Berliner Bauprojekt "Blankenburger Süden": "Beteiligung ist das Gegenteil von Geheimpolitik"
Die Anwohner sind überrascht: Statt 6000 sollen in Pankow plötzlich 10.000 Wohnungen entstehen. Der Jurist Ulrich Battis findet das rechtlich fragwürdig. Ein Interview.
Herr Battis, am Wochenende brachte der Auftakt der Bürgerbeteiligung beim Projekt „Blankenburger Süden“ vor allem Bürgerwut hervor. Anders als in den Vorplanungen besprochen, sollen in Pankow statt maximal 6000 nun um die 10.000 Wohnungen gebaut werden.
Das war sicherlich unklug. Beim Verfahren hat der Senat zwar einen großen Handlungsspielraum, aber Partizipation darf nicht willkürlich sein. Man kann nicht Leute zwei Jahre lang einbinden und dann vor den Kopf stoßen, nur weil man es sich anders überlegt hat. Es ist das Gegenteil von vertrauensvoller Zusammenarbeit.
Vor allem die Nutzer der beiden Laubengebiete, die nun doch bebaut werden sollen, fühlen sich von Senat und Bausenatorin Lompscher betrogen. Sie behaupten, die Stadt habe sich schon Mitte 2017 das Vorkaufsrecht an ihren Grundstücken gesichert, während die Planer weiter betont hätten, die Anlagen würden nicht bebaut.
Ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber wenn man während eines Beteiligungsverfahrens so täuscht, ist das sicherlich auch rechtlich unzulässig. Es muss ein transparentes und faires Verfahren sein – es ist unfair, wenn man täuscht. Das muss man so hart formulieren.
Die Erklärung ist nun, man habe die Planungen geheim gehalten, um die Spekulation mit den Grundstücken zu verhindern.
Ich habe vor 40 Jahren über Partizipation habilitiert, damals habe ich schon geschrieben: Öffentlichkeitsbeteiligung ist das Gegenteil von Geheimpolitik, sie muss transparent sein. Dabei kommt es eben eher zu Wertveränderungen und Spekulation. Natürlich ist es auch ein legitimes Ziel kommunaler Politik, dieser Bodenspekulation entgegen zu wirken. Aber man muss sich entscheiden. Man kann nicht transparent sein wollen und gleichzeitig heimlich Grundstücke aufkaufen. Das ist unvereinbar, da fehlt es dann an Glaubwürdigkeit, damit ist der ganze Prozess desavouiert.
Ist es nicht nachvollziehbar, dass sich Politik und Verwaltung angesichts der Wohnungsnot in Berlin dem Baudruck gebeugt haben? Nach dem Motto: Wenn man dort schon baut, dann eben gleich dichter und höher?
Dagegen ist überhaupt nichts zu sagen. Es muss verdichtet werden, wo es verträglich ist. Da wird es immer Leute geben, denen es nicht passt. Aber Frau Lompscher hat die Beteiligung zu ihrem Lieblingsprojekt erklärt. Wenn es so abgelaufen ist wie beschrieben, ist das desaströs.
Niemand wollte für die Ausweitung des Projekts politische Verantwortung übernehmen. Der Regierende Müller war nicht da, die Senatorin Lompscher verneinte eine politische Vorgabe und verwies auf die Planungszwänge der Verwaltungen. Kann man es sich so einfach machen?
Neben Transparenz ist Glaubwürdigkeit für Partizipation unerlässlich. Die Glaubwürdigkeit eines Konzepts tendiert gegen null, wenn sich niemand offensiv dafür einsetzt.
Nun läuft ein vierwöchiges Online-Verfahren auf mein.berlin.de ab. Außer durch eine Mailadresse muss man sich durch nichts legitimieren. Wie sinnvoll ist das?
Grundsätzlich kann sich hier jedermann beteiligen, anders als bei Wahlen. Die Beteiligung ist auch nicht auf die engsten Nachbarn reduziert. Aber natürlich braucht man gewisse Sicherungen und Filter gegen Missbrauch, dass sich jemand nicht unter Fantasienamen hundertfach anmeldet oder irgendwelche Bots mitmischen. Dann ist die Legitimation weg.
Die Ergebnisse der Umfrage sollen dem Abgeordnetenhaus als „Entscheidungsgrundlage“ vorgelegt werden. Suggeriert man den Bürgern so nicht, sie könnten tatsächlich mitentscheiden?
Ergebnisse der Bürgerbeteiligung sind öffentliche Interessen, die in die planerische Abwägung eingebracht werden müssen. Aber derjenige, der die Planungshoheit hat, ist an Bürgerumfragen nicht gebunden und kann begründet davon abweichen. Das gilt erst recht für solche informellen Onlineumfragen.
Welchen Einfluss werden die Ergebnisse denn tatsächlich auf die Abgeordneten haben?
Schauen Sie sich den Brexit an. Der ist juristisch völlig unverbindlich, das Parlament ist daran nicht gebunden. Aber politisch wäre es natürlich Selbstmord, das zu ignorieren.
Laut Senatsverwaltung sind drei Szenarien möglich, eines davon: Es wird nicht gebaut. Macht man den Bürgern damit falsche Hoffnungen?
Dass da gar nichts gebaut wird, halte ich für ausgeschlossen.
Selbst die Senatorin Lompscher betont diese Möglichkeit aber weiterhin immer wieder. Ist das also nur Beschwichtigung?
Ich halte das nicht für sehr überzeugend und auch kontraproduktiv. Man sollte nur Alternativen aufführen, die auch realistisch sind.
Ulrich Battis, 73, lehrte bis 2009 als Professor an der Humboldt-Universität. Er ist Experte für Bau-, Planungs- und Verfassungsrecht. Derzeit berät er die Kanzlei GKS Stockmann.