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Der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD).
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Update

Wegen Steuerhinterziehung: Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz tritt zurück

Kulturstaatssekretär André Schmitz tritt zurück. Nach Informationen des Tagesspiegels will er am Dienstag bekanntgeben, dass er sein Amt aufgeben wird.

Nach einer Affäre um hinterzogene Steuern wird Kulturstaatssekretär André Schmitt sein Amt aufgeben. Er will dies dem Vernehmen nach am Dienstag bekanntgeben. Seinem Entschluss ging eine Telefonkonferenz des Geschäftsführenden Landesvorstands der Berliner SPD voraus, in der die Erwartung geäußert wurde, dass Schmitz Konsequenzen aus seiner Verfehlung zieht.

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) wusste nach eigener Darstellung seit 2012 von dem Steuerbetrug seines Kulturstaatssekretärs André Schmitz, verzichtete aber auf personelle Konsequenzen. „Der Regierende Bürgermeister sieht eine ernst zu nehmende private Verfehlung, die zu kritisieren ist“, sagte Senatssprecher Richard Meng am Montag. Schmitz habe den Regierungschef damals über das Steuerverfahren informiert und sein Bedauern geäußert. Er habe zugegeben, ein Konto mit fast einer halben Million Euro in der Schweiz nicht versteuert zu haben. „Schmitz ist ein hochkompetenter und in der Stadt hochangesehener Kulturpolitiker. Aufgrund dieser dienstlichen Bewertung entschied Wowereit 2012, Schmitz im Amt zu belassen“, sagte der Senatssprecher. Seitdem gebe es keine neuen Fakten, sagte Meng.

Der SPD Vorsitzende Sigmar Gabriel forderte auf der Klausurtagung in Potsdam härtere Strafen für Steuersünder.
Der SPD Vorsitzende Sigmar Gabriel forderte auf der Klausurtagung in Potsdam härtere Strafen für Steuersünder.
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SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte dagegen härtere Strafen für Steuerbetrüger. Die SPD trete seit langem dafür ein, „dass wir Steuerhinterziehung strenger bestrafen“, sagte Gabriel am Montag nach einer Parteiklausur in Potsdam. Zum Bekenntnis des Berliner Kulturstaatssekretärs sagte Gabriel: „Repräsentantinnen und Repräsentanten der SPD haben eine besondere Vorbildfunktion, der sie auch gerecht werden müssen.“ Steuerhinterziehung sei kein Kavaliersdelikt. Er gehe davon aus, dass die Berliner SPD den Fall Schmitz beraten werde. Das geschah unverzüglich. Nach der Telefonkonferenz der Führungsspitze am späten Nachmittag informierte SPD-Landeschef den Kulturstaatssekretär über das Ergebnis. Der bat um Bedenkzeit bis Dienstag, verlautete aus Parteikreisen. Schmitz habe aber signalisiert, dass er von seinem Amt, das er seit 2006 ausübt, zurücktreten werde.

Am Wochenende hatte auch die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer zugegeben, über Jahre Steuern hinterzogen zu haben, und dafür viel Häme einstecken müssen. Die finanzpolitische Sprecherin der Unions-Bundestagsfraktion, Antje Tillmann, kritisierte am Montag den Umgang mit reuigen Steuersündern. „Ich bin nicht glücklich damit, wenn Namen genannt werden“, sagte Tillmann dem Tagesspiegel mit Blick auf den Fall Alice Schwarzer. „Die Abgabenordnung sieht den Pranger nicht als Strafe vor.“ Tillmann begrüßte den Anstieg der Selbstanzeigen. In den Genuss der Straffreiheit sollten jedoch nur solche Steuersünder kommen, die sich komplett steuerehrlich machen, sagte die Finanzexpertin zu den Diskussionen über eine Verschärfung der Voraussetzungen für die Straffreiheit von Selbstanzeigen.

Die Deutsche Steuergewerkschaft forderte ein härteres Vorgehen gegen Steuersünder. „Ab einer Summe von 50 000 Euro sollte es keine Möglichkeit mehr geben, sich über eine Selbstanzeige der Strafe zu entziehen“, sagte der Chef der Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, dem Tagesspiegel.

Generalsekretär der Berliner CDU: „Steuervergehen sind keine Kavaliersdelikte“

Nach dem Bekanntwerden der jahrelangen Steuerhinterziehung durch Schmitz hatte die Berliner CDU Aufklärung durch Wowereit gefordert. „Die CDU-Fraktion geht davon aus, dass der Regierende Bürgermeister alle nun aufkommenden Fragen schnellstmöglich und voll umfänglich klären wird“, sagte CDU-Fraktionssprecher Thorsten Schatz dem Tagesspiegel am Montag vor Wowereits Statement. Der Generalsekretär der CDU Berlin, Kai Wegner, erklärte: „Steuervergehen sind keine Kavaliersdelikte.“ Er hoffe sehr, dass wirklich alles offen gelegt ist. Außerdem stelle sich die Frage, wie dieser Vorfall mit den moralischen Äußerungen der SPD vor allem im Bundestagswahlkampf zu vereinbaren sei. Nun müsse die SPD klären, wie sie „mit dieser nicht ganz einfachen Situation umgeht“.

In führenden CDU-Kreisen äußerte man sich sehr irritiert, von dem „Fall Schmitz“ jetzt aus der Presse erfahren zu müssen. Obwohl der sozialdemokratische Regierungschef Wowereit schon seit 2012 im Detail informiert war. Bereits in der Vergangenheit hatten sich der CDU-Landesvorsitzende Frank Henkel und andere CDU-Spitzenpolitiker mehrmals von Wowereit im Senat bei wichtigen Themen nicht informiert gefühlt, so beim Wechsel an der Spitze des BER-Aufsichtsrates.

Die stellvertretende Linken-Fraktionsvorsitzende Katrin Lompscher erklärte, Schmitz' Verhalten sei „insbesondere für einen hochrangigen Staatsdiener inakzeptabel“. Die Linke erwarte vom Kulturstaatssekretär „eine Erklärung dazu, welche Konsequenzen er zu ziehen gedenkt“.

Schockierte Reaktionen bei der SPD

Der Grünen-Finanzexperte Jochen Esser forderte indirekt den Rücktritt des Staatssekretärs. „Ich würde da nicht sitzen bleiben an seiner Stelle.“ Das sei eine Frage der politischen Kultur. „Irgendwann reicht es mal, es handelt sich schließlich nicht um ein Kavaliersdelikt“, sagte Esser dem Tagesspiegel. Er erwarte lückenlose Aufklärung des gesamten Vorgangs. Der Piraten-Fraktionschef Oliver Höfinghoff hält es „für offensichtlich, dass Schmitz nicht im Amt bleiben kann, ohne das Vertrauen in die Politik nachhaltig zu erschüttern“. Er habe einen gravierenden Fehler gemacht, es handele sich sogar um eine Straftat. Wowereit warf Höfinghoff vor, „die Sache herunterkochen“ zu wollen. Es sei „schon krass“, dass Wowereit von der Sache seit 2012 wisse, ohne den Vorgang öffentlich zu machen und Konsequenzen zu ziehen.

Der innenpolitische Sprecher der Piratenfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, Christopher Lauer, forderte Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) unterdessen auf, Schmitz zu entlassen. „Herr Schmitz hat keine fehlerhafte Steuererklärung abgegeben, sondern sein Erbe aktiv nicht versteuert“, sagte Lauer dem „Handelsblatt Online“. Als Staatssekretär habe Schmitz immer wieder betont, wie wichtig die steuerfinanzierte Kulturlandschaft Berlins sei, sagte Lauer weiter. „Selbst zu ihrer Finanzierung beitragen wollte er wohl nicht.“ Der Bundesgeschäftsführer der Linken, Matthias Höhn, bezweifelte am Montag in Berlin, dass das Mittel der Selbstanzeige „noch zeitgemäß“ sei. Er bezeichnete es als „Privileg für Vermögende“.

Die Oppositionsfraktionen warten wohl erst einmal ab, was der Senat zu der Affäre um Schmitz sagt, denken aber schon über gemeinsame parlamentarische Initiativen nach.

„Wowereit ist jetzt der Akteur“

"Ein schwerwiegender Fehler": Kulturstaatssekretär André Schmitz und sein Chef, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit.
"Ein schwerwiegender Fehler": Kulturstaatssekretär André Schmitz und sein Chef, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit.
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Aus den Reihen der SPD waren bis Montagmittag nur vereinzelte Stimmen hören. „Kein Kommentar“, sagte ein Sprecher der Abgeordnetenhausfraktion. Aber nicht nur Saleh, sondern auch andere Spitzenvertreter der Regierungsfraktion schwiegen. Dem Vernehmen nach ist die Fraktions- und Parteiführung fieberhaft dabei, erst einmal den Sachverhalt aufzuklären und sich dann eine Meinung zu bilden. SPD-Landeschef Jan Stöß war vorerst nicht erreichbar, da er an einer Klausurtagung des SPD-Parteivorstands teilnimmt.

er SPD-Landesvorsitzende Jan Stöß wollte sich nicht äußern. Vorsichtige Kritik übte die stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Iris Spranger. „Ich hätte mir gewünscht, dass Partei und Fraktion frühzeitiger über den Vorgang informiert worden wären“, sagte sie auf Anfrage. Sie sei genauso überrascht worden wie andere Parteifreunde. Jetzt sei erst einmal umfangreiche und lückenlose Aufklärung nötig.

„Das haut mich von den Socken“, kommentierte der SPD-Kreischef in Steglitz-Zehlendorf, Michael Arndt. „Dafür fehlt mir als Sozialdemokrat jedes Verständnis“. Zu möglichen Konsequenzen für Schmitz wollte sich Arndt nicht äußern. Das sei Sache des Regierenden Bürgermeisters. „Wowereit ist jetzt der Akteur.“

Die kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Brigitte Lange, ist schockiert. „Ich kann das nicht begreifen, er ist doch ein wohlhabender Mensch.“ Sie schätze Schmitz' Arbeit sehr, betonte Lange, „aber die Sache mit der Steuer wird an ihm hängen bleiben“.

Bislang lehnt der Kulturstaatssekretär einen Rücktritt ab. Erst durch Medienberichte war bekannt geworden, dass er jahrelang Steuern hinterzogen hat. Der Kulturstaatssekretär habe „nicht die Absicht, zurückzutreten“, sagte sein Sprecher Günter Kolodziej auf Anfrage. Er bestätigte einen Bericht der „BZ“, demzufolge Schmitz über mehrere Jahre Steuern in großem Umfang hinterzogen hat.

„Ein  schwerwiegender Fehler, den ich sehr bedauere“

In einer am Montagmorgen verbreiteten Stellungnahme erklärte Kulturstaatssekretär Schmitz, er habe „einen  schwerwiegenden Fehler begangen, den ich sehr bedauere“. Er habe ein in der Schweiz ererbtes Guthaben im Jahre 2005 in eine Lebensversicherung der „Credit Suisse“ eingezahlt. Derartige so genannte Scheinversicherungen wurden von Tausenden deutschen Kunden dieser Bank genutzt, um Steuern zu sparen. Die Versicherung und das Konto wurden Schmitz zufolge 2007 aufgelöst.

Im Jahr 2012 wurde Schmitz zufolge ein  Strafverfahren gegen ihn eingeleitet, welches im Dezember gegen eine Geldauflage in Höhe von 5000 Euro und eine für den Zeitraum 2005 bis 2007 nachzuentrichtende Einkommensteuer in Höhe von 1941 Euro eingestellt wurde. Er habe für die Jahre 2000 bis 2007 Steuern in Höhe 19.767 Euro inklusive Solidaritätszuschlag, Kirchensteuer und Zinsen nachbezahlt. „Das Steuer- und das Strafverfahren wurden damit einvernehmlich abgeschlossen.“

Erst Uli Hoeneß, dann Alice Schwarzer und Atze Brauner

Schmitz ist nicht nur Wowereits Staatssekretär für Kultur, sondern auch ein politischer Berater und beide verbindet seit vielen Jahren eine enge persönliche Freundschaft. Schon seit 1997 ist Schmitz in Berlin kulturell in führenden Positionen tätig. Zuerst als Verwaltungsdirektor der Volksbühne, dann als Geschäftsführer der Deutschen Oper. Als Klaus Wowereit 2001 Regierender Bürgermeister wurde, holte er mit Schmitz eine Vertrauensperson als Chef der Senatskanzlei ins Rote Rathaus. 2006 wäre Schmitz gern Kultursenator geworden, doch weil es nur acht Ämter im Kabinett zu verteilen gab, musst er er sich mit dem Staatssekretärs-Job unter Wowereit begnügen, der das Kulturressort leitet. Parteiübergreifend ist Schmitz als bestens vernetzter und kompetenter Kulturpolitiker geschätzt. Umso größer ist jetzt der Schock.

Am Sonntag war bekanntgeworden, dass die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer über viele Jahre ein Schweizer Konto vor den deutschen Steuerbehörden verheimlicht hatte. Auch gegen den Berliner Filmproduzenten Atze Brauner wird derzeit wegen Steuerhinterziehung ermittelt. Das Thema Steuerhinterziehung hatte in den vergangenen Monaten eine große öffentliche Aufmerksamkeit erzeugt - Anlass waren entsprechende Vorwürfe gegen den FC-Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß.

Ausgelöst durch den Fall Hoeneß ist in Berlin die Zahl der Selbstanzeigen kräftig in die Höhe geschossen. 966 Selbstanzeigen in Verbindung mit Geldanlagen in der Schweiz, Luxemburg und Liechtenstein gab es im vergangenen Jahr – und damit mehr als drei Mal so viel wie im Jahr zuvor. Auch in diesem Jahr hält die Welle an. Allein im Januar gingen 129 Selbstanzeigen bei den Finanzbehörden ein. Die Selbstbezichtigung zahlt sich für den Fiskus aus. Im vergangenen Jahr nahm die Staatskasse 24 Millionen Euro aus nachgezahlten Steuern plus Säumniszuschlag ein. Seit 2010 haben die 2445 Selbstanzeigen Berlin insgesamt 142 Millionen Euro gebracht.

„Ich bin nicht glücklich damit, wenn Namen genannt werden“

Die finanzpolitische Sprecherin der Union-Bundestagsfraktion, Antje Tillmann, hat den Umgang mit reuigen Steuersündern kritisiert. „Ich bin nicht glücklich damit, wenn Namen genannt werden“, sagte Tillmann dem Tagesspiegel mit Blick auf den Fall Alice Schwarzer. „Die Abgabenordnung sieht den Pranger nicht als Strafe vor“. Tillmann begrüßte den Anstieg der Selbstanzeigen. In den Genuss der Straffreiheit sollten jedoch nur solche Steuersünder kommen, die sich komplett steuerehrlich machen, sagte die Finanzexpertin zu den Diskussionen über eine Verschärfung der Voraussetzungen für die Straffreiheit von Selbstanzeigen.

Die Deutsche Steuergewerkschaft fordert ein härteres Vorgehen gegen Steuersünder. „Ab einer Summe von 50 000 Euro sollte es keine Möglichkeit mehr geben, sich über eine Selbstanzeige der Strafe zu entziehen“, sagte der Chef der Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, dem Tagesspiegel. Dagegen warnte Eigenthaler, die Selbstanzeige für einfache Fälle zu erschweren. Diskussionen, den Zeitraum, für den die Steuern nach erklärt werden müssen, von fünf auf zehn Jahre zu verlängern, lehnte Eigenthaler als unpraktikabel ab: „Steuern für zehn Jahre nach zu erklären, ist nicht einfach“. Die Steuergewerkschaft schätzt, dass jedes Jahr 50 bis 60 Milliarden Euro am Fiskus vorbei gehen. (mit AFP)

Lars von Törne, Ulrich Zawatka-Gerlach, Heike Jahberg

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