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Ein Polizeibeamter und ein Mitarbeiter des Ordnungsamtes stehen vor einem Lokal in Mitte. 
© Paul Zinken/dpa

Kein Personal für Kontrollen: Berlins Ordnungsämter können kaum Corona-Verstöße ahnden

Schon jetzt fehlt den Ordnungsämtern das Personal, um die Corona-Regeln zu kontrollieren. Nun könnten noch weitere Maßnahmen vom Senat beschlossen werden.

Angesprochen auf das zur Verfügung stehende Personal kann Andy Hehmke (SPD) nur sarkastisch auflachen. Dann sagt der Ordnungsstadtrat aus Friedrichshain-Kreuzberg: „Unsere Ressourcen waren schon vor Corona limitiert.“ 

40 Mitarbeiter hat das Ordnungsamt im Außendienst, im Dreischichtbetrieb kontrollieren sie Lärmbeschwerden, Leinenzwang von Hunden, Verschmutzung in Parks, den ruhenden Verkehr – und seit einigen Monaten auch die Einhaltung der Corona-Maßnahmen. Rechnet man Urlaube und Krankheiten ein, kommen häufig nur sechs bis maximal zehn Außendienstler zusammen, die in Doppelstreifen durch den Bezirk patrouillieren. 

An drei Stellen können sie also gleichzeitig sein auf einem Gebiet, in dem 290.000 Menschen leben und zahlreiche Kriminalitäts-Hotspots existieren. 817 Corona-Kontrollen haben Hehmkes Mitarbeiter im Juni, Juli und August durchgeführt, die bislang zu 212 Verfahren führten. Damit liegt Friedrichshain-Kreuzberg weit über dem berlinweiten Durchschnitt. 

Im gleichen Zeitraum haben die Ordnungsämter in zehn Bezirken 3421 Corona-Kontrollen durchgeführt, Steglitz-Zehlendorf und Charlottenburg-Wilmersdorf meldeten keine Zahlen, bei den Verfahren hat nur Lichtenberg (360) einen höheren Wert gemeldet. In Spandau führten die Kontrollen in drei Monaten nur zu zwölf Anzeigen. In Mitte, wo das Virus besonders grassiert, wurden 36 Bußgeldbescheide verschickt.

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Abgefragt hat das der SPD-Abgeordnete Sven Kohlmeier bei der Wirtschaftsverwaltung. Die Zahlen hält er für „ernüchternd“ und „erschreckend“. „Wenn man Regeln aufstellt, müssen sie auch kontrolliert werden.“ 

Er selbst beobachte überall - in Innen- wie Außenbezirken – Regelverstöße in der Gastronomie und im Privaten. „Das System funktioniert nicht“, sagt er. Eine Lösung dafür habe er nicht, ob immer mehr Regeln jedoch helfen, bezweifelt Kohlmeier.

Kontaktbeschränkungen bei privaten Feiern

Genau das scheint der Senat aber in seiner Sitzung am Dienstag beschließen zu wollen. Angesichts steigender Corona-Infektionen vor allem in den Innenstadtbezirken sollen wieder Kontakbeschränkungen bei privaten Feiern gelten. Sicher scheinen Obergrenzen von 25 Personen in geschlossenen Räumen und 50 Menschen im Freien. 

Weitere Verbote wie ein Alkoholverbot sind unwahrscheinlich, sollen aber behandelt werden. Die Linken-Bürgermeister aus Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Pankow hatten zuletzt im Tagesspiegel gemeinsam mit Kultursenator Klaus Lederer (Linke) für mehr Eigenverantwortung geworben.

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Ordnungsstadtrat Andy Hehmke fragt sich, wie seine Mitarbeiter weitere Regeln kontrollieren sollen. Schon jetzt habe man für Corona priorisiert, gleichzeitig will man auch verhältnismäßig kontrollieren. Man konzentriere sich auf die schweren Fälle. Oft würden Gastronomen 90 Prozent der Regeln befolgen, da wolle man eher aufklären und drücke auch mal ein Auge zu. „Wir haben ja auch kein Interesse daran, unsere Betriebe kaputtzukontrollieren.“

Im "Borchardt" blieben Verstöße folgenlos

Offenbar keine Ausnahme: Ein prominentes Beispiel dafür gab es bei einer Party im Edel-Restaurants „Borchardt“ in Mitte. Dort hatten Mitte Mai bis zu 300 Menschen versammelt – darunter FDP-Chef Christian Lindner. Weil Kontaktbeschränkungen und Abstandsregeln so unmöglich eingehalten werden konnten und die Schließzeit um 22 Uhr unbeachtet blieb, rückte die Polizei an. Erst auf Drängen der Beamten wurde die Zusammenkunft beendet.

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Und im Nachgang? Passierte nichts. Zur Begründung hieß es, die beteiligten Beamten hätten lediglich pauschal und damit nicht beweissicher über das Geschehen vor Ort berichtet. Personalien seien nicht aufgenommen worden, genauso wenig wie Fotos vom Gastraum des Borchardt. Die laut Corona-Eindämmungsverordnung zwar vorgeschriebene, vom Restaurant aber nicht geführte Gästeliste war nicht mal angefordert worden – weder von Polizei noch Bezirk. 

Stephan von Dassel (Grüne), Bezirksbürgermeister und als Leiter des Ordnungsamtes in Mitte für die Eröffnung eines Bußgeldverfahrens zuständig, erklärte im Nachgang: „Die Qualität der Anzeige, welche die Polizei dem Ordnungsamt Mitte von Berlin hat zukommen lassen, war nicht ausreichend. So wurden u.a. keine Abstände gemessen, keine Personenfeststellungen getroffen, keine Skizzen beigefügt, keine konkreten Zahlen genannt.“ Immerhin ein Schuldiger war also gefunden, die Berliner Polizei.

Fünf Prozent aller Delikte zur Anzeige gebracht

Unabhängig vom Fall Borchardt zur aktuellen Situation bei der Ahndung von Corona-Verstößen gefragt, wollte sich ein Sprecher der Polizei am Montag besser nicht zur Arbeit der Bezirke äußern. Die Polizei sei lediglich „im Rahmen der Amtshilfe“ für die die Beendigung von Vergehen zuständig, erklärte er. 

Darüber, wie häufig Bezirke Bußgeldverfahren eröffnen oder eben nicht, lägen der Polizei keine Erkenntnisse vor, erklärte der Sprecher weiter. Er lehnte es ab, „als Teil der Landesverwaltung die Arbeit anderer Behörden zu beurteilen.“

Tagesspiegel-Informationen zufolge hatte die Innenverwaltung wiederum zuletzt genau das getan und erklärt, die Bezirke würden maximal fünf Prozent aller anzeigefähigen Delikte auch tatsächlich zur Anzeige bringen. Eine entsprechende Darstellung soll Innensenator Andreas Geisel (SPD) während der Senatssitzung am Dienstag vertiefen.

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