Vorstandsmitglied der Baukammer: "Berlins Kleingärtner okkupieren wertvolles Bauland"
Christian Müller fordert, auf den Randflächen aller Kolonien Häuser zu errichten – nicht zuletzt aus ökologischen Gründen.
Herr Müller, Sie rühren an Tabus, indem Sie Kleingärten dem Wohnungsbau opfern wollen – weil Sie selbst kein Kleingärtner sind?
Doch, ich bin selbst einer. Aber die Stadt wächst und da krachen Partikularinteressen aufeinander. Deshalb müssen wir Besitzstände infrage stellen. Wer einen Kleingarten hat, besitzt ein Stück Stadt und zahlt dafür einen Euro im Jahr pro Quadratmeter. Das ist ein Privileg.
Sie schlagen vor, die Ränder aller Kleingärten an der Straße zu bebauen. Warum ausgerechnet diese Flächen, weil Sie eine Parzelle in der dritten Reihe haben?
Nein, meine liegt selbst auch an der Straße, müsste also weg. Wir machen diesen Vorschlag, weil an den Straßenrändern schnell und vor allem sehr günstig gebaut werden kann. Strom, Wasser und alle Leitungen liegen dort schon, die neuen Häuser könnten also kurzfristig ans Netz gehen. Und diese Bauflächen sollten ausschließlich an landeseigene Wohnungsunternehmen gehen, damit sie günstige Wohnungen bauen. In knapp zwei Jahren könnten dort mehrere tausend neue Wohnungen zu günstigen Mieten stehen.
Sie wollen 20 Prozent der Berliner Kleingarten-Flächen bebauen. Wie tief in die Kolonien würden sich die Bauflächen fräsen?
Rund 20 Meter inklusive Abstandsfläche zu den Gärten. So könnten 200.000 Wohnungen mit je 46 Quadratmetern entstehen. Die Häuser selbst hätten eine Tiefe von zwölf Metern und würden unmittelbar am Bürgersteig anschließen. Das würde die Kolonien vom Verkehrslärm abschirmen.
Auf der Kleingartenkonferenz der CDU habe ich die Laubenpieper gefragt, auf wie viel Fläche sie verzichten würden, um einen Beitrag zur Bekämpfung der Wohnungsnot zu leisten. Sie wollten nicht mal darüber reden...
Ja, sie okkupieren Bauland, als ob es ihr Eigentum wäre. Dabei entstanden die meisten Gartenkolonien nach dem Krieg auf frei geräumten Baugrundstücken. Jetzt wächst die Stadt wieder so stark, dass wir nicht zugunsten von 70.000 Kleingärtnern auf alle Bauflächen verzichten können.
Aber sogar die CDU, die der Koalition Versagen beim Wohnungsbau vorwirft, will keinen einzigen Zentimeter Kleingarten anrühren. Der Senat gab kürzlich auch erstmal eine Bestandsgarantie. Warum nur?
Wer Kleingärtner quält, wird abgewählt. Diesen Spruch haben alle Parteien verinnerlicht. Sie haben Angst vor 70.000 Pächtern und ihren Freunden. Außerdem blicken sie auf die in Berlin ansässigen Wähler. Die Neuen, die jetzt kommen, spielen ja für die nächste Wahl erstmal keine Rolle.
Die Langzeitrecherche „Wem gehört Berlin“ ist eine Kooperation des Tagesspiegels mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv. Auf unserer Plattform wem-gehoert-berlin.de können Sie uns mitteilen, wer Eigentümer Ihrer Wohnung ist, und welche Erfahrungen Sie mit Ihrem Vermieter gesammelt haben. Mithilfe der Daten suchen wir nach unverantwortlichen Geschäftspraktiken und machen den Immobilienmarkt transparenter. Eingesandte Geschichten werden nur mit Ihrer Einwilligung veröffentlicht.
Und wer in Berlin lebt, hat ja eine Wohnung und einen Garten?
Genau. Aber das wird sich rächen. Denn wenn es nicht mehr neue Wohnungen gibt, dann werden die bestehenden zu völlig überzogenen Preisen verkauft. Und das zieht die Mieten mit in die Höhe. Trotzdem will die Politik die Neuberliner lieber in der Lausitz ansiedeln.
Warum eigentlich nicht?
Weil jede Wohnung, die nicht in Berlin gebaut wird, mindestens zehn Kilometer mehr Verkehr auslöst, und zwar rein in die Stadt und wieder raus. Dieser zusätzliche Staub und Lärm belastet die Stadt zusätzlich. Diese Entwicklung ist schon in vollem Gange, die Verkehrswege vom Wohnort zum Arbeitsplatz haben sich dramatisch verlängert. Wir produzieren damit selber das Problem, gegen das wir dann vor den Gerichten klagen, Feinstaub, Lärm und Verletzte im Verkehr.
Wo wohnen Sie eigentlich?
In Charlottenburg. Und von meiner Wohnung bis zu meinem Büro beträgt der Verkehrsweg sechs Sekunden. Meine Eltern haben es vorgemacht in Bremen, sie hatten kein Fahrzeug und haben alle Wege zu Fuß zurückgelegt.
Dieses Glück hat nicht jeder...
Nein, aber eine Fußgänger- und Radfahrer-gerechte Stadt ist auch ökologisch sinnvoll. Deshalb brauchen wir Wohnungen in der Stadt, zum Beispiel am Rande der Kolonien, da brauchen wir keine neuen Straßen und keine neue Infrastruktur. Die liegt ja vor der Tür.
Was sagt Stadtentwicklungssenatorin Lompscher dazu?
Sie hat auf einer Veranstaltung in dieser Woche erklärt, es gebe keine Grundstücke. Nicht mal für die landeseigenen Unternehmen gebe es Baureserven. Irgendwo ist da eine Blockade.
Aber die Stadt braucht auch unbebaute Flächen, etwas fürs Klima. Oder wollen sie noch mehr Hitze im Sommer?
Nein, aber deshalb dürfen wir nicht alles schützen, zumal der zusätzliche Pendlerverkehr noch mehr Wärme erzeugt. Wir haben gut 30.000 Hektar Grün- und Waldflächen in Berlin, ein Drittel der Stadtfläche, da passt das ganze Land Bremen rein. Da kann man doch nicht von einem Mangel an Bauland sprechen. Eher ein Problem der Parteien, es Ihren Wählern genau zu erklären, wie man das Wohnungsbauproblem lösen könnte.
Die politische Logik ist bisher: Wenn Berlin teuer wird und der Deckel auf den Bestandsmieten drauf, zieht niemand mehr her oder nur, wer sich Luxus leisten kann, oder?
Ja, aber die Logik des Marktes ist, wenn Sie das Angebot verknappen, erhöhen Sie die Nachfrage und das führt zu Preissteigerungen. Dann werden Häuser aufgeteilt und privatisiert. Und es erhöht den Druck auf die günstigen Bestände. Da kann das Land nicht wegschauen. Es ist für die Versorgung des unteren Drittels der Bevölkerung zuständig, die sich nicht selber mit Wohnraum versorgen kann.
Gehören Sie einer Partei an?
Ja, ich bin SPD-Mitglied. Aber als Baumensch beschäftige ich mich die ganze Zeit auch mit Fragen der Verteilungsgerechtigkeit. Wir haben Baugruppen organisiert, Waldorfschulen aufgebaut und ständig vor Ort Interessen abzuwägen. Das ist mühselig, und oft klemmt es dabei. Aber es kann nicht sein, dass immer nur diejenigen bekommen oder behalten, die am lautesten schreien.
Wie die Laubenpieper?
Oder wie die Mieter in der Karl-Marx-Allee. Da werden Wohnungen für 3800 Euro pro Quadratmeter gekauft, obwohl ein Neubau nur 3000 Euro kostet. Das ist eine Verbrennung öffentlicher Gelder. Nur weil die Kassen voll sind. So geht das nicht weiter.
Der Ingenieur Christian Müller, 56, ist seit vier Jahren Mitglied im Vorstand der Baukammer Berlin. Der promovierte Tragwerksplaner war mit seinem Ingenieurbüro beteiligt am Umbau der Cuvryspeicher im Stadtteil Kreuzberg, hat die Baugruppe am Urban Krankenhaus begleitet, war am Umbau des Krankenhauses Havelhöhe beteiligt und hat viele Wohnungsbauten realisiert. Sein Ingenieurbüro gründete er vor genau 20 Jahren, heute zählt es 20 Mitarbeiter.
Die Baukammer ist die Standesvertretung aller im Bauwesen tätigen Ingenieure im Land Berlin und als solche eine Körperschaft des öffentlichen Rechtes. Mit ihrem Vorschlag zur Bebauung der an Straßen gelegenen Ränder von Gartenkolonien schaltet sich die Baukammer jetzt in die extrem festgefahrene Debatte über die Zukunft der Berliner Kleingärten ein. Für einen Teil dieser Flächen ist die Schutzfrist abgelaufen. Trotzdem sollen sie in dieser Legislaturperiode nicht angetastet werden. Stattdessen tagen Arbeitsgruppen zum Thema.
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