Flüchtlinge in Berlin: Besonders für Kinder sind Massenunterkünfte eine Gefahr
Sexuelle Übergriffe wie gerade in Moabit sind nicht in allen Flüchtlingseinrichtungen ein Problem. Räumliche und personelle Bedingungen machen den Unterschied.
Nach dem tragischen Fall von mutmaßlichem sexuellem Missbrauch eines sechsjährigen Flüchtlingsmädchens am Dienstagabend, in dessen Folge der 29-jährige Vater von der Polizei erschossen wurde, werden erneut Forderungen nach einem besseren Schutz von Kindern in Flüchtlingseinrichtungen erhoben. Nina Ohlmeier von deutschen Kinderhilfswerk betonte, es müsse sowohl baulich als auch personell einheitliche Schutzstandards geben, um Übergriffe wenigstens maximal zu erschweren. „Baulicherseits sind das etwa betreute Schutzräume, geschlechtergetrennte Sanitäranlagen und vielleicht abschließbare Toiletten“, sagte Ohlmeier. „Personell sollte wirklich jeder, der in einer Flüchtlingseinrichtung arbeitet, ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen – auch das Wachpersonal.“
In einigen Einrichtungen hatte es Berichten zufolge Übergriffe durch Wachleute gegeben. Die Security-Mitarbeiter sind nachts allein mit den Flüchtlingen. Insgesamt seien die Massenunterkünfte nicht der richtige Ort für Familien.
Kinder trauen sich teilweise nicht allein zur Toilette
Auch die Abgeordnete Canan Bayram (Grüne) erinnerte daran, dass ihre Partei schon länger ein Schutzkonzept fordere. „Die Leute müssen endlich raus aus den Notunterkünften“, sagte Bayram. Kinder trauten sich teilweise nicht alleine zur Toilette, wenn sie Übergriffe fürchten müssten. In der Nacht von Dienstag zu Mittwoch war die Polizei zu der Traglufthalle der Stadtmission in der Kruppstraße in Moabit gerufen worden, weil es einen sexuellen Übergriff eines Pakistanis auf ein irakisches Mädchen gegeben haben sollte. Als der Verdächtige bereits festgenommen war, ging der Vater des Mädchens mit dem Messer auf ihn los – und wurde dann von Polizeibeamten erschossen. Dies wiederum hatte die Debatte über Polizeigewalt wieder angefacht. In der Unterkunft in der Kruppstraße leben alleinreisende Männer getrennt von Familien, doch fand der Übergriff außerhalb der Einrichtung statt, die von Grünanlagen umgeben ist.
Sexueller Kindesmissbrauch ist aber nicht überall ein Thema. „Das ist besonders da ein Problem, wo es keine Rückzugsmöglichkeiten gibt“, sagt Katrin Wilcken vom Träger EJF, der in Berlin und Brandenburg 14 Einrichtungen mit mehr als 2500 Flüchtlingen betreibt. „Wir haben diese Rückzugsräume. Mir ist derzeit kein Missbrauchsfall bekannt.“ Das EJF habe schon lange ein eigenes Kinder- und Gewaltschutzkonzept und sehr aufmerksame Mitarbeiter, was „das A und O“ sei.
Auch für Susan Hermenau von der Prisod GmbH spielt das Thema keine große Rolle. In den vergangenen drei Jahren seien ihr allenfalls zwei oder drei Fälle bekannt geworden, sagt Hermenau. Die Prisod betreibt derzeit 18 Häuser mit 6300 Flüchtlingen; sie hat einen guten Ruf. Sie betreibt auch die Schmidt-Knobelsdorf-Kaserne, in die am Donnerstag die Randalierer aus Reinickendorf einzogen.
Auch Gewalt als Erziehungsmittel ist ein Problem
Laut Hermenau ist ein anderes Thema in den Einrichtungen viel virulenter: Gewalt gegen Kinder als Erziehungsmittel. „Hier schreiten wir sofort ein“, sagt Hermenau. Auch das Konzept der Aufsichtspflicht sei den Geflüchteten unbekannt. In den Einrichtungen werde ganz stark aufgeklärt über Kinderrechte, die Aufsichtspflicht und gewaltfreie Erziehung. Sämtliche Mitarbeiter müsste das erweiterte Führungszeugnis vorlegen – auch Ehrenamtliche.
Das lässt den Schluss zu: In gut geführten Betrieben und unter erträglichen räumlichen Bedingungen passiert weniger. Umgekehrt zeigt das auch ein weiterer Vorfall des gestrigen Donnerstags: In der Notunterkunft in der Treskowallee protestierten Flüchtlinge gegen die schlechte Unterbringung. Die Unterkunft ist eigentlich nur für einen kurzen Aufenthalt gedacht, es leben aber manche schon fast ein Jahr dort. Die Demo am Donnerstag diente offenbar dem Zweck, schnell umziehen zu können.
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