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Protest in der Karl-Marx-Allee gegen hohe Mieten und Privatisierung.
© DAVIDS/Sven Darmer
Update

Millionen-Nachzahlungen drohen: Berlins Schattenmieten kosten fast das Doppelte der Deckelmieten

Mietspiegel-Forscher beziffern "Marktmiete" mit mehr als 13 Euro je Quadratmeter, wo der Mietendeckel nur 7 Euro zulässt. Berliner schrecken vor Umzügen zurück.

Politischer Wunsch und Wirklichkeit am Wohnungsmarkt liegen in Berlin weit auseinander: Trotz der Einführung des Mietendeckels am 23. Februar dieses Jahres nennen manche Hausverwalter bei der Vergabe freier Wohnungen die aus ihrer Sicht gültige "Schattenmiete". Und diese ist mit 13,22 Euro je Quadratmeter im arithmetischen Mittel fast doppelt so hoch wie die staatlich vorgeschriebene Deckelmiete (6,50 Euro).

Das hat das Forschungsinstitut F+B errechnet, das seit Jahren die Daten für den Berliner Mietspiegel erhebt. Die Forscher wollen bis zur rechtlichen Klärung der Rechtmäßigkeit des Mietendeckels regelmäßig die Höhe der "Schattenmiete" in Berlin erheben.

Die Schattenmiete ist die Miete, die nach der bisherigen Gesetzgebung des Bundes zulässig wäre, also nach Mietspiegel und Mietpreisbremse. Vermieter die derzeit zwei Mieten in die Verträge schreiben gehen davon aus, dass der Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben wird. Das Gesetz wird derzeit in Karlsruhe überprüft.

Mietangebote ausgewertet

Grundlage für die errechnete mittlere Miete war laut F+B die Auswertung von 666 Vermietungen, bei denen ein "eindeutiger Grenzwert" nach Mietengesetz vorlag. Auch ohne dieses passgenauen Nachweis, etwa weil Annahmen über die Modernisierungen getroffen werden mussten, ist der Unterschied zwischen gedeckelter Miete und Schattenmiete ähnlich hoch: Bei weiteren knapp 2500 zugrunde gelegten Mietverträgen lag die Schattenmiete bei 13,75 Euro je Quadratmeter, obwohl die Wohnung den Tabellen des Miethöhen-Wohnungsgesetzes zufolge nur 7,20 Euro pro Quadratmeter kosten darf.

Die Marktmiete für Neubauten, die vom Deckel ausgenommen sind, betrage 17,61 Euro je Quadratmeter.

"Eklatante Differenz"

"Die Differenzen zwischen Mietendeckelmiete und Marktmiete sind eklatant", bilanzieren die Forscher. Alle 3133 Wohnungen zusammengenommen, die zwischen dem 23. Februar und dem 30. Juni angeboten wurden, "beträgt die Differenz 6,58 Euro je Quadratmeter".

Hochgerechnet auf die Anzahl der angebotenen Wohnungen und einer durchschnittlichen Größe von 60 Quadratmetern summiere sich dieses Differenz auf monatlich 1,2 Millionen Euro, "die allein diese Berliner Mieter seit dem 23. Februar nachzahlen müssten, falls sich das Gesetz als verfassungswidrig herausstellt".

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Deshalb schrecken viele Haushalte zurzeit vor dem Abschluss neuer Mieterverträge zurück. Der Berliner Mieterverein kritisierte jüngst, dass die Angabe der Schattenmiete bei der Vergabe freier Wohnungen viele Interessenten vor dem Abschluss der Mietverträge zurückschrecken lasse. Viele Berliner könnten sich die hohen Schattenmieten nicht leisten, so dass sie im Falle eines Erfolges der Klagen gegen den Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht kurzfristig wieder aus der Wohnung ausziehen müssten.

Mieterverein rät nicht dazu, auf Deckelmieten zu wetten

Der Mieterverein ist zwar von der Verfassungsmäßigkeit des Berliner Gesetzes zur Deckelung der Mieten überzeugt - dennoch rät er Mietinteressenten nicht dazu, bedenkenlos entsprechende Mietverträge zu unterzeichnen. Diese rechtliche Unsicherheit trage auch dazu bei, dass so wenig Berliner wie selten zuvor die Wohnung wechseln: Die "Fluktuationsquote" am Wohnungsmarkt ist sehr niedrig.

"Die Umgehungsversuche zum Mietendeckel sind nicht hinzunehmen", sagte Mieterverein-Chef Reiner Wild zur Studie. Anders als die Verfasser der F+B-Studie hält der Mieterverein-Chef eine Pflicht zur Rückzahlung von zu wenig bezahlter Miete im Falle einer Verfassungswidrigkeit des Deckels für "keinesfalls sicher".

Kaufpreise steigen weiter kräftig - Mieten sinken

Den Forschern von F+B" zufolge "besteht eine weiterhin dynamische Preisentwicklung bei Eigentumswohnungen" in den sieben deutschen Metropolen. Berlin spielt im Vergleich aller deutschen Städte gemessen am Kaufpreis von Wohnungen eine untergeordnete Rolle: Mit 3900 Euro je Quadratmeter im Durchschnitt, sei die Stadt "auf den Rangplatz 35 (vorher 37) vorgerückt".

Das dürfte auch mit den sehr unterschiedlichen Lagen in der größten Stadt Deutschlands zusammenhängen. Und mit den - bei geringer Kaufkraft - vergleichsweise günstigen Mieten freier Wohnungen. Und diese sinken erneut, auch infolge des Mietendeckels. "Mit 8,80 Euro je Quadratmeter für die Standardwohnung" sei im aktuellen Quartal ein "weiterer leichter Rückgang" zu verzeichnen.

Damit verfestige sich der Trend nachlassender Mietpreise aus dem ersten Quartal 2020. "Die durchschnittliche Angebotsmiete lag um 2,9 Prozent niedriger als vor zwölf Monaten". Gegenüber dem vorangegangenen Quartal habe das Minus 1,5 Prozent betragen. In 99 anderen Städten und Kommunen zahlen die Mieter mehr für freie Wohnungen.

Gutachterausschuss meldet "neuen Spitzenwert" am Wohnungsmarkt

21,7 Milliarden Euro brachten Käufer von Immobilien im vergangenen Jahr auf, 26.833 Objekte wechselten für dieses Geld den Eigentümer. Das ist ein "neuer Spitzenwert im Geldumsatz", meldet Berlins Gutachterausschuss für Grundstückswerte. Der Bericht des Gremiums hat besonderes Gewicht, weil es als einziges reale Grundstücksgeschäfte auf Grundlage notariell beurkundeter Kaufverträge auswerten kann.

Der Rekordwert beim Umsatz (plus 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr) belegt weiter steigende Immobilienpreise, weil die Zahl der gehandelten Objekte sogar zurückging (minus drei Prozent) und die gehandelte Fläche ebenfalls: um elf Prozent bei den Grundstücken und 13 Prozent bei Eigentumswohnungen.

Mietendeckel bremst Kauflust bei Wohnbauland

Die Gutachter stellen einen Einbruch beim Umsatz mit Bauland für "Geschosswohnungsbau" um ein Fünftel fest und führen die Zurückhaltung der Käufer auf die "Diskussion zur Einführung des Mietendeckels" zurück. Keinen Einfluss hatte diese dagegen auf die Kaufpreise von Mietwohnungshäusern: Mit 2275 Euro je Quadratmeter zahlten Käufer im Durchschnitt 14 Prozent mehr als im Vorjahr.

Preise von Eigenheimen steigen um 12 Prozent

Kräftig zugelegt haben die Preise von Ein- und Zweifamilienhäusern: um zwölf Prozent. Der "mittlere Kaufpreis liegt nun bei 3455 Euro je Quadratmeter Geschossfläche, die Flure und Stauräume mit umfassen. Der höchste Preis überhaupt sei für Ein- und Zweifamilienhäuser im Wilmersdorfer Ortsteil Schmargendorf erzielt worden: 10.276 Euro je Quadratmeter.

Eigentumswohnungen begehrt und erneut teurer

Ähnlich stark stiegen die Preise von Eigentumswohnungen: mit durchschnittlich 4446 Euro je Quadratmeter hätten Verkäufer im Durchschnitt elf Prozent mehr als ein Jahr zuvor erzielt. Der höhere Durchschnittspreis im Vergleich zu den Angebotspreisen von F+B (3900 Euro; siehe oben), erklären die Forscher durch den höheren Anteil verkaufter teurer Objekte und Studentenwohnungen im vergangenen Jahr.

Der höchste Preis überhaupt sei für eine Eigentumswohnung am Rosenthaler Platz bezahlt worden: 8,7 Millionen Euro, das entsprach einem Quadratmeterpreis von 18.700 Euro.

Hohe Wohnungspreise befeuern Geschäfts mit Umwandlung

Weil Eigentumswohnungen so teuer verkauft werden können, wandeln viele Hauseigentümer Mietobjekte in Eigentumswohnungen um. Das Angebot an Mietwohnungen sei dadurch um 12.689 Objekte geschrumpft. Am häufigsten werde dieses Geschäft in Neukölln vorangetrieben: 1739 Wohneinheiten sind dort nun Eigentumsobjekte.

FDP sieht "sozialen Sprengstoff"

Mieter und Vermieter seien "gezwungen, rechtlich höchst unsichere Verträge abzuschließen", sagte der Chef der FDP-Fraktion Sebastian Czaja. Mit Mietsenkungen zu locken und gleichzeitig hohe Nachzahlungen zu riskieren, sei "absolut unredlich und sorgt für sozialen Sprengstoff". Dieser Zustand sei so nicht tragbar.

Mit dem Rückzug von Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) habe Berlin die Chance "abzudeckeln" und Rechtsfrieden wieder herzustellen. Dazu gehöre auch "willkürliche Strafzahlungen für Vermieter abzuschaffen".

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