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Die Beratungsstellen für Opfer häuslicher Gewalt registrieren nach einer Flaute zu Beginn der Pandemie wieder mehr Hilferufe von Frauen.
© Britta Pedersen/zb/dpa

Häusliche Gewalt während Coronakrise: Berlins Frauenhäuser ausgelastet – Zahl der Notrufe bei Hilfetelefonen steigt

Häusliche Gewalt nimmt während der Coronakrise zu. Initiativen fordern Unterstützung – und dass Berlin seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt.

Von Ronja Ringelstein

Es war nur die Ruhe vor dem Sturm, das bestätigt sich jetzt. Die Zahl der Notrufe von Frauen, die Gewalt zu Hause erleben, nimmt zu. Das bemerken Mitarbeiterinnen der Hilfetelefone.

Zu Beginn des Lockdowns war es gespenstisch still gewesen, hatten einige der Träger berichtet. „Wenn die Menschen so lange zu Hause aufeinandersitzen, eskaliert die Gewalt. Vielleicht sehen die Frauen nun seit den Lockerungen wieder mehr die Möglichkeit, nach draußen zu gehen und Hilfe zu rufen“, sagt Kristin Fischer, die bei der „Berliner Initiative gegen Gewalt gegen Frauen“ (BIG e.V.) Koordinatorin ist.

Über die BIG-Hotline können sich betroffene Frauen Rat und Hilfe holen, aber auch, wenn nichts anderes hilft, in eines der Frauenhäuser vermittelt werden.

Doch nicht nur die Notrufe nehmen zu, auch die Fälle würden schwerer. Das hatte die stellvertretende Leiterin Gewaltschutzambulanz an der Charité diese Woche bekannt gegeben.

Frauenhäuser ausgelastet

Kristin Fischer kann diese Entwicklung bestätigen: „Bei den Fällen von Gewalt nimmt das Ausmaß zu.“ Trotz ihrer 19 Jahre Erfahrung als Mitarbeiterin in einem Frauenhaus sei sie „immer wieder überrascht, was Menschen anderen antun, um ihre Macht zu demonstrieren“, sagt sie.

Die Frauenhäuser sind gut ausgelastet. Auch das von der Senatsgesundheitsverwaltung angesichts der Coronakrise eilig ins Leben gerufene „Stadthotel“, in das von Gewalt betroffene Frauen derzeit rund um die Uhr einchecken können.

„Das Stadthotel-Frauenhaus ist stark belegt, da zeigt sich, dass es großen Bedarf gibt“, sagt Friederike Behrendt. Rund 50 Menschen, Frauen mit Kindern, seien derzeit in dem Hotel untergekommen. 60 Zimmer stehen zur Verfügung. Wegen der Corona-Pandemie werden die Zimmer nur einzeln belegt.

Hotels als Auffangstelle

Die Sozialpädagogin Behrendt ist beim Frieda Frauenzentrum beschäftigt, nun hilft sie, wie ihre Kolleginnen und Mitarbeiterinnen anderer Frauenberatungen aus dem Anti-Gewaltbereich, für ein paar Stunden in der Woche im Stadthotel aus, um den Frauen ein Beratungsangebot zu machen.

Wo sich das Stadthotel befindet, muss geheim bleiben. Es steht seit Anfang April zu Verfügung. In einem weiteren Hotel können Frauen mit ihren Kindern aufgenommen werden, die wegen einer möglichen Covid-19-Infektion isoliert werden müssen. Im Notfall könnten bis zu 130 schutzsuchende Frauen und ihre Kinder sicher untergebracht werden.

Doch die Situation vor Ort, beschreibt Behrendt, sei keine leichte. Die Frauen, die dort hinkommen, seien durch die Gewalt, die sie erlebt haben, verstört und verletzt. Kommen sie nachts dort an, werden sie von den Hotelmitarbeitern eingecheckt – ein großer Vorteil des Hotels gegenüber den üblichen Frauenhäusern.

Die psychosozialen Beraterinnen sind zwischen 10 und 16 Uhr da. „Meine Zeitkapazität ist stark begrenzt, und ich kann mich nicht um alles so kümmern, wie es eigentlich meinem Anspruch entspräche“, sagt Behrendt.

Immer wieder improvisieren

Was die Frauen erlebt haben, müsse verarbeitet werden. „Wir versuchen ihnen das zeitnah zu ermöglichen.“ Die Umnutzung des Hotels als Frauenhaus sei so spontan gewesen, dass sie und die Kolleginnen immer wieder improvisieren müssten.

Es dient als „Zwischenstopp“, bevor die Frauen in die regulären Frauenhäuser vermittelt werden können. Da auch dort jede Frau derzeit ein eigenes Zimmer bekommt, um Infektionen zu vermeiden, ist das Platzangebot sehr begrenzt.

„Jetzt müssen schleunigst Nachlässigkeiten des Senats aus der Vergangenheit, wie der akute Mangel an Frauenhausplätzen, behoben werden“, fordert die Berliner FDP-Politikerin Maren Jasper-Winter. Tatsächlich zeigt das Stadthotel, dass der Bedarf an Schutzunterkünften in Berlin nicht gedeckt war. Das sagt auch Kristin Fischer vom BIG e.V.

Berlin braucht dreimal so viele Frauenhausplätze

„Die Corona-Pandemie legt auf die Situation der Frauen nur ein Brennglas. All das war vorher schon da“, sagt Fischer. Berlin müsse die Istanbul-Konvention umsetzen, die Deutschland unterzeichnet hat und die gesetzlich gilt.

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„In der steht, dass pro 10.000 Einwohnerinnen in Deutschland 2,5 Plätze in einem Frauenhaus zur Verfügung stehen müssen. Davon sind wir weit entfernt, es würde eine Verdreifachung der jetzigen Plätze bedeuten.“ Berlin verfügt aktuell über 335 Frauenhausplätze. Fischer wartet darauf, dass das siebte Berliner Frauenhaus, das bereits bewilligt ist, endlich umgesetzt werde.

Und sie fordert einen Ausbau der Unterstützungsangebote für Kinder und der Täterprävention. „Ich habe den Eindruck, gerade bei der Täterprävention fühlt sich keine der Senatsverwaltungen zuständig“, sagte Fischer. Dem BIG e.V. wurden im Bereich Präventionsarbeit an Schulen in diesem Jahr 20.000 Euro vom Senat gekürzt, erzählt Fischer, das treffe den Verein sehr.

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Friederike Behrendt hofft, dass nicht vergessen wird, dass das Frauenhaus immer nur der „letzte Ausweg“ sei. „Wir bei Frieda und anderen Projekten führen Gespräche mit Frauen in Gewaltsituationen, vermitteln sie an spezialisierte Angebote, bieten psychosoziale Beratung an und machen Krisenintervention. All diese Maßnahmen sollen darauf hinwirken, dass die Frauen erst gar nicht in das Frauenhaus gehen müssen.“

Noch ein Problem ist, dass viele Frauen nicht wissen, wo sie Hilfe bekommen können, wenn sie oder ihre Kinder misshandelt werden.

Der Senat hat ein Plakat mit Telefonnummern zu Hilfsangeboten zusammengestellt, das nun in immer mehr Supermärkten, Apotheken und U-Bahnhöfen ausgehängt wird. An einigen Orten ist es schon zu sehen. Auch die Nummer vom BIG e.V. ist darauf verzeichnet.

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