Jahresrückblick: Berlins spektakulärste Kriminalfälle 2013
Brutal, brachial, gewieft: Sehr unterschiedliche Verbrecher beschäftigten Stadt und Polizei 2013. Und ein Fall brachte die Beamten ins Zwielicht. Das Berliner Kriminaljahr im Rückblick.
Etwa 500 000 Straftaten musste die Polizei im Jahr 2013 bearbeiten. Darunter waren etwa 50 Mordfälle. In jedem Fall zu viel für einen Jahresrückblick. Wir stellen auf dieser Seite fünf Fälle vor, die besonders spannend sind. Die uns als Zeitung und Sie als Leser intensiv beschäftigt haben – und die Polizei immer noch beschäftigen. In zwei dieser Fälle sitzen Tatverdächtige zwar in Untersuchungshaft, doch sie schweigen. Gerade in diesen beiden Fällen sind noch viele Fragen offen. Erst im Prozess im kommenden Jahr werden – vielleicht – Antworten gefunden.
In einem Fall ist der Täter tot – von der Polizei in Notwehr erschossen. Die Diskussion um das Vorgehen, die Ausbildung und die Bewaffnung der Beamten hält seit Monaten an. Der Steglitzer Tunnelcoup schließlich ist ein Beispiel, dass auch eine Sonderkommission nicht jeden Fall lösen kann. Ernst zu nehmende Hinweise auf die Täter gibt es auch nach elf Monaten nicht, die Hoffnung schwindet immer mehr. Das ganze Jahr über waren zwei Tätergruppen aktiv, die mit roher Gewalt vorgehen: Geldautomaten mit Gas sprengen oder mit Autos in Geschäfte rasen. Hier gilt die Polizistenweisheit: Je mehr Taten sie begehen, desto eher werden sie erwischt.
Sehen Sie auf den folgenden Seiten einen Rückblick auf fünf Berliner Kriminalfälle, die 2013 besonders viel Aufmerksamkeit erregten:
Der rätselhafte Maskenmann
Der „Maskenmann“ darf auch in diesem Jahresrückblick nicht fehlen. Zwei Jahre lang rätselten Berlin und Brandenburg, wer der unheimliche Kriminelle ist, der 2011 in Bad Saarow mehrere Anschläge auf eine Berliner Unternehmerfamilie verübte und 2012 bei Storkow einen Banker entführte. Zwei Jahre fahndeten hunderte Polizisten nach dem Maskenmann. Die Soko hatte sich „Imker“ getauft, weil der Täter eine von den Bienenzüchtern verwendete Haube trug. Mitte September dieses Jahres dann der Durchbruch: Ein Spezialeinsatzkommando überwältigt vor dem Einkaufszentrum am S-Bahnhof Köpenick einen 46-Jährigen.
Es ist für die Polizei ein alter Bekannter: Mario K. ist in den vergangenen Jahren mehrfach durch Gewalttaten aufgefallen – und er lebte früher einmal als Einsiedler auf einer morastigen Insel im Seddinsee. Also genau so, wie er auch bei der Entführung des Berliner Millionärs Stefan T. bei Storkow beschrieben worden ist. Monatelang war K. von Spezialisten beschattet worden, was schwierig war bei einem Mann, der öfter 100 oder mehr Kilometer am Tag auf dem Rennrad unterwegs war.
Als bekannt wurde, wer es ist, erinnerten sich viele an die unheimliche Brandstiftungsserie im Südosten Berlins in den Jahren 2003 und 2004: Ein damals als „Froschmann“ beschriebener Täter, der auf einer entlegenen Insel campierte, hatte Jachten aufgebrochen und angezündet. Fünf Jahre saß er dafür in Haft.
Ungefähr die gleiche Region, das gleiche unheimliche Äußere – und immer lagen die Tatorte am Ufer von Seen. Parallelen gab es viele, und sie brachten die Polizei auch auf die Spur. Doch K. agierte immer hoch professionell, „spurenvermeidend“, wie leitende Beamte lobten. Er war nirgends gemeldet, hatte kein Bankkonto, und er mied konsequent die Öffentlichkeit.
Bei den Anschlägen auf die Familie des Berliner Unternehmers P. war das ebenso wie ein Jahr später bei der Entführung des Bankiers. Ihn hatte Mario K. im Oktober 2012 mit einem Kajak durchs Wasser in ein Versteck im Schilf am Storkower See verschleppt. Nach zwei Tagen konnte sich Stefan T. durch einen glücklichen Zufall befreien und flüchten. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, wann diese außergewöhnliche Tat verfilmt wird.
Mario K. schweigt seit der Verhaftung. Gegen ihn besteht dringender Tatverdacht des versuchten Totschlags und erpresserischen Menschenraubs in zwei Fällen; er sitzt in U-Haft. Im November wandte sich die Polizei erneut an die Öffentlichkeit und bat um Hinweise. Sie veröffentlichte Fotos aus den Ermittlungsakten. Die waren entstanden, als Spezialkräfte den Mann von März bis September observierten. Der Schritt der Ermittler zeigt, dass trotz der vorhandenen langen Indizienkette immer noch der durchschlagende Beweis gesucht wird, um die Anklage auf sicherere Füße zu stellen. Ein Prozesstermin steht noch nicht fest.
Die Söhne des Steuerberaters
Ein Fall wie erdacht für den „Tatort“, der ja gerne im feinen Milieu spielt. Der Mord vom 12. August an dem Steuerberater und Notar Ingo W. (49) ist der aufsehenerregendste, der in diesem Jahr in Berlin geschah. Nicht wegen der Durchführung – ein junger Mann geht in die Kanzlei in Westend, schießt neunmal und geht wieder. Die Angestellten sehen den Schützen flüchten. Es sind die Hintergründe und das Milieu, die das Interesse der Öffentlichkeit wecken. Schnell ist den Ermittlern klar: Hinter der Tat muss die Familie stecken, das Wort „Komplott“ macht die Runde. Die beiden 18 und 16 Jahre alten Söhne des Opfer werden sofort nach der Tat festgenommen – und kommen am nächsten Tag wieder frei.
Es finden sich keine verwertbaren Spuren, an ihren Händen keine Schmauchspuren, die beim Abfeuern einer Waffe entstehen. Bei der Vernehmung durch die Mordkommission geben sich die beiden Söhne außergewöhnlich pampig, kaltschnäuzig und ungerührt – nicht gerade das normale Verhalten bei den Profis von der Kripo. Doch die Indizien reichen nicht für eine Anklage, es fehlen Beweise.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt ungerührt weiter in der Familie, die sich in den vergangenen Jahren offensichtlich extrem verkracht hatte. Der Vater, das spätere Opfer, war vor einiger Zeit aus der schicken Villa in eine Gartenlaube gezogen, die Scheidung war geplant. Der jüngere Sohn und der Vater hatten sich wechselseitig bei der Polizei angezeigt.
Die Eltern des Opfers heizen die Stimmung mit einer Pressemitteilung noch an. Darin heißt es: „Die Ehefrau Katrin W. hat unseren Sohn terrorisiert und immer nur Geld gefordert.“ Mitte Oktober wird die Villa durchsucht, nun gilt auch die Mutter als Beschuldigte. Ende Oktober wird Claudius (Name von der Redaktion geändert), der Jüngere, unter dringendem Tatverdacht festgenommen, er sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Ein Richter bestätigte die U-Haft Anfang Dezember. Der 16-Jährige musste das Weihnachtsfest hinter Gittern verbringen.
Wann es zu einer Anklage kommt, ist offen. Worauf die Staatsanwaltschaft den dringenden Tatverdacht stützt, ist unklar – möglicherweise auf eine DNA-Spur. Der ältere Bruder und die Mutter gelten ebenfalls als Beschuldigte.
Tödlicher Schuss im Neptunbrunnen
2012 starb Jonny K. am Alexanderplatz, ein knappes Jahr später dann Manuel F. Der bekannteste Platz in der östlichen City festigte damit seinen schlechten Ruf als gefährlicher Ort, auch wenn streng genommen beide Menschen nicht auf dem Alex starben, sondern auf der anderen, namenlosen Seite der Gleise. Jonny K. wurde totgeprügelt, Manuel F. starb durch die Kugel aus der Dienstwaffe eines Polizisten.
Der psychisch stark gestörte und zudem drogensüchtige Mann hatte Ende Juni nackt im Neptunbrunnen gesessen und sich selbst mit einem Messer verletzt. Als die Polizei eintraf, ging F. plötzlich mit gezogenem Messer auf einen Beamten los. Der Polizist schoss, Manuel F. starb noch im Notarztwagen.
Es war der dritte tödliche Schuss eines Polizisten auf einen psychisch gestörten in drei Jahren. Erneut brach eine Diskussion um angebliche Polizeigewalt aus, wie auch bei den beiden Fällen zuvor: 2011 starb in Reinickendorf eine Frau, die aus ihrer Wohnung zu einer psychiatrischen Untersuchung gebracht werden sollte. 2012 starb ein Mann, der mit einer Axt bewaffnet auf einer Weddinger Straße Menschen bedrohte.
Für die Staatsanwaltschaft handelte der Polizist im Fall Manuel F. in Notwehr. Die Ermittlungen gegen den Beamten wurden Ende August eingestellt, sein Verhalten beim Einsatz sei angemessen gewesen. Die Diskussion bremste das nicht. Politiker forderten einen anderen Umgang mit psychisch Kranken durch die Polizei. Wie der aussehen soll, sagten sie nicht. Polizeiexperten forderten den Einsatz der Elektroschockpistole (offiziell: „Distanz-Elektroimpulsgerät“) in solchen Fällen. Seit zwölf Jahren gibt es bei der Berliner Polizei solche „Taser“, einsetzen darf sie jedoch nur das Spezialeinsatzkommando. Nur die CDU ist dafür, Schutzpolizisten damit auszurüsten, Innensenator Henkel (CDU) verweist jedoch auf die „fehlende Mehrheit“. Denn die will das Gerät nicht.
Einbrüche mit Gewalt
Intelligenten Tätern wird gerne so etwas wie Hochachtung entgegengebracht. Kriminelle, die nur mit Brachialgewalt vorgehen, brauchen darauf nicht zu hoffen. 2013 gab es eine auffällige Fülle von Taten, bei denen Geldautomaten entweder aufgesprengt oder aus der Verankerung gerissen wurden. Und es gab eine zweite Serie von bislang sieben Taten, bei denen Unbekannte mit Autos die Türen von Geschäften aufbrachen, schnell Waren zusammenrafften und flüchteten.
Beide Vorgehensweisen haben Gemeinsamkeiten: Der angerichtete Schaden ist oft höher als der Wert der Beute. Intelligenz ist nicht nötig, nur Kaltschnäuzigkeit. Zwölf Geldautomaten sind in diesem Jahr mit Gas gesprengt worden, 18 Mal wurde es versucht. Die Täter nehmen keine Rücksicht, mehrfach flogen Schaufenster oder Fassadenteile auf die Straße und gefährdeten Passanten. Wie viele Gruppen mit dieser Methode unterwegs sind, ist unklar. Es gab im Bundesgebiet Festnahmen, es geht aber weiter.
Im Sommer gründete die Berliner Polizei eine Sonderkommission, sie nennt sich „Giro“. Am Tag vor Heiligabend gab es den bislang letzten Fall für die Soko: Im U-Bahnhof Neukölln mussten die Täter flüchten, als plötzlich ein Zeuge auftauchte. Sie ließen einen Rollkoffer mit Gasflaschen und einsatzbereitem Schweißgerät zurück. Neu ist die Masche nicht, und eine Berliner Spezialität ist es auch nicht. Bundesweit wird alles aufgesprengt, wo Geld drin sein könnte, auch Fahrkartenautomaten der Bahn.
Neu ist auch die Masche mit dem brachialen „Power-Shopping“ nicht, also das Einbrechen per Pkw. Schon im Jahr 2000 hatten Unbekannte am Alexanderplatz den Elektronikmarkt Saturn derart geknackt – genauso wie vor drei Wochen den Mediamarkt im Alexa. Als bisher letztes Geschäft traf es kurz vor Weihnachten „Apple“ am Kurfürstendamm. Die Täter waren in jedem Fall nach wenigen Minuten wieder weg, daher die Bezeichnung „Blitzeinbruch“.
Der Tunnelcoup von Steglitz
Es war der erste spektakuläre Fall im Jahr 2013, vor allem, weil die Tat so geräuschlos ablief. Seit Februar 2012 hatten Unbekannte einen 45 Meter langen Tunnel von einer Tiefgarage in der Steglitzer Wrangelstraße bis in die Volksbankfiliale in der Schlossstraße gegraben. Dort angekommen, brachen sie genau 309 Kundenschließfächer auf und räumten sie aus. Dies geschah am Wochenende 12./13. Januar. Am Montag, dem 14., geht um 6.29 Uhr bei der Feuerwehr ein Alarm ein: Rauch dringt aus der Tiefgarage und dem Keller der Bank. Zu löschen gibt es wenig, zu staunen viel.
Die Täter hatten bei ihrer Flucht Feuer gelegt – wohl, um Spuren zu verwischen. Das Faszinierendste an diesem Tunnelcoup: Man weiß nicht, wie viel erbeutet wurde, und man wird es nie erfahren. Die Besitzer der Schließfächer müssen den Inhalt nicht preisgeben. Zehn Millionen Euro, lautet eine Schätzung. Schnell kursierten Gerüchte, dass die Täter es auf ein bestimmtes Fach abgesehen hatten: Buddelte hier ein Geheimdienst oder die Mafia? Genährt wurden Spekulationen durch die Treffsicherheit der Täter beim Öffnen der Fächer. Denn obwohl nur 56 Prozent der 1600 Schließfächer vermietet waren, haben die Täter zu 95 Prozent gefüllte Fächer aufgebrochen. Und dann der Tunnel: Wie kann man man 45 Meter derart treffsicher buddeln, wenn nicht mit militärischer Ausbildung? Die Täter? Sind vermutlich doch nur Kriminelle, wenn auch clevere. Und sie sind weg. Vermutlich nach Polen, woher sie vermutlich auch stammen. Es wurden polnische Getränkedosen gefunden, die 1000 Winkel, die den Tunnel bergmännisch sicherten, sind auch aus Polen.
Volksbank und Versicherung haben jeweils 25 000 Euro Belohnung ausgelobt. Die Tat wurde ausführlich bei „XY … ungelöst“ vorgestellt. 720 Hinweise gingen in den vergangenen elf Monaten ein. Nichts. Was ist noch möglich? Ein Täter plaudert oder wird verplaudert oder wird bei einer neuen Tat erwischt.
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