalarmierten Einsatzkräfte große Umwege fahren. Noch 24 Stunden nach dieser Brandkatastrophe fahren deutsche und britische Krankenwagen durch die Straßen. Die Verletzten finden in den Krankenhäusern Lynarstraße, Recklinghauserweg, Ev. Johannesstift und im britischen Militärhospital in der Radelandstraße Aufnahme. Per Sonderkurier wird das sonst kaum erhältliche Penicillin aus der Chemischen Fabrik Lessing und Co. nach Spandau befördert."
Die Alliierten gaben danach der Feuerwehr mehr Rechte
"Am 13. März geben die Besatzungsmächte auf Grund der Brandkatastrophe, das absolute Vorfahrtsrecht ihrer zivilen und militärischen Fahrzeugen auf. Somit entfällt auch die Sonderbemalung an den Feuerwehrfahrzeugen (Motorhaube Kotflügel gelb und ein gelber Kreis am Fahrzeugheck). Das bis heute übliche Blaulicht und die rote Fahrzeugfarbe bleibt erhalten. Am 20. Oktober wird mit Genehmigung der Alliierten die einheitliche Notrufnummer "02" wieder eingeführt."
++++
2000 Menschen kamen zum Städtischen Friedhof
Die Berichterstattung im Tagesspiegel war damals groß. Am 26. Februar hieß es: "2000 Menschen standen gestern auf dem Städtischen Friedhof in Spandau an dem offenen Grabe, in dem siebenundsiebzig Opfer des Brandunglückes ihre letzte Ruhe finden sollen. Unter ihnen ist auch ein englischer Soldat, dessen Name nicht festgestellt wurde. Im ganzen konnten dreißig Opfer nicht identifiziert werden. Neun der sechsundachtzig Toten sind bereits am Montag von ihren Angehörigen bestattet worden. "Näher mein Gott zu Dir", verklang das Finale des Bläserchors.
Dann ergriff Bürgermeister Münsinger das Wort. Er wies auf die besonderen Umstände dieses Unglücks hin und dankte der durch Brigadier Wells vertretenen britischen Militärverwaltung für ihre Hilfe (...) Die Untersuchungen, die das Branddezernat der Berliner Kriminalpolizei über die Ursachen des Unglücks anstellte, haben zu folgenden Ergebnissen geführt: das Lokal "Karlslust", in dem das Tanzfest stattfand, hatte einen Haupt- und einen Nebensaal, in denen vier Öfen aufgestellt waren. Das Feuer ist von einem Ofen im Nebensaal ausgegangen. Er stand den Vorschriften entsprechend acht bis zehn Zentimeter von der Wand entfernt.
Nach den heutigen Bauvorschriften müssen alle Balken nicht nur außerhalb der Schornsteine angebracht sein, sondern Schornstein und Balken soll auch eine Steinschicht trennen. In diesem Lokal, das im vorigen Jahrhundert gebaut wurde, lag aber zwischen Abzugskanal und Schornsteinwand ein Balken, der vielleicht schon lange vor dem Unglückstage zu schwelen begonnen hatte. Da es sehr kalt war, wurden die Öfen für das Fest besonders stark geheizt. Das führte dazu, dass sich an dem schwelenden Balken die fünf Zentimeter dicke Sperrholzverkleidung entzündete, die aus Schönheitsgründen über das Balkenwerk gelegt worden war.
Wahrscheinlich geriet auch gleichzeitig das Dach in Brand. Für die ungemein schnelle Ausbreitung des Feuers nennt das Branddezernat drei Gründe: die Sperrholzzwischendecke war mit leicht brennbarem Schellack gestrichen; der Staub, der sich auf ihr angesammelt hatte, tat das Seine, und schließlich fachte der starke Wind das Feuer im Saale weiter an. Von einer Staub- oder Schwelgasexplosion könne aber .keine Rede sein, erklärte das Dezernat. Auch stürzte die Decke nicht ein. Da das Licht noch lange nach Ausbruch des Feuers brannte, sei ein Kurzschluss als Ursache ausgeschlossen.
Weiter teilte das Dezernat mit, dass nicht ein Ausgang, sondern Sechs- Ausgänge vorhanden waren. Außer dem, allerdings nur einen Meter fünfzig breiten Hauptausgang, in der Nähe der Garderobe, durch den sich die aufgeregte Masse retten wollte, gab es noch einen zweiten durch die Kegelbahn, einen dritten durchlas Wohnhaus, einen vierten durch dessen Keller, einen fünften hinter der Bühne (durch ihn flüchteten einige der Musiker) und einen sechsten durch die Toiletten.
Ohne die Panik, so meinte das Dezernat, wären diese Ausgänge sicher gefunden worden. Fenster gab es nur vier; sie lagen alle im Neberisaal und waren vergittert. Viele Besucher entwichen durch die Fenster der Kegelbahn, aber sie übersahen deren Tür. Das Fest war angemeldet und zugelassen.
Bei Facebook finden Sie uns unter www.facebook.com/tagesspiegelspandau.